David Humes Metaphilosophie

von Gerhard Streminger

Offprint/Sonderdruck

Aus:

Schriftenreihe der Wittgenstein-Gesellschaft

Hrsg. Rudolf Haller, Elisabeth Leinfellner, Werner Leinfellner, Paul Weingartner

SWG Vol. 22

THE BRITISH TRADITION IN 20th CENTURY PHILOSOPHY

Proceedings of the 17th International Wittgenstein-Symposium

Kirchberg am Wechsel, 14-21 August 1994. Eds. Jaakko Hintikka, Klaus Puhl

Vienna 1995; 385 pp, ISBN 3-209-01881-2

S. 309 - 329

Verlag Hölder-Pichler-Tempsky

A-1096 Wien


 

David Humes Metaphilosophie

GERHARD STREMINGER

University of Graz (Austria)

άberarbeitete Fassung


Das erste Buch des Treatise of Human Nature (im folgenden: Treatise), das David Hume 1739 als Achtundzwanzigjähriger in London veröffentlichte, erachtete er als intellektuellen Fehlschlag. Im ersten Teil meines Aufsatzes werde ich versuchen, die Gründe für dieses Scheitern zu klären; und im zweiten Teil soll gezeigt werden, weshalb Hume in seinem späteren erkenntnistheoretischen Hauptwerk, der Enquiry concerning Human Understanding (im folgenden: Enquiry), den im Jugendwerk aufgetauchten Problemen entgehen zu können meinte.

Ausgangspunkt ist ein kurzer Vergleich der Schlußsätze der Enquiry mit dem Schlußkapitel des ersten Buches des Treatise.

Am Ende der Enquiry empfiehlt Hume nichts Geringeres als ein Autodafé: "Nehmen wir irgendeinen Band zur Hand, etwa über Gotteslehre oder Schulmetaphysik, so laßt uns fragen: Enthält er irgendeine abstrakte Erörterung über Größe oder Zahl [wie in der Mathematik]? Nein. Enthält es irgendeine auf Erfahrung beruhende Erörterung über Tatsachen und Existenz [wie in den empirischen Wissenschaften]? Nein. Nun, so werft ihn ins Feuer, denn er kann nichts als Sophisterei und Blendwerk enthalten."(1) Diese Sätze, vom direkten Aufruf zur Bücherverbrennung einmal abgesehen, wurden später gleichsam zum Credo der Logischen Empiristen.

Ganz anders das Schlußkapitel des ersten Buches des Treatise. Hume gibt hier seinem Scheitern als Philosoph, seiner Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit Ausdruck. Die Stimmung erinnert an Schwindelgefühle, wie sie einen angesichts eines tiefen Abgrunds überkommen mögen. Hume beschreibt sich sogar als jemanden, der "auf viele Sandbänke aufgelaufen" ist. Zunächst "sehe ich mich durch die menschenleere Einsamkeit, in die mich meine Philosophie geführt hat, in Schrecken und Verwirrung gesetzt ... Wende ich den Blick nach außen, so sehe ich überall Streit, Widerspruch, Zorn, Verleumdung ... Richte ich mein Auge nach innen, so entdecke ich nichts als Zweifel und Unwissenheit."(2) Hume schreibt, daß er bereit sei, "allen Glauben und alles Vertrauen zurückzuweisen", und daß er "keine Meinung für wahrscheinlicher" halte "als jede beliebige andere ... Ich fange an, mir einzubilden, daß ich ... des Gebrauchs jedes ... Vermögens vollständig beraubt bin."(3) Hume will "alle ... Bücher ... ins Feuer werfen"(4) und faßt beinahe den Entschluß, "auf dem öden Felsen", auf dem er sich augenblicklich befindet, "umzukommen".(5)

Während die Schlußsätze der Enquiry Humes offensivstes Bekenntnis sind, so ist das Schlußkapitel des ersten Buches des Treatise sein existenziellstes. Hatte er 1739 aus Verzweiflung noch alle Bücher in die Flammen werfen wollen, so sind es neun Jahre später nur noch EINIGE, nämlich jene über Transzendentes, und das ist für Hume: >Gotteslehre und Schulmetaphysik<. Welche geistige Entwicklung fällt nun in die Jahre nach der Publikation des Treatise und vor der Veröffentlichung der Enquiry? Was ist das tragfähige Fundament, das Hume gefunden zu haben meint? Um die Zuversicht des reifen Philosophen zu verstehen, muß man sich zunächst Klarheit verschaffen über die Gründe seines Scheiterns im Treatise. Die Tiefenstruktur der Enquiry erschließt sich nur dann, wenn man weiß, weshalb das erste Buch des Jugendwerks in den Augen des Autors kläglich gescheitert war.(6)

 

1. Teil

Im Treatise unterscheidet Hume drei Weltanschauungen, und zwar: vulgar superstition, false philosophy sowie true philosophy.(7)

(1) Vulgar superstition. Hume versteht darunter den gemeinen Aberglauben.(8) Seitdem er sich mit etwa 20 Jahren von den Dogmen des Calvinismus und eines neuplatonisch gefärbten Stoizismus endgültig befreit hatte, werden Aberglaube und enthusiasm, also >religiöse Schwärmerei<, ständige Objekte seiner Kritik.(9)

Im Treatise konzentrierte sich Hume auf den Aberglauben, den er gemeinsam mit blinder Leichtgläubigkeit und Vorurteilen für eine permanente Bedrohung des Friedens und der Aufklärung hielt. Seiner Ansicht nach sollten diese Phänomene, die so großes Unheil anrichten, nicht einfach hingenommen werden, vielmehr sei deren ständige Kritik eine der Hauptaufgaben des Philosophen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel seiner aufklärerischen Haltung ist der erst posthum veröffentlichte Essay >Of Suicide<.(10) Hume verteidigt darin das grundsätzliche Recht der Menschen auf den Freitod, womit er sich gegen ein - durch Jahrhunderte lange Indoktrination - besonders resistentes Vorurteil wandte. Seiner Ansicht nach verdunkelten hier abergläubische Vorstellungen ein natürliches Menschenrecht, das in der Antike noch weitgehend akzeptiert war. Die ganze Hoffnung in diesem Kampf gegen den Aberglauben setzte Hume in die wahre Philosophie, und nur in diese:

"Ein beträchtlicher Nutzen, den die Philosophie bietet, besteht in dem unübertrefflichen Gegengift, das sie gegen Aberglauben und falsche Religion gewährt. Alle anderen Heilmittel gegen diese verderbliche Krankheit sind vergeblich oder zumindest ungewiß. Schlichter gesunder Verstand und Weltkenntnis, die allein für die meisten Vorfälle des Lebens ausreichen, erweisen sich hier als unwirksam. Geschichte wie auch tägliche Erfahrung liefern Beispiele von Männern, die mit den größten Fähigkeiten für Geschäfte und sonstige Angelegenheiten versehen ihr ganzes Leben lang dem gröbsten Aberglauben sklavisch ergeben geblieben sind. Selbst Fröhlichkeit und ein sanftes Temperament, die Balsam in jede andere Wunde träufeln, liefern kein Heilmittel gegen ein derart bösartiges Gift ... Hat aber die gesunde Philosophie erst einmal die Herrschaft über den Verstand erlangt, dann ist der Aberglaube wirksam verbannt ..."(11)

(2) False philosophy. Unter der >falschen Philosophie< versteht Hume den dogmatischen Rationalismus der Cartesianer.(12) Diese erhoben den Anspruch, Dinge mit absoluter Sicherheit zu wissen – deshalb >dogmatisch< – und das Wesen von Gott, Mensch und Universum mit Hilfe des Verstandes erkennen zu können – deshalb >rationalistisch<.(13)

Hume hoffte, "die Hinfälligkeit"(14) einer derartigen Philosophie zu zeigen, und zwar mit Hilfe des Aufweises, daß Menschen Dinge nicht mit absoluter Sicherheit wissen können; und daß wir uns zufrieden geben müssen, die Phänomene der Dinge zu verstehen. Deren "geheime Ursachen"(15) – warum überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts sei - bleiben uns für immer verborgen.

(3) True philosophy. Da jeder Philosoph die >wahre< Philosophie so bestimmt, daß er selbst ein >wahrer Philosoph< ist, handelt es sich dabei natürlich um Humes eigene Position. Im Gegensatz zu den Vertretern des gemeinen Aberglaubens und der falschen Philosophie reflektiert der wahre Philosoph auf der Basis einer – wie Hume sie nennt – science of man. Heute wäre das, was Hume darunter versteht, als >Erkenntnistheorie< und >empirische Psychologie< zusammengefaßt.

Laut Hume kann man in der science of man, sofern man sich auf genaue Analyse und Beobachtung stützt, zu ebenso präzisen und vertrauenswürdigen Ergebnissen wie in der Naturphilosophie gelangen. Da Naturphilosophen, seit sie ihr apriorisches Theoretisieren aufgegeben haben, Hochinteressantes zutage fördern, wird die Befolgung der Methode der Erfahrung auch in den Geistes- bzw. Humanwissenschaften – so Hume – zu ähnlichen Erkenntnisfortschritten führen.(16)

Die Aktivitäten des wahren Philosophen erschöpfen sich jedoch nicht in dieser science of man, sondern vor dem Hintergrund einer solchen empirischen Lehre vom Menschen sollen auf dem Gebiet der Ethik und Politik begründete Urteile gefällt werden. Es gibt also in Humes true philosophy nicht bloß einen bedeutenden deskriptiven Anteil (wie der Ausdruck >science of man< nahelegt), sondern auch einen zentralen normativen Anteil (wie allein schon der Titel eines seiner späteren Werke nahelegt, nämlich der 1751 publizierten Enquiry concerning the Principles of Morals). Aber da es im ersten Buch des Treatise und in der ersten Enquiry primär um die Klärung der Grundlagen geht, steht die science of man im Vordergrund.(17)

Neben diesen drei weltanschaulichen Positionen unterscheidet Hume drei Arten, wie Lebewesen urteilen. Diese faculties of the understanding, >Urteilsvermögen<(18), sind: demonstrative reasoning, the general operations of the imagination sowie the trivial operations of the imagination.

(1) Demonstrative reasoning. Mit Hilfe dieses Urteilsvermögens fällen wir analytische und notwendig wahre Urteile der Art >Dreiköpfige Katzen sind dreiköpfig<. Um die Wahrheit dieses Satzes einzusehen, brauchen wir nicht die Erfahrung zu bemühen, also die Welt nach dreiköpfigen Katzen abzusuchen und zu überprüfen, ob dreiköpfige Katzen tatsächlich dreiköpfig sind oder nicht. Denn wenn wir um die Bedeutung der im Satz enthaltenen Ausdrücke wissen, also wissen, was mit >dreiköpfig<, >sind< und >Katzen< gemeint ist (und dafür bedarf es letztlich der Erfahrung), so wissen wir auch, daß der Satz >Dreiköpfige Katzen sind dreiköpfig< wahr ist, da er allein auf logischem Wege gewonnen wurde.

Der große Vorteil, mit Hilfe logischen Schließens zu Urteilen mit größtmöglicher Gewißheit zu gelangen, wird allerdings durch einen entscheidenden Nachteil erkauft: Mittels demonstrative reasoning allein können wir kein gehalterweiterndes Wissen über die Welt erlangen. So ist beispielsweise der Wahrheitswert der Behauptung: >Es gibt dreiköpfige Katzen< nicht durch bloßes Denken, sondern allein auf empirischem Wege zu erkennen. Um feststellen zu können, ob die Existenzaussage >Es gibt dreiköpfige Katzen< wahr oder falsch ist, muß die Welt nach dreiköpfigen Katzen abgesucht werden. Wird eine solche gefunden, so ist der Satz empirisch wahr; wird keine derartige Katze gefunden, so ist der Satz empirisch falsch.(19)

Während also der Wahrheitswert der Behauptung: >Dreiköpfige Katzen sind dreiköpfig< durch bloßes Denken erkannt werden kann, ist die Wahrheit bzw. Falschheit der Behauptung >Es gibt dreiköpfige Katzen< nur durch Erfahrung entscheidbar.

Zusammengefaßt heißt dies: Obwohl demonstrative reasoning dem mathematischen Ideal absoluter Gewißheit nahe kommt, läßt sich damit keine Behauptung über die Existenz empirischer Dinge begründen. Mittels demonstrative reasoning erfahren wir zwar etwas über den Gehalt unserer Ideen bzw. Begriffe und ihre Beziehungen zueinander, also etwas über den schon vorhandenen Wissensschatz, aber wir erfahren nichts Neues über die >Existenz< der Dinge. Das Ergebnis von demonstrative reasoning mag in vielen Fällen erkenntnisgewinnend sein (da wir etwas über Dinge erfahren, die in vorliegenden Informationen enthalten, uns aber noch nicht bewußt waren), aber sie sind nicht gehalterweiternd; und über die Wahrheit des Gehalts der Prämissen entscheidet allein die Erfahrung.

(2) The general operations (faculties, properties) of the imagination. Die Hauptfunktion der general operations der Einbildungskraft ist die Strukturierung unserer Erfahrungen hinsichtlich >Ursache< und >Wirkung<. Wie Hume in seiner berühmten Kausal-Analyse näher ausführt, stellen wir mit Hilfe der auf der Basis von Sinnesdaten operierenden general operations unter bestimmten Bedingungen kausale Beziehungen her. General, >allgemein<, nennt Hume dieses Verfahren deshalb, weil die Tendenz der Einbildungskraft, die Welt nach kausalen Gesichtspunkten zu ordnen, universell ist: Philosophen, Wissenschaftlern, Kindern, ja sogar Tieren ist diese Fähigkeit eigen – auch für sie sind manche Ereignisse zumindest in rudimentärer Weise kausal miteinander verknüpft. Um an ein berühmtes Beispiel konditionierten Lernens zu erinnern: Haben Hunde mehrmals wahrgenommen, dass ein bestimmtes Klingelzeichen mit dem Verabreichen von Futter verknüpft war, dann erwarten sie bei neuerlichem Klingelzeichen erneut das Verabreichen vom Futter..

(3) The trivial operations (faculties, properties) of the imagination. Auch das dritte Urteilsvermögen des betrachtenden Subjekts beruht auf der Einbildungskraft. Mit Hilfe der trivial operations werden – so lassen sich ihre Erträge kurz umschreiben – nicht-kausale Urteile bestimmter Art gefällt. Um welche Urteile es sich dabei konkret handelt, wird sogleich näher ausgeführt; zunächst soll jedoch an Hand des Textes gezeigt werden, daß Hume tatsächlich diese zwei Verfahren der Einbildungskraft voneinander unterschied. So meinte er, "innerhalb der Einbildungskraft" zwischen denjenigen Antrieben zu unterscheiden,

"die dauernd, unwiderstehlich und allgemein sind, wie der gewohnte Übergang von Ursachen zu Wirkungen ...; und denjenigen [Antrieben], die veränderlich, schwach und unregelmäßig sind ... Die ersteren sind die Grundlage aller unserer [zentralen] Gedanken und Handlungen, so daß ohne sie die menschliche Natur sofort verschwinden und zugrunde gehen müßte. Die letzteren [also die trivial operations] sind für die Menschheit weder unvermeidlich, noch nötig, noch auch nur für ihre Lebensführung von Nutzen; es zeigt sich vielmehr, daß sie nur von schwachen Geistern Besitz ergreifen, und ... leicht aufgehoben werden können ... Es werden ... die ersteren von der Philosophie anerkannt und die letzteren verworfen."(20)

Die trivial operations der Einbildungskraft ähneln den general operations insofern, als beide Male gehalterweiternde Urteile über die Welt gefällt und nicht bloß vorhandene Informationen >gemolken< werden. Die auf der synthetisierenden Funktion der Einbildungskraft basierenden Urteile sind also keine nicht-gehalterweiternde Sätze wie die mittels demonstrative reasoning gewonnenen. Aber die trivial operations liefern Urteile über die Welt, die im Gegensatz zu denjenigen der general operations vermieden werden sollten.(21)

Humes Absicht ist es nun, die drei Urteilsvermögen, also demonstrative reasoning, general operations und trivial operations, den drei weltanschaulichen Positionen, also vulgar superstition, false philosophy und true philosophy bzw. science of man, zuzuordnen. Auf diese Weise sollen in weiterer Folge dogmatischer Rationalismus und gemeiner Aberglaube kritisiert und die true philosophy begründet werden.

Den vulgar superstition verknüpft Hume mit den trivial operations der Einbildungskraft. In den Kapiteln "Von den Wirkungen sonstiger Beziehungen und Gewohnheiten"(22) und "Über unphilosophische Wahrscheinlichkeit"(23) diskutiert Hume eine ganze Reihe unerwünschter nicht-kausaler Urteile, wobei einem Großteil derselben eine Verwechslung von Ähnlichkeit mit Identität zugrunde liegt.(24) Beispiele sind:

(a) Leichtgläubigkeit, also "ein allzu leichtes Vertrauen auf das Zeugnis anderer"(25); aus Ähnlichkeiten wird hier fälschlicherweise Identisches erschlossen;

(b) Vorurteile, also übereilte Verallgemeinerungen. Aus oberflächlichen Ähnlichkeiten, etwa Hautfarbe oder Sprache, wird auf ein >identisches Wesen< geschlossen – die Wurzel nationaler Vorurteile.(26)

Ein weiteres wichtiges Produkt der trivial operations ist

(c) die Tatsache, daß eine lange Kette logisch miteinander verknüpfter Argumente im Geist viel weniger lebendig bleibt als eine kurze Schlußfolge, wiewohl es sich in beiden Fällen um völlig korrekte Deduktionen handelt;(27)

(d) die Tatsache, daß unsere Überzeugungen gemäß Nähe und Distanz variieren, obwohl sich hinsichtlich deren Glaubwürdigkeit überhaupt nichts ändert. Humes Beispiel lautet hier, daß Gläubige oft beobachten, "daß jene Pilger, die Mekka bzw. das Heilige Land gesehen haben, nachher stets treuere und eifrigere Anhänger ihres Glaubens waren als diejenigen, welche sich jenes Vorzugs [einer Pilgerreise] nicht erfreut hatten. Trägt jemand in seiner Erinnerung ein lebhaftes Bild vom Roten Meer und der Wüste und Jerusalem und Galiläa, so zweifelt er nicht mehr [so leicht] an den wunderbaren Ereignissen ..."(28) Die Lebhaftigkeit der Vorstellung von Orten fördert offensichtlich den Glauben an die Wahrheit von Berichten über Ereignisse, die mit dem Ort in direkter Beziehung gestanden haben sollen.

Durch den Hinweis, daß abergläubische Vorstellungen, der >gemeine Aberglaube<, primär auf trivial operations (und nicht auf demonstrative reasoning oder general operations) basieren, erhofft sich Hume eine fundamentale Kritik abergläubischen Denkens. Denn sind auch die Produkte der trivial operations weit verbreitet, so kann laut Hume ihr Einfluß durch kontrolliertes, an der Erfahrung orientiertes Denken zurückgedrängt werden. Tatsächlich wird vieles, was ehedem als übernatürliches Ereignis galt, etwa das Grollen des Donners oder die Verfinsterung der Sonne, heutzutage auf natürliche Weise erklärt. An diesem Punkt der philosophischen Analyse im Treatise ist Hume also eindeutig der Meinung, daß nur die general operations "dauernd, unwiderstehlich und allgemein", ja lebensnotwendig seien. Und mag auch der gemeine Aberglaube, also das Produkt der trivial operations, weitverbreitet sein, so weisen "kluge Menschen" diese Form der Urteilsbildung zurück, da sie von "irregulärer Art ist und den bestbegründeten Grundsätzen des Denkens widerspricht"(29); Aberglaube ist eben bloßes Produkt der Phantasie.

Die oben genannte Dreiteilung der Urteilsvermögen dient Hume zudem als Basis für seine Kritik am dogmatischen Rationalismus: Falls wir uns am Erkenntnisideal völlig gesicherten Wissens orientieren, werden wir – mittels demonstrative reasoning – nur über den Gehalt bereits vorhandener Informationen Erkenntnisse gewinnen; da wir jedoch von den letzten Dingen der Welt keine Erfahrung haben, können wir kein sicheres Wissen über das Wesen der Welt erlangen. Mit dieser Kritik will Hume natürlich nicht behaupten, daß von rationalistischer Seite keine interessanten Erkenntnisse über die Welt gemacht worden wären, sondern nur, daß diesen Erkenntnissen nicht demonstrative reasoning allein zugrunde liegen kann – weshalb ihnen jene Gewißheit, die Rationalisten für sie beanspruchen, auch nicht zukommen kann. Und manche Thesen der Rationalisten sind eindeutig Produkte der trivial operations: "Die Anschauungen der alten [rationalistischen] Philosophen, ihre Fiktionen von Substanz und Akzidenz, und ihre Spekulationen hinsichtlich substantieller Formen und verborgener Eigenschaften sind gleich den Gespenstern im Dunkeln; sie stammen aus Vorstellungsantrieben, die, wie gewöhnlich sie auch sein mögen, in der menschlichen Natur weder allgemein [wirksam] noch unvermeidlich sind. [Es sind dies Produkte der trivial operations. Im Gegensatz dazu] erhebt die moderne [empiristische] Philosophie den Anspruch, von diesem Fehler vollkommen frei zu sein und ausschließlich auf den festen, dauernden und beständigen Antrieben der Einbildungskraft [also den general operations] zu beruhen."(30)

Der Sieger in diesem Zweifrontenkampf soll natürlich Humes eigene Position sein. Die wahre Philosophie bzw. die science of man vermag zwar keine absolut gültigen Urteile über das Wesen der Dinge zu liefern, wohl aber wahrscheinliche Urteile über die Phänomene der Dinge. Falls das Programm des Treatise gelänge, wäre die wahre Philosophie dem Rationalismus insofern überlegen, als sie gehalterweiternde Urteile über die Welt und nicht bloß inhaltsleere Tautologien liefert. Dem gemeinen Aberglauben wiederum ist die wahre Philosophie deshalb überlegen, weil sie für ihre Erkenntnisse >Wahrscheinlichkeit< bzw. >Vertrauenswürdigkeit< beanspruchen kann, basiert sie doch auf general operations, also auf jenen intellektuellen Verfahren, die sich "durch Bestimmtheit und Unwandelbarkeit"(31) auszeichnen. Der gemeine Aberglaube basiert hingegen auf Erkenntnisvermögen, die "sehr unbedeutend und schwankend"(32) sind.

Aber Hume entdeckt im Lauf der Analyse eine ganze Reihe von Problemen, die sein empiristisches Projekt zum Scheitern bringen. In aller Kürze lautet seine Entdeckung, daß demonstrative reasoning und general operations allein nicht imstande sind, eine science of man zu begründen. Denn sobald wir uns ausschließlich auf diese beiden Vermögen verlassen, geraten wir unweigerlich in einen völligen Skeptizismus, und nicht zu jenem maßvollen Skeptizismus, der das Newtonsche Programm einer science of man erst ermöglicht und den wahren Philosophen auszeichnet. Im Lauf der Analyse macht Hume nämlich die für seinen Ansatz vernichtende Entdeckung, daß der gemäßigte Skeptizismus in den trivial operations wurzelt. Deshalb sind die trivial operations auch kein vermeidbares Merkmal schwacher Geister mehr, wie zunächst behauptet, sondern SIE sind allgemein, unwiderstehlich und unvermeidlich, kurz: lebensnotwendig. Am Ende des Treatise muß Hume eingestehen, daß die trivial operations bloß "seemingly trivial", also nur "anscheinend bedeutungslos" sind.(33)

Aber damit ist Hume in ein fürchterliches Dilemma geraten: Will er die science of man auf demonstrative reasoning und general operations allein gründen, so gerät er in den extremen Skeptizismus, also in den Pyrrhonismus – eine Philosophie, die Hume als die einer "phantastischen Sekte" abtun möchte.(34) Stützt er die science of man hingegen letztlich auf die trivial operations, so gründet er sie auf eben jene Verfahren der Einbildungskraft, die auch dem gemeinen Aberglauben zugrunde liegen. Aber dann hat er keine Handhabe mehr, den Aberglauben zu kritisieren und als leeres Geschwätz abzutun, ist doch die empirische Wissenschaft ebenso unbegründet wie der vulgar superstition.

Zu diesem fatalen Ergebnis kam Hume aufgrund mehrerer Analysen, und zwar hinsichtlich

  • des Glaubens an die Vertrauenswürdigkeit der Vernunft (Vernunft-Analyse),

  • des Glaubens an die Existenz der Außenwelt (Substanz-Analyse; Außenweltproblem),

  • des Glaubens an die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs (Induktions-Analyse), und

  • des Glaubens an die Existenz des Ichs (Ich-Analyse).

In jedem dieser Fälle entdeckt Hume, daß lebensnotwendige Glaubensinhalte über die Welt auf trivial operations und nicht, wie ursprünglich angenommen, auf demonstrative reasoning und general operations basieren. Mit anderen Worten: Diese lebensnotwendigen Glaubensinhalte basieren auf keinen logischen oder kausalen Schlüssen, sondern auf irgendwelchen anderen Verfahren der Einbildungskraft, der Phantasie. Die Einsicht in die Unvermeidbarkeit dieser "trivialen Verfahren des Geistes" bedeutet das völlige Scheitern des ursprünglichen empiristischen Projekts.

Von diesen vier Analysen kommt Hume in der Enquiry bloß auf das Induktionsproblem ausführlich zu sprechen. Die Substanz-Analyse wird im späteren Werk nur noch gestreift, und auch dies eigentlich nur, um die neue Lösung des Problems zu verdeutlichen; die Ich-Analyse wird von Hume nicht mehr diskutiert, aber aufgrund der Ähnlichkeit zur Substanz-Analyse läßt sich erschließen, worin er die Lösung auch dieses Problems gesehen hat. Die Diskussion des Glaubens an die Vertrauenswürdigkeit der Vernunft fehlt in der Enquiry überhaupt. Die Vernunft-Analyse ist eine der wenigen Überlegungen des Treatise, die Hume in späteren Schriften in keiner Weise mehr wiederholt hat. Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, daß Hume sie schließlich als falsch erachtet hat (was sie wahrscheinlich auch ist). An dieser Stelle der Kommentierung der Humeschen Philosophie geht es jedoch nicht um die Wahrheit oder Falschheit eines der von Hume vorgebrachten Argumente, also um äußere Systematik, sondern um innere Systematik, d.h. um die Frage, welche Argumente von Hume als richtig und welche als unrichtig angesehen wurden.

Im folgenden sei nur auf diese weitgehend unbekannte Vernunft-Analyse näher eingegangen.(35) Im Abschnitt "Vom Skeptizismus in bezug auf den Verstand" entwickelt Hume jenes Argument gegen den dogmatischen Rationalismus, das zeigen soll, "wie jedes Wissen in bloße Wahrscheinlichkeit umschlägt"(36); und das sodann die Wahrscheinlichkeit aller Urteile, sowohl induktiver als auch deduktiver Art, auf Null reduziert.(37) Die Details dieses sonderbaren Arguments sind an dieser Stelle unwichtig; wichtig ist allein die Tatsache, daß Hume im Treatise der Meinung ist, vor dieser lebensgefährlichen Destruktion unserer Überzeugungen und Glaubensinhalte könnten uns allein trivial operations der Einbildungskraft bewahren.

In aller Kürze lautet das Argument(38) so: Bei jedem Urteil bleibt ein gewisser Spielraum an Irrtumsmöglichkeiten (fehlerhafte Erinnerung etc.). Wollen wir nun mit Hilfe eines zweiten Urteils die möglichen Irrtumsquellen des ersten ausschalten, dann ist auch jenes bloß wahrscheinlich, da ebenfalls für uns nicht als völlig irrtumsfrei einsehbar. Auch ein drittes Urteil, mit dessen Hilfe das zweite begründet bzw. korrigiert werden soll, ist bloß wahrscheinlich, und so weiter. Multipliziert man alle diese Wahrscheinlichkeiten, reduziert sich diejenige des ursprünglichen Urteils auf Null. Das fatale Ergebnis dieser "Skepsis in bezug auf den Verstand" ist laut Hume "ein vollkommenes Erlöschen des Glaubens und der Gewißheit"(39). Dieses Aufzehrungsargument erinnert an das religionskritische Argument, daß die Zeugenkette umso unverläßlicher wird, je länger sie ist.(40) Im Falle dieser Argumentation bezieht sich das Denken immer wieder auf sich selbst, wie der Polyp, der sich selbst auffrißt, wie das Feuer, das mit dem Stoff, den es verbrennt, zugleich sich selbst verzehrt. Der Verstand scheint sich unter gewissen Bedingungen gegen sich selbst zu wenden und jede Sicherheit zu zerstören. Aus diesem vollständigen Skeptizismus rettet uns nur die Tatsache, daß wir so hochabstrakte Analysen rasch wieder vergessen. Ohne diese >Trivialität<, ohne diese Verdrängung, würden wir zu völligen Skeptikern und gänzlich lebensunfähig werden. Trivial operations sind somit nicht bloß "schwachen Geistern" eigen, sondern SIE sind lebensnotwendig.

Im Schlußkapitel des ersten Buches des Treatise gibt Hume dem Scheitern seines Projekts mit beredten Worten Ausdruck. In der Einleitung hatte er noch vollmundig versprochen, "geraden Wegs auf die Hauptstadt" loszumarschieren, nämlich der science of man eine dauerhafte Grundlage zu verschaffen(41), aber im Schlußkapitel ist er sehr kleinlaut und gibt sich bereits zufrieden, wenn er diese "ein bißchen mehr in Mode bringen kann"(42). Hume drückt das Dilemma, in das er geschlittert war, deutlich aus:

Unkritisches Vertrauen in die trivial operations führt in den gemeinen Aberglauben, und Vertrauen in demonstrative reasoning und general operations führt in den Pyrrhonismus; vor dieser letzteren, lebensgefährlichen Konsequenz bewahren uns nur trivial operations der Einbildungskraft, etwa jene, dass wir lange Schlussketten, sind sie auch völlig richtig (etwa die Vernunft-Analyse), schnell wieder vergessen. Somit stehen wir vor der wenig attraktiven Alternative: entweder false reason, die in den trivial operations gründet, oder none reason at all – also entweder falsche Erkenntnis oder aber Pyrrhonismus, das Ergebnis von demonstrative reasoning und general operations. Die entscheidende Stelle im Treatise lautet so:

"Schenken wir jeder beliebigen alltäglichen Eingebung der Einbildungskraft [also den trivial operations] Glauben, so verleiten uns diese Eingebungen, abgesehen davon, daß sie einander vielfach widersprechen, auch zu solchen Irrtümern, Absurditäten und Unverständlichkeiten, daß wir uns zuletzt unserer Leichtgläubigkeit schämen müssen ... Wenn nun aber die Betrachtung der Irrtümer ... uns den Schluß fassen läßt, alle beliebigen alltäglichen Eingebungen der Einbildungskraft abzuweisen und es lieber mit dem Verstande ... [und] den Wirkungen der Einbildungskraft von allgemeiner und erprobter Geltung [also den general operations] zu halten, so drohen neue Gefahren. Eben dieser Entschluß führt, wenn er konsequent durchgeführt wird, zu den schlimmsten Folgen. Ich habe bereits gezeigt [und zwar in der Vernunft-Analyse], daß der Verstand, wenn er für sich allein und nach seinen allgemeinsten Prinzipien tätig ist, sich gegen sich selbst wendet, und jede Gewißheit zerstört, in der Philosophie wie im gewöhnlichen Leben. Aus solchem vollständigen Skeptizismus retten wir uns nur durch jene seltsame und anscheinend [!] bedeutungslose Eigentümlichkeit der Einbildungskraft, die darin besteht, daß wir uns nur schwer in das unserem geistigen Auge Fernerliegende hineinversetzen [eine typische Wirkung der trivial operations] ... Sollen wir nun den allgemeinen Grundsatz aufstellen, daß wir keinem komplizierteren oder ins Feine ausgesponnenen Gedankengang Glauben beimessen dürfen? [Sollen wir uns also immer den trivial operations überlassen?] Man überlege die Folgen eines solchen Grundsatzes. Alle Wissenschaft und Philosophie schnitte man dadurch vollständig ab ... Wofür sollen wir uns nun inmitten dieser Schwierigkeiten entscheiden? Wenn wir ... jede feiner ausgesponnene Schlußfolgerung verdammen, so verwickeln wir uns in die offenbarsten Absurditäten. Wenn wir ihn zugunsten solcher Schlußfolgerungen verwerfen, so zerstören wir den menschlichen Verstand. Es bleibt uns also nur die Wahl zwischen falscher Erkenntnis oder gar keiner ."(43)

Da Hume im Treatise keine Möglichkeit sah, sich der Alternative falsche Erkenntnis oder gar keine zu entziehen, "ergab" er sich, wie Kant treffend bemerkte, "gänzlich dem Skeptizismus" – und brachte seine verzweifeltsten Sätze als Philosoph zu Papier.(44)

Fassen wir zusammen: Humes Treatise ist bestenfalls ein Teilerfolg. Wenn man den Dogmatiker so definiert, daß er glaubt, über völlig sicheres Wissen über Gott oder die Welt zu verfügen, dann ist Humes Kritik durchaus erfolgreich. Denn er hat gezeigt – manche meinen: jenseits vernünftigen Zweifels gezeigt -, daß auf rein logischem Wege keine gehalterweiternden Aussagen begründet werden können. Weil der Verstand in dieser Hinsicht unfruchtbar ist, gibt es nur einen Weg, Tatsachenfragen zu entscheiden, und das ist der oft mühsame Weg der Erfahrung; auf diesem Pfad läßt sich jedoch nichts finden, das absolut gewiß wäre.

Aber hat auch Hume im Gedankengebäude des Rationalismus unauslöschliche Spuren hinterlassen, so ist seine Kritik des Aberglaubens völlig mißlungen. Und natürlich ist der Aberglaube ein noch viel größerer Feind der Aufklärung als der dogmatische Rationalismus. Aber anstatt dem Aberglauben den beabsichtigten intellektuellen Todesstoß zu versetzen, mußte er ihn im Laufe der Analyse immer mehr befürworten. Indem Hume erkannte, daß die trivial operations der Einbildungskraft sogar lebensnotwendig sind, war er gezwungen, dem reinen Irrationalismus Legitimität zu zollen. Auch wenn er im Schlußkapitel des Treatise mit dem Mut der Verzweiflung schreibt: 'Wir müssen uns ... über die Wahl unseres Wegweisers entscheiden ... Ich erkühne mich nun, zu solcher Führerschaft die Philosophie zu empfehlen; ich trage kein Bedenken, ihr vor dem Aberglauben ... den Vorzug zu geben"(45) – trotz dieser kühnen Worte ist klar, daß Hume den Kampfplatz als Geschlagener verläßt. Das Stärkste, das er für die Philosophie noch in die Waagschale werfen kann, ist der Hinweis, daß sie das kleinere von zwei Übeln sei: "Im allgemeinen aber sind die Irrtümer in der Religion gefährlich, die Irrtümer in der Philosophie lediglich lächerlich.(46) Aber auch dieser Hinweis ist wider besseres Wissen gemacht, stürzt doch die Philosophie jene, die sie wirklich ernst nehmen, zumindest für einige Zeit in größte Probleme.

 

2. Teil

Das zentrale Problem, dem Hume sich stellen mußte, als er sich Jahre später zur Umarbeitung des ersten Buches des Treatise entschloß, lautet somit: Wie kann die science of man begründet und der Aberglaube als unbegründet bloßgestellt werden? Da nach Hume die Haltung des wahren Philosophen diejenige des gemäßigten oder akademischen Skeptizismus ist, kann die Frage auch so formullert werden: Wie läßt sich ein gemäßigter Skeptizismus rechtfertigen? Es ist diese Frage, die Hume in der Enquiry in den Vordergrund rückt.

Im Treatise hatte er die Schwierigkeiten, in die er geraten war, mit dem Hinweis gelöst, daß trivial operations uns vor der Verzweiflung retten, in die uns die grenzenlose Skepsis stürzt. In der Enquiry betont er nun, daß uns etwas ganz anderes vor den destruktiven Tendenzen des Pyrrhonismus bewahrt, und zwar:

(1) Ein neues Vermögen. In der Enquiry hebt Hume an mehreren Stellen die Existenz von natural beliefs, von >natürlichen Glaubensinhalten< bzw. >instinktiven Überzeugungen< hervor. Diese werden seiner Ansicht nach nicht nur von allen Menschen, sondern – wie insbesondere im Abschnitt "Über die Vernunft der Tiere" ausgeführt – sogar von allen Lebewesen geteilt. Hume ist überzeugt, daß "kleine Kinder, ja selbst unvernünftige Tiere ... durch Erfahrung klüger werden und die Eigenschaften natürlicher Dinge durch Beobachtung ... kennen lernen. Ein Kind, das die Wahrnehmung des Schmerzes bei Berührung einer Kerzenflamme gemacht hat, wird darauf bedacht sein, seine Hand nicht [mehr] in die Nähe einer Kerze zu bringen."(47)

Es kann somit keine Vernunfttätigkeit sein, die uns die Wahrheit der induktiven Regel annehmen läßt, derzufolge die Zukunft der Vergangenheit ähnlich ist und die uns gleichartige Wirkungen aus gleichartigen Ursachen erwarten läßt. Weil es sich hier um ein gemeinsames biologisches Erbe handelt, ist der Glaube an eine gewisse Gleichförmigkeit des Naturverlaufs kein Produkt der Einbildungskraft. Nicht aufgrund von trivial operations of the imagination, sondern dank einiger natural beliefs halten wir an einigen wenigen nicht-begründbaren, aber doch lebensnotwendigen Überzeugungen fest. Bei diesen nicht-begründbaren, lebensnotwendigen Überzeugungen handelt es sich neben dem Glauben an eine gewisse Gleichförmigkeit des Naturverlaufs noch um den Glauben an die Existenz des Ichs sowie an die Existenz einer Außenwelt. Durch Einführung der natural beliefs glaubt Hume, der science of man ein Fundament geben und damit den Aberglauben zurückweisen zu können.

Der doppelte Aspekt seines gemäßigten Skeptizismus wird in den beiden religionsphilosophischen Abschnitten der Enquiry, also in den Abschnitten X und XI, besonders deutlich: Der Autor hält zum einen an der empirischen Wissenschaft fest und kritisiert zum anderen unliebsame Produkte der Einbildungskraft. Da beispielsweise jedes Wunderereignis einem etablierten Naturgesetz widerspricht, ist jeder Wunderbericht – so Hume - aus eben diesem Grunde höchst unwahrscheinlich. Auf das naheliegende Argument eines erkenntnistheoretisch geschulten Theologen: Aber Hume hält doch auch Sätze für wahr, ohne sie begründen zu können, zum Beispiel den Glauben an die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs!, lautet die wohl treffendste Antwort so: Ja, aber daran glaubst Du auch! Wirklich problematisch sind jedoch Glaubensinhalte, die darüber hinausgehen und strittig sind, etwa der religiöse Glaube an einen gütigen Gott.(48)

Leider hat Hume seine Theorie der natural beliefs, die apriorisch und synthetisch zu sein scheinen, nicht weiter ausgearbeitet.(49) Zudem sind seine diesbezüglichen Ausführungen nicht ganz eindeutig. Denn manchmal legen sie nahe, daß der Glaube an die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs als Instinkt, also als eine angeborene Überzeugung zu verstehen sei. Dann wiederum scheint er zu meinen, daß dieser Glaube erst durch Gewohnheit in uns entsteht. In dieser Interpretation würde der Glaube an die Gleichfömigkeit des Naturverlaufs letztlich aber erst durch einen Reiz ausgelöst werden. Dagegen jedoch spräche, dass insbesondere dann, wenn die Ereignisse mit großen Emotionen verbunden sind, bereits nach einmaliger Erfahrung, also ohne Gewöhnung, ein Zusammenhang zwischen Dingen angenommen wird. Hume bringt selbst das Beispiel vom >Kind, das die Wahrnehmung des Schmerzes bei Berührung einer Kerzenflamme gemacht hat< und von nun an darauf bedacht sein wird, >seine Hand nicht mehr in die Nähe einer Kerze zu bringen<. Aber in diesem Fall ist der Glaube an eine Gleichförmigkeit des Naturverlaufs keine Gewöhnungssache, sondern angeboren.

Trotz dieser offen gebliebenen Fragen läßt sich jedoch zusammenfassend sagen, daß Hume im Treatise unfreiwillig den Weg vom dogmatischen Empiristen zum Pyrrhoneer gegangen ist und sich in der Enquiry über die Brücke einer naturalistischen Argumentation zum gemäßigten und selbstbewussten Skeptiker entwickelt hat.

(2) Die Begrenzung von demonstrative reasoning und general operations auf bestimmte Gegenstandsbereiche. Die Tatsache, daß diese beiden Vermögen mit Bezug auf metaphysische Gegenstände zu Aporien und Regressen führen, bedeutet nicht, daß sie nicht auf anderen Gebieten der Forschung als Basis dienen könnten.

Wahre Philosophen wissen um diese Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisvermögen und werden "niemals versucht sein, über das alltägliche Leben hinauszugehen ... Solange wir keinen befriedigenden Grund angeben können, warum wir nach tausend Versuchen glauben, daß ein Stein fallen und Feuer brennen wird – können wir da wohl zu einer uns zufriedenstellenden Bestimmung hinsichtlich des Ursprungs der Welten und des Zustands der Natur von Anfang und in alle Ewigkeit kommen?"(50)

Die geeigneten Gegenstände der Forschung sind zum einen relations of ideas, also die Produkte von demonstrative reasoning. Ihnen kommt größtmögliche Gewißheit zu, aber alle rationalistischen Versuche, diese "vollkommeneren Arten des Wissens über diese Grenzen hinaus auszuweiten, sind bloß Sophisterei und Blendwerk".(51) Die weiteren sinnvollen Untersuchungen betreffen matters of facts, und diese sind nicht demonstrierbar, denn "alles das, was ist, kann auch nicht sein." Urteilen wir auf diesem Gebiet apriorisch, so vermag jedes Ding jedes andere hervorzubringen: "Der Fall eines Kieselsteins kann, soviel wir wissen, die Sonne auslöschen oder der Wunsch eines Menschen die Bahnen der Planeten lenken." Es bedarf also der Erfahrung, die uns über tatsächliche kausale Beziehungen belehrt.(52)

Ungeeignete Gegenstände der Forschung sind die Vorhaben der Rationalisten, aber auch jene Dinge, von denen jeder weiß, daß sie wahr sind: daß es Personen gibt, die auch dann existieren, wenn wir sie nicht sehen; daß es andere Menschen gibt, die so wie wir leben und über ähnliche Bedürfnisse und Intelligenz verfügen; daß die Zukunft der Vergangenheit ähnlich ist, etc. Das Geschäft des Philosophen ist es nicht, diesen common sense ernsthaft zu in Frage zu stellen, sondern die Energien darauf zu verwenden, jene Dinge zu verstehen und zu durchschauen, die strittige Probleme des täglichen Lebens sind.

(3) Die Praxisbezogenheit der Philosophie. Die in der Enquiry propagierte Form der Philosophie ist in dem Sinn praxisbezogen, daß sie allein der diesseitigen Welt zugewandt ist und die Bedeutung des Handelns hervorstreicht.

Dem Autor der Enquiry zufolge sind der "große Überwinder des Pyrrhonismus" die Aktivitäten des täglichen Lebens. Die skeptischen Prinzipien mögen in den Schulen "blühen und triumphieren, wo es in der Tat schwierig, wenn nicht unmöglich ist, sie zu widerlegen. Sobald sie aber ... durch die Gegenwart der wirklichen Dinge ... in Gegensatz zu den mächtigen Prinzipien unserer Natur treten, vergehen sie wie Rauch und lassen den entschiedensten Skeptiker in derselben Lage wie andere Sterbliche zurück."(53)

Ganz ähnlich meinte Wittgenstein, daß viele philosophischen Probleme entstehen, wenn die Sprache nicht arbeitet, sondern "feiert".(54) Das Wittgensteinsche >wenn< ist hier wohl konditional und nicht bloß temporal zu verstehen. Die Abweichung von der Alltagssprache ist also Ursache und nicht bloß Symptom der philosophischen Krankheit. Tatsächlich stellen sich manche Fragen während oder bei der Arbeit nicht, sondern erst in Distanz zu ihr. Wenn sich jemand für die Beschaffenheit der Welt ernsthaft interessiert, dann wird er sich um die Existenz der Außenwelt kaum Sorgen machen. Bei Hume heißt es, daß "der skeptische Zweifel ... umso stärker [wird], je weiter wir unser Nachdenken treiben, mögen wir dies tun, um den Zweifel zu bekämpfen oder um ihn zu rechtfertigen. Sorglosigkeit und Nichtachten [auf die Zweifelsgründe], das allein kann uns heilen."(55) Die Überwindung des Pyrrhonismus ist also kein rationales Wissen, sondern die Tätigkeit des täglichen Lebens. "Die Begründung aber, die Rechtfertigung der Evidenz kommt zu einem Ende", schrieb Wittgenstein an einer besonders berühmten Stelle; "- das Ende aber ist nicht, daß uns gewisse Sätze unmittelbar als wahr einleuchten, also eine Art Sehen unsrerseits, sondern unser Handeln, welches am Grunde des Sprachspiels liegt."(56)

Schon im Treatise hatte Hume es aufgegeben, der pyrrhonischen Forderung nachzukommen, daß man sich stets des Urteils enthalten und Epoche üben müsse. Offenbar unterliegt es nicht unserem Willen, gewisse Dinge für wahr zu halten. Die Natur hat uns in diesem Punkt keine Freiheit gelassen; sie zwingt uns, manches unabhängig vom Erfolg rationaler Rechtfertigungsversuche als wahr anzunehmen, so wie sie uns zwingt, zu atmen und zu fühlen. Manches kann offenbar nur mit den Lippen verneint werden. Der pyrrhonische Zweifel, der rational nicht widerlegt werden kann, besitzt allerdings auch keine Überzeugungskraft. Man kann als Pyrrhoneer – sofern man die strikte Forderung nach jeder Urteilsenthaltung verwirklichen will – nicht leben. Es ist sinnlos, den extremen Skeptizismus zu lehren und dann zu sagen: Laßt uns Pyrrhoneer sein! Bei Nietzsche heißt es: "Ich lobe mir jede Skepsis, auf welche mir erlaubt ist zu antworten: >Versuchen wir's!< Aber ich mag von allen Dingen und allen Fragen, welche das Experiment nicht zulassen, Nichts mehr hören. Diess ist die Grenze meines 'Wahrheitssinnes': denn dort hat die Tapferkeit ihr Recht verloren."(57)

In der Enquiry wechselt Hume häufig von der Ebene des >wissbegierigen< auf die des >handelnden< Wesens: "Mein Handeln, so sagt man, widerlegt meine Zweifel. Aber dann mißversteht man den Sinn meiner Frage. Als Handelnder bin ich in diesem Punkt vollkommen zufrieden, aber als Philosoph ... möchte ich gerne die Grundlage ... kennenlernen."(58)

Wenn Hume von Handeln spricht, so meint er nicht nur den konkreten Vollzug einer Handlung, sondern er spricht dann von einer "gemeinsamen [common] Anschauung", einem "Geist [mind] in seiner üblichen [common] Verfassung"(59); an einer Stelle unterscheidet er "Gedankengänge des alltäglichen [common] Lebens" von einer "abstrakten Vernunfttätigkeit"(60). Handeln ist eine bestimmte Denkweise und Gewißheit, eine >praktische Vernunft< eigen. Bei Wittgenstein heißt es: ">Ich weiß das alles.< Und das wird sich darin zeigen, wie ich handle und über die Dinge spreche."(61)

Leider hat Hume auch diese Gedanken in der Enquiry nicht wirklich ausgearbeitet. Allerdings finden sich darin zahlreiche metaphilosophische Gedanken, also Reflexionen über die Rolle der Philosophie, insbesondere über die Rolle der Skepsis. Der Autor der Enquiry war, so legen die zum Teil recht schlampigen Ausführungen der ersten Abschnitte nahe, an erkenntnistheoretischen Problemen als solchen kaum noch interessiert; was den reifen Hume jedoch eminent interessierte, war die Frage, wie Philosophie und common life zusammengehen und wie der Philosoph dem exzessiven Zweifel entgehen könne. Und die Antwort (wie sie bereits im Treatise gelegentlich angedeutet war): Der Philosoph muß zurück auf rauhen Grunde, will er der Skepsis entgehen und die Dinge wieder klar und deutlich sehen.

Ganz ähnlich wie Wittgenstein wünscht sich Hume, daß den "Begründern unserer philosophischen Systeme" etwas von der "groben erdigen Mischung" beigefügt wäre, um die "Wirkung der feurigen Teilchen, aus denen sie zusammengesetzt sind, zu mäßigen. Solange es dem Feuer der Einbildungskraft erlaubt ist, in der Philosophie mitzureden und Annahmen Zustimmung finden, bloß weil sie bestechend und angenehm sind, können wir niemals zu festen Prinzipien gelangen ..."(62) In einer Lebensform, in der dem Denken etwas von der groben Praxis des Lebens beigemischt ist, tauchen gewisse Fragen nicht mehr auf. Hinsichtlich der psychischen Auswirkungen ist Hume über den pyrrhonischen Extremismus nicht länger wirklich besorgt. Die menschliche Natur scheint die Übernahme pyrrhonistischer Grundsätze zu verhindern und die Phantasien des grenzenlos Zweifelnden zu zähmen. Der gemäßigte Skeptiker beschränkt seine Untersuchungen auf jene Gegenstände, die dem menschlichen Erkenntnisvermögen zugänglich sind.

Auf den letzten Seiten der Enquiry skizziert Hume eine Landkarte, in der die angemessenen Territorien in der Republik des Lernens eingezeichnet sind: Theologie, Schulmetaphysik, aber auch die meisten Analysen des ersten Buches des Treatise finden darin keinen Platz mehr. Dem wahren Philosophen geht es einerseits um Wertfragen und andererseits um die Systematisierung alltäglichen Wissens.

Freilich: Auch wenn man sich durch Handeln von der Dringlichkeit metaphysischer Fragen befreit hat, so ist der Zweifel "in bezug auf die Vernunft sowohl als auf die Sinne ... eine Krankheit, die niemals vollkommen geheilt werden kann, sondern immer wiederkehren muß, mögen wir sie noch so oft vertreiben und bisweilen ganz von ihr befreit scheinen."(63)

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Anmerkungen

(1) EHU, p. 165; S. 193, S. 207. Humes Enquiry concerning Human Understanding wird nach der Ausgabe von L.A.Selby-Bigge/P.H.Nidditch (Oxford, 1975) sowie den beiden Übersetzungen von R.Richter aus dem Jahre 1907 (Meiner-Verlag, 1993) und H.Herring aus dem Jahre 1967 (Reclam-Verlag, 1982) zitiert. Demnach bedeutet >EHU, p. 165; S. 193, S. 20T<: Enquiry concerning Human Understandig, p. 165 der Ausgabe von Selby-Bigge/Nidditch, S. 193 der Übersetzung von Richter sowie S. 207 der Übersetzung von Herring. In allen zitierten Passagen aus der Enquiry habe ich mich auf die beiden vorhandenen Übersetzungen gestützt, allerdings wurde der Text überarbeitet.

(2) THN, p. 263f.; I, S. 341f. Aus Humes Treatise of Human Nature wird nach der Ausgabe von L.A.Selby-Bigge zitiert, deren zweite Auflage von P.H.Nidditch überarbeitet wurde (Oxford, 1978) sowie nach der Übersetzung von Th.Lipps aus den Jahren 1904/6, die von R.Brandt in zwei Bänden neu ediert wurde (Meiner-Verlag Hamburg, 1989). Der erste Band der deutschen Ausgabe enthält das erste Buch des Treatise, der zweite Band der deutschen Ausgabe umfaßt das zweite und dritte Buch. Somit bedeutet >THN, p. 263f.; I, S. 341f.<: A Treatise of Human Nature, p. 263 (und folgende) der Ausgabe von Selby-Bigge/Nidditch sowie Band I, S. 341 (und folgende) der Übersetzung von Lipps. Auch hier wurde die deutsche Übertragung – auf der Grundlage der Übersetzung von Lipps – neu erarbeitet. Alle anderen Werke Humes werden, soweit dies möglich ist, nach neueren deutschen Übersetzungen zitiert. Siehe dazu die Literaturliste, Stichwort: Hume, David.

(3) THN, p. 268f.; I, S. 346f. [m.H.].

(4) THN, p. 269; I, S. 347 [m.H.].

(5) THN, p. 264; I, S. 341.

(6) Sehr hilfreich zu diesem Thema: Immerwahr 1977, 1979; Fieser 1989. Mit Einschränkungen: Parush 1977; Flage 1987. Vgl. auch Streminger 1980,1981a.

(7) Ich halte an den Originalausdrücken fest, weil die naheliegenden deutschen Übersetzungen zu viele falsche Assoziationen wecken.

(8) In Humes Werken besitzt >vulgar< noch nicht diese negative Bedeutung wie heute: >gemein<, >ordinär<, >pöbelhaft<. So meint Hume beispielsweise, daß auch Philosophen, wenn sie nicht gerade in metaphysischen Problemen wühlen, die Position des vulgar, d.h. die >übliche<, >gängige< Position teilen. In Verbindung mit superstition hat vulgar allerdings eine stark negative Bedeutung.

(9) 1741, also knapp nach der Fertigstellung des Treatise, veröffentlichte Hume den Essay "Of Superstition and Enthusiasm" (deutsch abgedr. in: NHR, S. 73-8). Das darin entwickelte analytische Instrumentarium legte er auch der Darstellung der History of England zugrunde – und Edmund Gibbon seiner Darstellung von The Decline and Fall of the Roman Empire. Vgl. Weber 1990. Zum negativen Einfluß von Aberglaube und Schwärmerei auf die Moral vgl. Streminger 1994a.

(10) Deutsch abgedr. in: NHR, S. 89-99. Vgl. Mossner 1950.

(11) NHR, S. 89. Hume hat dies mehrere Jahre nach der Veröffentlichung der Enquiry geschrieben. Interessant ist unter anderem, daß er – ähnlich Wittgenstein – mit der Vokabel >Gesundheit (des Geistes)< bzw. >Krankheit (des Geistes)< operiert. Wie am Ende des Aufsatzes gezeigt wird, gebrauchte Hume diese Vokabel auch im Zusammenhang mit der Skepsis.

(12) Hume hatte im übrigen einen Großteil seines Treatise in unmittelbarer Nähe, aber außerhalb jenes Klosters in La Fléche geschrieben, in dem René Descartes erzogen worden war. Hume, der sehr frankophil und vor allem in späteren Jahren auch sehr anti-englisch eingestellt war (Schotte!), war mit der damaligen französischen Philosophie recht gut vertraut. Ehe er nach England zurückkehrte, um den Treatise zu publizieren, schrieb er einem Freund, daß dieser als Vorbereitung der "metaphysischen Teile" des Treatise folgende Bücher studieren möge: Malebranches De la Recherche de la Vérité, Berkeleys Principles of Human Knowledge, einige der metaphysischeren Artikel aus Bayles Dictionaire, wie jene über Zenon und Spinoza – sowie Descartes' Meditationes. Vgl. Mossner (1980, S. 627).

(13) Zudem interpretierten viele Vertreter der false philosophy ethische Einsichten als reine Erkenntnisse der Vernunft: "Nichts ist in der Philosophie und sogar im täglichen Leben üblicher, als vom Kampf zwischen Affekt und Vernunft zu reden, dabei der Vernunft den Vorzug zu geben und zu behaupten, daß Menschen nur insoweit tugendhaft seien, als sie sich den Geboten der Vernunft fügen ... Dabei hat man [deren] Ewigkeit, Unwandelbarkeit und den göttlichen Ursprung ... im hellsten Lichte erscheinen lassen."(THN, p. 413; II, S. 150f.) Nach Hume spielt sich der besagte Kampf letztlich ausschließlich auf der Ebene der Affekte ab.

(14) THN, p. 413; II, S. 151.

(15) "... [I]ch ... gestehe, daß es niemals meine Absicht war, in die Natur der Dinge einzudringen oder die geheimen Ursachen ihrer Wirkungsweisen darzulegen ... [I]ch fürchte, daß ein solches Unternehmen die Grenzen des menschlichen Verstandes übersteigen würde und daß wir niemals den Anspruch erheben können, Körper anders, als soweit sich die äußeren Eigenschaften derselben vor den Sinnen darbieten, zu erkennen."(THN, p. 64; I, S. 86 [m.H.])

(16) Der zweite Teil des Titels des Treatise lautet "Being an Attempt to Introduce the experimental Method of Reasoning [Methode der Erfahrung] into moral Subjects [Geistes- bzw. Humanwissenschaften]." Zum Einfluß Newtons auf Hume vgl. Noxon 1973, Force 1987.

(17) Um diesen etwas verwirrenden Punkt nochmals zu verdeutlichen: Die science of man wird zwar von Hume gelegentlich mit der true philosophy gleichgesetzt, gemeint ist jedoch, daß eine empirische Lehre von der Natur und den Erkenntnisfähigkeiten des Menschen die Basis für Überlegungen zu ethischen, ästhetischen und politischen Themen bildet. Weil Hume hier terminologisch nicht eindeutig ist, und weil häufig angenommen wurde, daß er die true philosophy mit einer science of man gleichsetze, wurde das normative Moment seiner Philosophie übersehen. Während Descartes die Philosophie mit einem Baum verglich, dessen Wurzeln die Metaphysik, dessen Stamm die Naturwissenschaft und dessen Zweige die übrigen Wissenschaften sind, wäre Hume zufolge die science of man gleichsam die Wurzel jenes Strauches, wovon ein Stamm die normative Philosophie ist, ein anderer eine bestimmte Naturwissenschaft, ein dritter die Mathematik, etc. Die beiden Hauptwurzeln dieses Strauches der Erkenntnis sind dabei Erkenntnistheorie und empirische Psychologie, wobei letztere in der Historie (und nicht im Experiment) ihren Nährboden findet.

(18) Da Hume überzeugt war, daß auch Tiere über understanding verfügen, ist dieser Begriff mit dem, was üblicherweise unter >Verstand< subsumiert wird, nur undeutlich wiedergegeben. In einem engeren Sinn bedeutet understanding natürlich >Denken< bzw. >logisches Schlussfolgern<, aber in einem weiteren Sinn ist damit die Fähigkeit gemeint, die Welt zu beurteilen bzw. diese nach bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen. Faculties of the understanding wird wohl am besten mit >Urteilsvermögen< übersetzt. Eine Alternative wäre >Urteilsart< bzw. >Urteilsform<, aber diese beiden Begriffe, die eng mit Kant assoziiert sind, vermögen meines Erachtens eine Eigenheit des Humeschen Empirismus nur unzulänglich einzufangen: das starke erkenntnispsychologische Interesse. Während Kant letztlich nach den Gemeinsamkeiten aller >Vernunftwesen< fragte, war Hume an den Fähigkeiten des >Naturwesens< Mensch interessiert.

(19) Verfügten wir über eine Weltformel, in der das gesamte Wissen der Welt enthalten wäre, so könnten wir allerdings allein auf logischem Wege erschließen, ob es dreiköpfige Katzen gibt oder nicht.

(20) THN, p. 225; I, S. 295f.

(21) Hume unterscheidet also drei Urteilsvermögen. Demonstrative reasoning kommt dabei die analysierende Funktion des Verstandes zu, und die synthetisierenden Funktionen werden von den imaginativen Fähigkeiten des Verstandes übernommen. Aber während die general operations der Einbildungskraft als "Grundlage aller unserer Gedanken und Handlungen" wünschenswert sind, sind die Produkte der trivial operations "weder unvermeidlich, noch nötig, noch auch nur für die Lebensführung von Nutzen".

(22) THN, p. 106-117; I, S. 146-60.

(23) THN, p. 143-55; I, S. 196-210.

(24) Hume stellt sogar die zunächst sehr überraschende These auf, daß "Ähnlichkeit die fruchtbarste Quelle des Irrtums" sei. (THN, p. 61; I, S. 83) Diese Stelle im Treatise ist allerdings nicht so zu lesen, daß die Beziehung der Ähnlichkeit an sich problematisch wäre. Denn sie ist unerläßlich im Gebrauch bzw. in der Anwendung von Begriffen. Problematisch ist vielmehr, wenn Identisches behauptet wird, wo nur Ähnliches vorliegt.

(25) THN, p. 112; I, S. 154. In der Wunderanalyse im Abschnitt X der Enquiry wird dann dieses vorschnelle Vertrauen auf das Zeugnis anderer näher analysiert.

(26) THN, p. 146; I, S. 200.

(27) Die Lebendigkeit eines Eindrucks hängt offenbar auch von nicht-kausalen Faktoren ab. Wohl insbesondere aufgrund dieser Beobachtung ist der Autor der Enquiry stets bemüht, seine philosophischen Ideen bereits mit wenigen Gedankenschritten deutlich zu machen.

(28) THN, p. 110f.; I, S. 151f.

(29) THN, p. 150; I, S. 204.

(30) THN, p. 226; I, S. 296.

(31) THN, p. 110; I, S. 151.

(32) THN, p. 109; I, S. 149.

(33) THN, p. 268, 254n; I, S. 345, 330 [m.H.].

(34) THN, p. 183; I, S. 245. Hume nennt den exzessiven Skeptizismus in der Enquiry üblicherweise >Pyrrhonismus<. Dem Pyrrhoneer zufolge kann der menschliche Verstand weder Gewißheit noch Wahrscheinlichkeit erreichen. Im bereits zitierten Schlußkapitel des ersten Buches des Treatise gibt Hume seiner Verzweiflung darüber Ausdruck, daß der Pyrrhonismus nicht vermieden werden könne. In den Schlußsätzen der Enquiry urteilt er allerdings auf der Basis eines >maßvollen, gemäßigten< Skeptizismus. Dieser wird von ihm >akademischer Skeptizismus< genannt, womit jene Form der Skepsis gemeint ist, wie sie etwa zur Zeit des Karneades in der platonischen Akademie gepflegt wurde. Während für den Pyrrhoneer weder Wissen noch Wahrscheinlichkeit erreichbar sind, hält der akademische Skeptiker an der Erreichbarkeit von Wahrscheinlichkeit fest. So meinte Karneades: "Es gibt keine Vorstellung, die derart wäre, daß daraus eine Erkenntnis folgte, aber viele, aus denen eine Wahrscheinlichkeit folgt. Denn die Annahme, daß nichts wahrscheinlich sei, ist naturgesetzwidrig und ihre Folge wäre eine Umwälzung des ganzen Lebens. Auch die sinnliche Wahrnehmung macht vieles wahrscheinlich; nur muß man dabei festhalten, daß unter den von ihr hervorgerufenen Vorstellungen keine ist, die, ohne deshalb anders zu sein, nicht auch falsch sein könnte."(zit.n. Nestle 1923, S. 267f.). Die Annahme der Erreichbarkeit von Wahrscheinlichkeit hält wiederum der Pyrrhoneer für einen Dogmatismus; seiner Ansicht nach müssen wir uns jedes Urteils enthalten und uns der Natur und den Gewohnheiten überlassen. Natürlich stellt sich die kritische Frage, ob nicht gerade diese pyrrhonische Position dogmatisch ist, können doch – dem Pyrrhonismus gemäß - keine überzeugenden Gründe für die Entscheidung, sich einer bestimmten Gewohnheit zu >überlassen<, vorgebracht werden. Im übrigen wurden (und werden) pyrrhonische Argumente gelegentlich von Theologen gegen die Ansprüche des (religionskritischen) Verstandes vorgebraucht. Allerdings taucht sogleich die Frage auf, wie solch tiefsinnige Theologen dann ihre Position begründen.

(35) Im Abstract finden sich im übrigen eine hervorragende Zusammenfassung der Ich- und Substanzanalyse: "He [= Hume] asserts, that the soul, as far as we can conceive it, is nothing but a system or train of different perceptions, those of heat and cold, love and anger, thoughts and sensations; all united together, but without any perfect simplicity or identity. Descartes maintained that thought was the essence of the mind; not this thought or that thought, but thought in general. This seems to be absolutely unintelligible, since every thing, that exists, is particular: And therefore it must be our several particular perceptions, that compose the mind. I say, compose the mind, not belong to it. The mind is not a substance, in which the perceptions inhere. That notion is as unintelligible as the Cartesian, that thought or perception in general is the essence of the mind. We have no idea of substance of any kind, since we have no idea but what is derived from some impression, and we have no impression of any substance either material or spiritual. We know nothing but particular qualities and perceptions. As our idea of any body, a peach, for instance, is only that of a particular taste, colour, figure, size, consistence, &c. So our idea of any mind is only that of particular perceptions, without the notion of any thing we call substance, either simple or compound."(A, p. 44f.)

(36) THN, p. 181; I, S. 243.

(37) Mit anderen Worten: Das Argument soll zunächst zeigen, daß es keine skepsisresistenten Urteile gibt, und soll sodann zeigen, daß alle Urteile hinsichtlich ihrer Begründung gleichwertig sind.

(38) Eine genaue Analyse des Humeschen Arguments gibt Wilson 1983.

(39) THN, P. 183; I, 245. Hume: "I say, I have prov'd, that these same principles, when carry'd farther, and apply'd to every new reflex judgement, must, by continually diminishing the original evidence, at last reduce it to nothing, and utterly subvert all belief and opinion."(THN, p. 184 [m.H.]) Vgl. Karneades: "Die Dialektik gleicht einem Polypen: denn dieser frißt seine eigenen Arme auf, wenn sie gewachsen sind, und die Dialektiker stürzen mit zunehmender Fähigkeit ihre eigenen Sätze um."(zit.ri. Nestle 1923, S. 265) Die Wahrscheinlichkeit, daß etwas falsch ist, nimmt also – sofern Humes Vernunft-Analyse richtig ist – bei fortschreitender Analyse nicht ab, sondern zu.

(40) Vgl. Baier: "We get a preview of the argument to be given in Part IV Section I against >reason<, the argument which turns probability of error on deduction and on the probability of error in calculating those probabilities. Reiterating meta-probabilities of error until the original conviction dwindles towards zero is here said to be an adaption of a 'very celebrated argument against the Christian Religion΄ (THN, p. 145) which Hume will borrow to use against that ally of theology, rationalism."(1991, p. 87)

(41) THN, p. XVI; I, S. 3.

(42) THN, p. 273; I, S. 351.

(43) THN, p. 267f.; I, S. 345f. [m.H.]. Vgl. Breazeale 1975.

(44) KrV, B 128. Kant fällte dieses Urteil allerdings im Zusammenhang mit Humes Kausal-Analyse.

(45) THN, p. 271; I, S. 350.

(46) THN, p. 272; I, S. 350.

(47) EHU, p. 39; S. 50, S. 57f. Das Beispiel mit dem Kind ist insofern interessant, als Hume zumindest an dieser Stelle ausdrücklich die Möglichkeit zuläßt, daß Menschen bereits nach einem einmaligen Erlebnis, also ohne wiederholte Erfahrung, Gewφhnung, aus der Erfahrung lernen und kausale Schlüsse ziehen.

(48) Außerdem gilt: Der Zweifel am Glauben an die Gleichförmigkeit des Naturverlaufs ist insofern sinnlos, als im Zweifel das Bezweifelte als gerechtfertigt vorausgesetzt werden muß. Nur unter der Voraussetzung einer gewissen Gleichförmigkeit kann der Zweifel überhaupt formuliert werden.

(49) Vgl. Baier: "Yet the postulates of the independence of the world from our observations, and of the background presence of something that is invariant in all our mind's variations, seem to make factual claims, albeit about rather large matters of fact. They are indeed precisely the sort of beliefs that Kant was to dub 'synthetic a priori'. They are neither assured nor ruled out by the definitions of the terms combined in them. They do not assert merely what Hume called 'relations of ideas', so they are 'synthetic'. They are not empirically verifiable or falsifiable, so they are 'a priori'." (1991, S. 103)

(50) EHU, p. 162; S. 190, S. 204.

(51) EHU, p. 163; S. 190, S. 204.

(52) EHU, p. 164; S. 191f., S. 205f.

(53) EHU, p. 158f.; S. 186, S. 199f.

(54) Philosophische Untersuchungen, § 38.

(55) THN, p. 218; I, S. 287.

(56) Wittgenstein, Über Gewißheit, § 204. An anderer Stelle heißt es: "Aber das Ende ist nicht die unbegründete Voraussetzung, sondern die unbegründete Handlungsweise."(ebd., § 110)

(57) Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, S. 415f.

(58) EHU, p. 38; S. 49, S. 57.

(59) THN, p. 213; I, S. 281.

(60) EHU, p. 41; S. 53, S. 60.

(61) Über Gewißheit, § 395.

(62) THN, p. 272; I, S. 350f. Diese Rückkehr zu rauhem Grunde bedeutet bei Wittgenstein unter anderem, daß die menschliche Sprache in ihrem tatsächlichen Gebrauch beobachtet werden müsse.

(63) THN, p. 218; I, S. 286f.

(Ich habe an anderer Stelle die Thesen dieses Aufsatzes weiter ausgearbeitet: Streminger 1995. Dieser Kommentar zu Humes Enquiry concerning Human Understanding liegt nun, nachdem die erste Auflage vergriffen ist, in überarbeiteter Form als Internet-Publikation vor: www.streminger.com

 

Literatur

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