GERHARD STREMINGER

Eine neu aufgefundene Rezension David Humes

König Richard III., William Shakespeare, Horace Walpole,Edmund Gibbon und David Hume

 

Einleitung

Gemeinsam mit seinem Freund George Deyverdun edierte Edmund Gibbon, der große Historiker, in den späten 60er Jahren des 18. Jahrhunderts die Memoires Litteraires de La Grande Bretagne.

Von diesem Rezensionsjournal, das wohl dazu dienen sollte, auf die englischsprachige Literatur in Frankreich aufmerksam zu machen (bzw. das dort vorhandene nachhaltige Interesse zufrieden zu stellen), wurden jedoch nur zwei Ausgaben veröffentlicht, und zwar: >pour l’An 1767< [Londres 1768] sowie >pour l’An 1768< [Londres 1769].

Im zweiten, also 1769 veröffentlichten Band findet sich auch eine Besprechung des 1760 publizierten Buches Historic Doubts on the Life and Reign of King Richard the Third. Autor dieser Arbeit über Richard III. war Horace Walpole, der bekannte Schriftsteller und Politiker. Grundintention des Buches war es, das gängige Bild vom Schurkenkönig – das in der Öffentlichkeit durch die bekannte Tragödie William Shakespeares wesentlich mitgeprägt war (und ist) – zu revidieren.

Obwohl der Autor der Rezension weder am Anfang noch am Ende derselben genannt wird, so lassen andere Quellen eindeutig erkennen, dass sie von einem der beiden Herausgeber des Journals, und zwar von Edmund Gibbon, stammt.1 Von besonderem Interesse ist der zweite Teil der Rezension, in der das gängige Bild von Richard III. – und damit auch die Darstellung Shakespeares – gegen Walpoles Einwände verteidigt wird. Dieser Teil der Rezension stammt von niemand Geringerem als David Hume, der seine Kritik der Darstellung Walpoles in mehreren Punkten zusammengefasst und diese Gibbon zukommen hatte lassen.

Dass der zweite Teil der Rezension tatsächlich vom Autor der History of England (1754-61) stammt, lässt sich m.E. eindeutig zeigen. Denn

– Hume hielt sich damals als Unterstaatssekretär in London auf, nachdem er zuvor fast drei Jahre lang in Paris den Posten eines Botschaftssekretärs bekleidet und mit den dortigen Aufklärern einen engen Kontakt gepflogen hatte;
– Hume war mit beiden Herausgebern der Zeitschrift befreundet. Deyverdun, der junge Schweizer, arbeitete sogar in demselben Ministerium wie der berühmte Philosoph;
– Hume musste, wohl zu Recht, Walpoles Schrift als einen Angriff auf seine eigene Geschichtsdarstellung verstehen2;
– Walpole gehörte mit seinen herablassenden Bemerkungen über antike Autoren und mit seiner Wertschätzung der Gotik nicht gerade zu den engsten Freunden Humes, der sich der Klassik verpflichtet fühlte;
– in Gibbons Autobiographie wird der Name >Hume< gerade auch in Zusammenhang mit der besagten Rezension erwähnt3;
– Hume wurde in der Rezension selbst als Mitautor genannt ("Les réflexions ... sont de M. Hume qui nous les a communiqué avec la permission d’en enrichir nos Memoires", S. 25 f.);
– und schließlich: Im Inhaltsverzeichnis zum zweiten Band der Memoires Litteraires de La Grande Bretagne ist folgendes zu lesen:
>Doutes Historiques, par Mr. Horace Walpole ... pag. 1
Reflexions sur les Doutes Historiques, par Mr. D. Hume ... pag. 26<

Die These, dass Hume den zweiten Teil der Rezension tatsächlich geschrieben hat, ist also bestens begründet.

Humes intellektuelle Auseinandersetzung mit Walpoles Darstellung lässt die Souveränität des Autors der History of England im Umgang mit historischem Material erahnen. Gab es damals in England auch nur wenige, die seine diesbezügliche Virtuosität erkannt hatten, so gab es doch immerhin zumindest einen, der Hume stets als sein Vorbild erachtet hatte: Edmund Gibbon. Die Bewunderung des späteren Autors des Monumentalwerks Decline and Fall of the Roman Empire wird gerade auch in einer Passage aus der besagten Rezension überdeutlich (s. u. S. 25, Ende).

Die Tatsache, dass die beiden größten englischsprachigen Aufklärungshistoriker des 18. Jahrhunderts eine gemeinsame Rezension verfasst hatten, verdient Interesse und könnte auch neues Licht auf die Entwicklung des Historikers Gibbon werfen.

Die besagte Rezension wurde in keine Ausgabe der Werke Humes aufgenommen; meines Wissens gibt es auch keine Publikation, in der auf Humes Anteil an dieser Arbeit näher Bezug genommen würde. Schon deshalb schien es gerechtfertigt, die Rezension von Walpoles Historic Doubts on the Life and Reign of King Richard the Third neu abzudrucken, und zwar in meinem David Hume. Sein Leben und sein Werk. Paderborn 21994, S. 654-84. (Dort findet sich auch Näheres zur Beziehung von Hume und Gibbon. Die Rezension fehlt allerdings in der Taschenbuchausgabe, UTB 1995). Das französische Original findet sich auf den Seiten 673-84. Frau Gisela Riesenberger sei für die Übersetzung gedankt. Diese 1994 erstmals veröffentlichte Übertragung wurde nun, 12 Jahre später, von mir wesentlich überarbeitet. In der Übersetzung und im Neudruck des Originals ist die Paginierung des ursprünglichen Textes aus dem Jahre 1769 in eckigen Klammern eingefügt.

Anmerkungen

1 Vgl. E. Gibbon (Memoirs of my life. Hg.: G. A. Bonnard. London 1966, S. 309).

2 In der History of England hatte Hume Richard III. einen "corrupt mind", einen "bloody usurper" und "murder of the young and innocent princes" genannt und u.a. geschrieben: "Never was there in any country an usurpation more flagrant than that of Richard, or more repugnant to every principle of justice and public interest ... This prince was of small stature, humpbacked, and had a harsh disagreeable countenance; so that his body was in every particular no less deformed than his mind." (History of England. Indianapolis 1983. Band II, S. 508 f., 518.) Hume verteidigte also jenes Bild von Richard III., das auch Shakespeare gezeichnet hatte. Der größte Philosoph Großbritanniens hatte ansonsten vom größten englischen Dramatiker (und wahrscheinlich vom größten Schriftsteller überhaupt) aber keine allzu hohe Meinung. Hume zog nämlich das französische Regeltheater den >barbarities and irregularities< Shakespeares vor – etwas, das man vom Autor eines weltberühmten Treatise of Human Nature nicht gerade erwarten würde.

3 Dort heißt es: "Our Journal for the year 1767 ... was soon finished and sent to the press. For the first article, Lord Littleton’s History of Henry II., I must own myself responsible ... A second volume (for the year 1768) was published of these Memoirs ... They introduced my friend [= Deyverdun] to the protection, and myself to the acquaintance, of the Earl of Chesterfield, whose age and infirmities secluded him from the world; and of Mr. David Hume, who was Under-Secretary to the office in which Deyverdun was more humbly employed. The former accepted a dedication ... : the latter enriched the Journal with a reply to Mr. Walpole’s historical doubts…" (Memoirs of my Life, Harmondsworth 1990, S. 148 f. [m.H.]).

 

 

ÜBERSETZUNG

 

LITERARISCHE
AUFSÄTZE
AUS
GROSSBRITANNIEN
für das Jahr 1768

LONDON:
bei C. Heydinger in der Grafton-Street, Soho.
Wird auch verkauft
bei P. Elmsly, gegenüber von Southampton-Street, am Strand
1769

AUFSATZ Nr. 1

[erster Teil, S.1-26: Edmund Gibbon, davon ein langes Zitat aus Walpoles Arbeit: S. 4-15; zweiter Teii, S. 26-36: David Hume]

Historical Doubts usw. Historische Zweifel bezüglich des Lebens und der Regierung König Richards III. von Mr. Horace Walpole

Die GESCHICHTE gründet sich allein auf das Zeugnis der Autoren, die sie uns überliefert haben. Um sie kennen zu lernen, ist es also äußerst wichtig, darüber Bescheid zu wissen, wer diese Autoren waren. Nichts darf in diesem Punkt außer acht gelassen werden; die Zeit, in der sie gelebt haben, ihre Herkunft, ihr Vaterland, die Frage, inwieweit sie in die Ereignisse verwickelt waren, wie sie zu ihren Kenntnissen gelangt sind und das Interesse, das sie daran haben konnten, sind wesentliche Faktoren, die man beachten muss; davon hängt der Grad ihrer Autorität ab, und ohne diese Informationen wird man sehr oft Gefahr laufen, einen Historiker als Wegweiser zu betrachten, der unehrlich oder zumindest schlecht informiert war.

Gesch. der >l΄Acad. des Inscript<, Bd. X.

London, J. Dodsley 1768, in 4to, 134 Seiten ohne die Einleitung

MR. WALPOLE ist jüngster Sohn des berühmten Ministers gleichen Namens. Aufgrund seiner Herkunft und seiner Fähigkeiten eröffnete sich ihm der Weg zu den höchsten | [2] Ämtern; aber er hat den eitlen Nachstellungen der Ehrsucht die sicheren und süßeren Freuden der Gesellschaft und der Literatur vorgezogen. Seine phantasievollen Werke sind geprägt von Geschmack, Leichtigkeit und vom Stil eines Mannes von Stand, der mit den Musen zu scherzen scheint. Walpole hat sich hervorgetan durch zwei bedeutendere Werke in einer neuen, von ihm kreierten Literaturgattung. Vor ihm hatte die Literaturgeschichte, ganz in den Händen der Literaten, nur trockene Nomenklaturen oder übergenaue und kindische Untersuchungen geboten. Aber die gelehrsame Erhabenheit von MR. WALPOLE hat die Laien ergötzt und mit Recht die Aufmerksamkeit der Philosophen auf sich gezogen. Interessante, aber unbekannte Aperçus und scharfsinnige neue Einsichten sind mit dem hinreißendsten Stil geschmückt. Die großen Persönlichkeiten Bacon, Clarendon und Shaftesbury werden hier gebührend gewürdigt, und eine Schar längst vergessener Schriftsteller empfängt aus den Händen dieses Literaten die Unsterblichkeit, die sie sich – vergeblich – von ihren eigenen Werken versprachen.

Dieser Arbeit hat MR. WALPOLE eine zweite folgen lassen. Es ist dies die Geschichte der englischen Künstler1 – ein sehr undankbarer Gegenstand für jeden | [3] außer fόr ihn. England, das sich Holbein und van Dyck einverleibt hat, hat nie eine Malerschule besessen, und die Anstrengungen, die noch heute unternommen werden, deuten eher auf Englands Wünsche als auf ihre Erfolge hin. Ein fleißiger Altertumsforscher (Mr. Vertue) hatte 30 Jahre lang an einer Geschichte der Kunst in seinem Vaterland gearbeitet, und dieses Material, das MR. WALPOLE erwarb, brachte diesen auf den Gedanken, es zu bearbeiten. Hier wird der liebenswürdige Fontenelle zum Interpreten des sachkundigen Vandale. Dem Lob, das den beiden Werken unseres Autors zukommt, müssen seine Liebe und seine Kenntnis der bildenden Kunst hinzufügt werden, die er immer geschätzt und gefördert hat.2

Bei so großem Verdienst ist es erlaubt, einige Fehler zu begehen, und es sind ausgerechnet die | [4] Fehler eines geistreichen Mannes, die die Engländer MR. WALPOLE vorgeworfen haben: allzu ausgefallene Gedanken, einen knappen und epigrammatischen Stil, zu häufige Antithesen.

Diese Kritiker mögen manchmal recht haben. Die Einbildungskraft hat Ovid oft genug im Stich gelassen. Die Pinselführung von Guide ist nicht immer einwandfrei. Aber ein Mann von Geschmack ist angenehm überrascht von der rührenden Anmut, die diese Werke ausstrahlen. Vergesst ohne viel Aufhebens ihre Fehler und liebt sie vielleicht umso mehr – gerade ob dieser Fehler!

Um unseren Lesern eine rechte Vorstellung vom Stil dieses liebenswürdigen Schriftstellers zu geben, teilen wir ihnen die Vorrede zu seinem Werk [über Richard III.] in voller Länge mit. Sie enthält übrigens geistreiche Äußerungen über die Geschichtsschreibung im allgemeinen, die für Ausländer interessanter sind als die Auseinandersetzung mit der Geschichte Englands im einzelnen.

[Es folgt nun die Vorrede aus Walpoles Historical Doubts]

 

VORREDE

Der größte Teil derer, die die Geschichte geschrieben haben, war dermaßen unfähig, dass man bezweifeln kann, ob die Zeitgenossen die Ereignisse überhaupt wieder erkennen würden, die aus Unkenntnis oder aus Unaufrichtigkeit entstellt worden waren. Mit Ausnahme von Aufzeichnungen der erleuchteten Juden ist die ganze Geschichtsschreibung der Antike nichts anderes als ein Sammelsurium von Fabeln. Von Priestern geschrieben oder diktiert, waren sie allein dazu bestimmt, | [5] erhabene Vorstellungen vom Ursprung eines jeden Volkes zu wecken. Götter und Halbgötter spielen immer die Hauptrolle, aber man wird von solchen übernatürlichen Wesen selten die Wahrheit erfahren. Die Schönheit der griechischen Sprache und unser lieb gewordener Umgang mit ihr sind die einzigen Vorzüge der griechischen Geschichtsschreiber gegenüber jenen aus Peru. Wenn der Vater der Herakliden Oberhaupt einer Königsfamilie war, dann haben wir ebenso gute Gründe, dasselbe von Mango Capac, dem Sohn der Sonne, zu behaupten. Und wie sollte man auch die Wahrheit erfahren, wenn selbst die Identität der Personen zweifelhaft ist? Mal werden die Handlungen eines einzelnen mehreren zugeschrieben, mal die mehrerer einem einzelnen. Wir wissen immer noch nicht, ob es einen einzigen Herkules gegeben hat oder deren zwanzig.

In dem Maße, in dem sich die Völker etablierten, gewann die Geschichte an Authentizität. Selbst Griechen lernten, manchmal die Wahrheit zu sagen. Im Augenblick seines Falles wurde Rom wenigstens der Trost zuteil, erleben zu können, dass die Verbrechen seiner Usurpatoren an die Öffentlichkeit kamen, und die Sieger bedeckten die Besiegten mit Wunden, die sich nicht schließen werden. Aber wenn die Partei von Pompeius gesiegt hätte, dann hätte man uns vielleicht Cäsar als einen Märtyrer für die Freiheit verkauft. In manchen Zeiten schlagen alle Herzen für die unglückseligen Schuldigen, in anderen teilen sie den Triumph der Tyrannen. Man bewundert Augustus, der im Blut seiner | [6] Mitbürger badet, und Charles Stuart, der von eigenem Blut bekleckert ist. Man gibt die Wahrheit der Oden auf, jedoch jährliche Gedächtnisreden werden dafür zu Gesetzen für Leichtgläubige und Historiker.

Aber wenn die Verbrechen Roms auch erwiesen sind, dann ist es mit seinen Tugenden nicht so. Ein guter Kritiker hat gezeigt, dass nichts zweifelhafter ist als die Geschichtsschreibung der drei oder vier ersten Jahrhunderte dieser Stadt. Die Konfusion in der Geschichtsschreibung wächst mit dem Chaos der Regierungen. Das Römische Reich bekam Herrscher, die uns von Medaillen bekannt sind, sowie verschiedene Kaiserinnen, von deren Ehemännern wir nicht einmal den Namen kennen. Die Streitigkeiten der Altertumsforscher komplizieren die Dinge vollends. Man hat geglaubt, das Gesicht von Oriuna auf den Medaillen von Carausius stelle den Mond dar; aber seit einigen Jahren vermutet man, dass es die Frau des Herrschers sein könnte. Im Grunde ist es unwichtig, ob Oriuna der Mond oder die Kaiserin ist, aber wie unsicher muss die Geschichtsschreibung sein, wenn wir nicht einmal die Namen derer, die regiert haben, genau kennen? Man sieht im Kabinett des französischen Königs verschiedene Geldstücke von Herrschern, deren Herkunftsland man heute nicht einmal mehr erahnen kann.

Dieses Dunkel in der Alten Geschichte ist mit dem Fehlen der Buchdruckerkunst zu begründen, mit dem Mangel an Dokumenten, Schriften, Kritiken, mit Kriegen, Revolutionen und Fraktionsbildungen. Die Chro- | [7] nologie und die Astronomie sind bemüht, das Dunkel zu erhellen; diese Bemühungen stellen die Gelehrten zufrieden, aber es ist oft so, wie wenn man in zweitausend Jahren die Regierungszeit Georgs II. nach Eklipsen berechnete aus Furcht, Jakob I. sei die Eroberung Kanadas zuzuschreiben.

Das Römische Reich erstarkte allmählich wieder, man sah sogar eine neue Hauptstadt entstehen, die Liebe zur Kunst und zur Wissenschaft war noch vorhanden, die schönen Künste blühten in Griechenland. Alles ließ darauf hoffen, dass nun Wahrheit die Schreibfedern der Historiker führen würde; und doch geschah es, dass eine Flut von Irrtümern die Erde überschwemmte. Mönche und christliche Heilige erklärten der Wahrheit den Krieg, und ein falscher Stern ging in Rom auf, während der römische Stern in Konstantinopel erlosch. Die Bigotterie wog auf der Waagschale Tugenden und Laster ab, und die besten Herrscher wurden als Monster beschrieben, während man die schlimmsten oder zumindest die unnützesten vergötterte – je nachdem, ob sie Freunde oder Feinde der schwärmerischen und ungestümen Kleriker waren. Und diesen Männern fehlte jede Mäßigung und jedes Urteilsvermögen, so dass sie sich erkühnten anzunehmen, der gesunde Menschenverstand werde nie mehr auf Erden heimisch werden. Aber ihr Lug und Trug ist so offenkundig, dass – wenn sie uns auch daran hindern, die Tatsachen zu entdecken – sie uns wenigstens sehr deutlich zeigen, was sich | [8] nicht zugetragen hat. Von wie vielen allgemeinen Verfolgungen berichtet nicht die Kirche, von denen wir anderswo nicht die geringste Spur finden? Von wie vielen gefälschten Schenkungen und Urkunden, für die diese Heiligen ihre Ohren verlören3, wenn sie sie heutzutage dem unbedeutendsten Gerichtshof vorlegten? Und wie lange sind diese Lügner nicht dennoch die einzigen Geschichtsschreiber gewesen?

Aber lassen wir ihre eigennützigen Lügen beiseite, und sehen wir uns an, wieweit sie in anderer Hinsicht in der Lage waren, der Nachwelt zuverlässige Berichte zu übermitteln. Während der Jahrhunderte, von denen ich spreche, der barbarischen Jahrhunderte der Mönche, gab es nur noch einen Schatten an Wissen, und dieser war allein auf den Klerus beschränkt. Dieser schrieb üblicherweise in lateinischer Sprache oder in Versen, und in der einen oder anderen Form waren ihre Arbeiten barbarisch. Die Schwierigkeit des Reimes und der Mangel an lateinischen Wörtern beim Formulieren neuer Gedanken waren nicht gerade leicht zu überwindende Hindernisse für den schweren Gang der Wahrheitsfindung. Aber es galt, noch größere Schwierigkeiten zu überwinden. Europa war fortdauernd im Kriegszustand; schwache Herrscher und mächtige Lehnsherren waren ununterbro- | [9] chen damit beschäftigt, sich wegen geringer Gebietserweiterungen gegenseitig zu vernichten oder ihre Grenzgebiete gegenseitig zu verwüsten. Die Geographie war völlig mangelhaft, es gab keine Polizei, die Straßen waren unsicher, und es gab noch keine Poststationen. Man erfuhr Ereignisse nur durch unzuverlässige Berichte von Wallfahrern oder durch Briefe, die Kuriere den betreffenden Personen überbrachten. Man hatte damals nicht einmal diese trügerischen Informationsquellen, nämlich Zeitungen. Unter diesen Umständen machten sich 20, 50, 100 Meilen und noch weiter entfernt lebende Mönche daran, Geschichte zu schreiben (und in jener Zeit war eine Entfernung von nur 20 Meilen beträchtlich) – sie haben sie auch dementsprechend geschrieben.

Wenn wir einen Blick auf unsere eigene Geschichtsschreibung werfen und wenn wir sie mit ein wenig Aufmerksamkeit durchsehen, wie unzufrieden sind wir dann mit den Schilderungen, die sie uns liefert! Wie trocken, oberflächlich und wie wenig lehrreich das alles doch ist! Man findet fast nur Schlachten, Seuchen und religiös motivierte Grundsteinlegungen. So muss es vor der Eroberung durch die Normannen gewesen sein. Unser Reich begann damals, sich herauszubilden oder vielmehr: All die kleinen Königreiche, die seit dem Abzug der Römer gegründet worden waren, begannen sich zu vereinen. Das Eindringen so unzivilisierter Völker, wie das unsere damals | [10] war, brachte alle Ordnungs- und Verwaltungspläne durcheinander; und ganze Schwärme von fremden Mönchen, die unsere Vorfahren mit ihrem Glauben und ihren Mysterien betäubten, verwirrten und trübten ihren Verstand. Es war zuviel, Dänen, Sachsen und Päpste auf einmal bekämpfen zu müssen.

Unsere Sprache krankte genauso wie unsere Regierung und – ohne von unseren Lehrmeistern, den Römern, viel übernommen zu haben – war die Sprache von den Eroberern, die auf sie folgten, erbärmlich entstellt. Die noch freien Teile unserer Insel behielten einige Ordnung und Genauigkeit in ihrer Sprache. Dem Gälischen und Ersischen4 fehlte es nicht an Harmonie. Aber es gab vielleicht niemals einen unkultivierteren Jargon als den sächsischen Dialekt, demgegenüber die Altertumsforscher eine solche Ehrfurcht zeigen. Dieser Dialekt war so rauh, so wenig geschmeidig, dass die Mönche das Idiom ignorierten und Wörter gebrauchten, die sie für Latein hielten.

Die Tyrannei der Normannen folgte auf die der Dänen und der Sachsen und mischte ihre Sprache in diese barbarischen Laute. Es dauerte notwendigerweise Jahrhunderte, um einem derartigen Mischmasch einigermaßen Form zu geben, und infolge- | [11] dessen mussten alle Werke aus dieser Zeit veralten. Aber die Schriftsteller stellten solch natürliche Überlegungen nicht an und strebten in keinerlei Weise nach Vollkommenem. Von der Eroberung bis hin zu Heinrich VIII. kann man bei unseren Schriftstellern bis auf Schlichtheit keine schönen Züge finden. Sie erzählen, was sie haben sagen hören, und das ganz einfach, ohne den geringsten Schmuck. Niemals erforschten oder erfuhren sie die Ratschlüsse der Herrscher, die Motive für bestimmte Handlungen, die geheimen Triebfedern, die solch eine Maschine in Bewegung gesetzt hatten. Sie geben uns sogar wenig Aufschluss über den Charakter der handelnden Personen. Ein König oder ein Erzbischof von Canterbury sind die einzigen Gestalten, mit denen man uns bekannt macht. Die Barone werden alle als tapfere Patrioten dargestellt. Aber wir haben nicht das Vergnügen, diejenigen herauszufinden, die tatsächlich so waren, und wir sind keineswegs sicher, dass sie nicht ausnahmslos ungestüm und ehrsüchtig waren. Wahrscheinlich versuchten Könige und Adlige gegenseitig, in die Rechte der anderen einzugreifen, und wenn aus diesem Zusammenstoß einige Funken der Freiheit hervorsprühten, dann scheint dies gegen die Absicht des Steins und des Stahls passiert zu sein.

Man hat es also für nötig erachtet, der Geschichte Englands eine neue Form zu geben. Man hat die Urkunden hinzugezogen, aber sie bestätigen die Aussagen der Geschichts- | [12] schreiber bei weitem nicht. Der Mangel an authentischem Material hat unsere modernen Schriftsteller dazu gezwungen, den größten Teil der Geschichte ungefähr auf jenem Stand zu belassen, auf dem sie sie vorgefunden hatten. Aber vielleicht hat man der Forschung noch nicht die notwendige Beachtung entgegengebracht. Es ist viel Sorgfalt und Geduld nötig, um so unbearbeitetes Material wie Urkunden und Chartas zu erforschen. Und angesichts ihrer Sprödigkeit kann man nur dann Erkenntnisse aus ihnen ziehen, wenn man sie der schärfsten Kritik unterwirft. Wenn Urkunden hinsichtlich der Fakten den Historikern widersprechen, so mögen wir dadurch eine lieb gewordene Geschichtsdarstellung einbüßen; denn es wird uns dann unmöglich sein, unseren Historikern zu folgen. Der Mensch kann die Voreingenommenheit nicht vollständig ablegen, sie ist für ihn so natürlich, dass man fast immer leicht entdecken kann, welcher Seite ein Schriftsteller zuneigt. Aber Voreingenommenheit und Lüge sind zwei äußerst verschiedene Dinge, und dennoch habe ich den Verdacht, dass alle unsere Historiker von ihren Autoritäten irregeführt wurden und so die Regierungszeiten denkbar falsch dargestellt haben. Die modernen Geschichtsschreiber sind nur insofern schuld, als sie vertrauensselig das übernommen haben, was sie sorgfältig hätten prüfen müssen, da alle Autoren, von denen sie abschrieben, für eine der Parteien, die damals England regierten, stürmisch eingetreten waren. Man kann die ersten Geschichtsschreiber nicht entschuldigen, die, wenn ich mich nicht irre, ausnahmslos die Gesetze der Wahrheit verletzt haben.

Die Wirren der Bürgerkriege zwischen | [13] den Häusern York und Lancaster verbreiten über diesen Teil unserer Geschichte ein Dunkel, das zu zerstreuen fast unmöglich ist. Wir besitzen kaum authentische Zeugnisse aus der Regierungszeit Edwards IV. Und die außerordentliche Voreingenommenheit der Schriftsteller für die Gegenpartei muss uns dazu veranlassen, seine Geschichte mit großem Misstrauen zu lesen, einem Misstrauen, das noch zunehmen muss, je mehr wir uns der Regierungszeit seines Bruders nähern.

Vor einigen Jahren kam mir in den Sinn, dass Vorurteile und Phantasie die Feder der Schriftsteller führten, die uns Richard III. geschildert haben. Nicht nur, dass die Tragödie von Shakespeare mir nicht Geschichte zu sein schien; sondern die Geschichtsschreibung über diese Regierungszeit war in meinen Augen ein tragisches Phantasiestück. Die meisten Verbrechen, die man Richard zuschreibt, scheinen kaum wahrscheinlich und scheinen, was schwerer wiegt, in Widerspruch zu seinen Interessen zu stehen. Einige Zufälle haben dazu beigetragen, meine Meinung zu bestärken, und ich entdeckte letzten Winter eine wichtige Originalurkunde, die mich dazu bewogen hat, diese Seiten zu schreiben; und da anhand all der Lobreden der Geschichtsschreiber auf die Weisheit Heinrichs VII. leicht zu erkennen war, dass er ein gemeiner und gefühlloser Tyrann war, nahm ich an, dass sie seinen Rivalen in den schwärzesten Farben geschildert hatten, um durch diesen Kontrast den Glanz des ersteren hervorzuheben. Je mehr ich ihre Geschichtsschreibung geprüft habe, umso mehr ist meine Meinung noch bestärkt worden. – | [14] Und was Heinrich [Graf von Richmond, nachmals Heinrich VII., der erste König Englands aus dem Hause Tudor] betrifft, so konnte ich nicht umhin anzumerken, dass wir über Richards Verbrechen keinerlei authentische Zeugnisse haben, ja sogar keinerlei Bericht außer von den Schreibern der Lancaster-Partei, wohingegen die Unvollkommenheiten und Ungerechtigkeiten Heinrichs uns, wenn auch beschönigt, bezeugt werden durch die übereinstimmenden Aussagen seiner Lobredner. Die Verdächtigungen und die Verleumdungen gegen Richard sind uns allesamt als Mordtaten überliefert worden, die dieser König begangen haben soll. Es trifft zu, dass Heinrichs Morde öffentliche Hinrichtungen waren – aber die schlauen Geschichtsschreiber erklären solche Handlungen immer als Akte der Klugheit; denn wenn ein Herrscher oberster Richter ist, dann sind die Historiker seine Beisitzer.

Vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube, in einen beträchtlichen Teil dieser finsteren Zeit Licht gebracht zu haben. Der Leser hat darüber zu befinden, und es ist sogar ohne jede Bedeutung, ob er es tut oder nicht. Ein solches Vorhaben ist allein Frage von Wissbegier und Forschungsgeist.

Wenn jemand, der ein ebensolcher Müßiggänger ist wie ich, sich die Mühe macht, meine Argumente zu überprüfen und abzuwägen, so bin ich bereit, mich – und sei es in einem noch so unwesentlichen Punkt – besseren Argumenten zu beugen. Aber wenn irgendein Phrasendrescher mir widerspricht, so werde ich dennoch glauben, dass ich recht habe. | [15]

[Ende der Vorrede aus Walpoles Historical Doubts]

 

MR. WALPOLE hat sich eine Aufgabe gestellt, die eines wissbegierigen Erforschers der Vergangenheit und eines Freundes der Gerechtigkeit würdig ist. Er will Richard III., König von England, gegen die fürchterlichen Anschuldigungen verteidigen, mit denen die Nachwelt sein Andenken belastet. Unserem Kritiker [Walpole] zufolge haben allzu leichtgläubige und allzu voreingenommene Geschichtsschreiber ihm den Mord an Heinrich VI., Prinz von Wales, und an seinem eigenen Bruder, dem Herzog von Clarence, und an seinen Neffen, König Edward V. und dem Herzog von York, und schließlich an seiner Gemahlin, Königin Anne, zur Last gelegt. Zu den Morden zählen sie auch die Hinrichtung von Hastings, von Rivers, von Vaughan und von Grey, wobei dieser Tyrann auch nur den Anschein von Gerechtigkeit außer acht ließ. Um dieses düstere Bild zu vervollständigen, vereinigen die Historiker in seiner Person alle Missbildungen des Körpers mit allen Lastern der Seele. Shakespeare hat diesem Furcht einflößenden Charakter neue Züge hinzugefügt, und die Verbrechen Richards, die uns seit anderthalb Jahrhunderten in unseren Theatern vor Augen geführt werden, haben sich in allen Köpfen festgesetzt mit einer Macht, die die Geschichtsschreibung allein ihnen nicht hätte verschaffen können. Ein einziger Kritiker (Buck) hat sich gegen die allgemeine Meinung gestellt; aber seine Lobhudelei hat alle gegen sich aufgebracht. MR. WALPOLE verteidigt dieselbe Sache mit mehr Mäßigung und mit mehr Geschick.

Er bemerkt zunächst, dass es nur drei Geschichtsschreiber über Richard gibt, die die Bezeichnung >Zeitgenosse< verdienen könnten: Jean Fabian, sodann der Verfasser der Chronik von Croyland und | [16] der berühmte Thomas Morus [Thomas More, The history of Richard III.). Die beiden ersteren haben das einzige Verdienst, Zeitgenossen zu sein – ein Mönch und ein Bürger, der eine wie der andere leichtgläubig und von beschränktem Horizont; und beide griffen alle im Volk verbreiteten Gerüchte ungeprüft und wahllos auf. Nachdem MR. WALPOLE berechtigte Verachtung für solch unbedeutende Autoritäten bezeugt hat, versucht er, die Autorität von Morus zu untergraben. Er will, dass wir dessen Geschichte der Regierung Edwards V. als Pendant zu dessen Utopia ansehen, als ersten Versuch eines jungen Mannes nämlich, der seine Kraft erprobte, die Geschichtsschreiber der Antike – seine geistigen Ziehväter – nachahmte und der weit mehr nach Eleganz als nach Genauigkeit strebte. Unser Kritiker [Walpole] bemerkt, dass Erzbischof Morton, der Morus in seiner Jugend protegierte, gestorben sei, als dieser erst zwanzig Jahre alt war, und dieser Prälat sei schließlich daran interessiert gewesen, den Charakter des unglückseligen Herrschers [Richard III.] in düsteren Farben zu schildern, den seine Intrigen ins Verderben gestürzt hätten.

Diese Verdächtigungen sind sehr einfallsreich; vielleicht sind sie es ein wenig zu sehr. Wenn man das Zeugnis der handelnden Personen verwirft, weil sie beteiligt sind, und dasjenige der Zuschauer, weil sie unzuverlässig sind, dann wird die ganze Geschichtsschreibung ein Problem oder eher noch ein Roman. Grafton, Hollingshed, Stowe usw. sind nur Kopisten; jeder von ihnen fügte indes zu den Ereignissen, die er im Original vorfand, irgendein weiteres hinzu.

Wir werden MR. WALPOLE nicht folgen | [17] in seiner Untersuchung des größten Teils von Richards Verbrechen, einer Untersuchung, die die ganze Breite seines Wissens und seine geistigen Fähigkeiten vorteilhaft zeigt. Von den Verbrechen, deren man Richard beschuldigt, brachten die einen seiner Ehrsucht nichts ein; die anderen waren ihr sogar abträglich. Es gibt solche, die sich aufgrund ihrer Unwahrscheinlichkeit erledigen. Es gibt solche, die im Widerspruch zu den bestbelegten Daten stehen. Schließlich geht aus dieser Untersuchung hervor, dass wir kaum berechtigt sind, Richard als den Mörder Heinrichs VI., des Prinzen von Wales, des Herzogs von Clarence und der Königin Anne anzusehen. Die Ermordung seiner jungen Neffen, ein an sich noch grässlicheres Verbrechen, das aber besser belegt ist und das die tiefgreifendsten Konsequenzen hatte, verdient, uns länger zu beschäftigen. In der historischen Darstellung von Richards Amtsführung, die wir nun ausführen werden, will MR. WALPOLE – weit davon entfernt, hier den Mörder zu sehen – kaum den Usurpator erkennen.

Edward IV., König von England, starb am 9. April 1483. Von seinen beiden Söhnen war der ältere dreizehn Jahre alt. Richard, Herzog von York, der jüngere Sohn, war erst neun Jahre alt. Zwei mächtige Parteien trachteten nach der Herrschaft über den jungen König und das Königreich. Die Königinmutter hatte außerordentliches Vertrauen genossen unter der Regierung eines Gatten, der sie aus dem Dunkel hervorgeholt hatte, um sie auf den Thron zu setzen. Sie hatte seine Gunst ausgenutzt, um ihre Familie reich zu | [18] machen; aber diese Gunst und diese Reichtümer hatten den alten Adel aufgebracht, der diese Emporkömmlinge beneidete und zugleich verachtete. Der Adel sammelte sich um Richard, Herzog von Gloucester. Dieser listige und ehrgeizige Herrscher hatte es nicht schwer, die Königinmutter zu täuschen. Er brachte sie dazu, die Truppen zu entlassen, die sich gesammelt hatten, um den jungen König auf seiner Reise von Ludlow-Castle nach London zu eskortieren. Richard begleitete ihn selbst mit großer Ehrbezeugung, bemächtigte sich aber bald darauf seiner Person und ließ den Grafen von Rivers und die anderen Verwandten der Königin festnehmen. Aus Angst vor den Gefahren, die ihr drohten, floh die Königin klugerweise mit ihrem jüngeren Sohn in die Kirche in Westminster. Aber immer noch schwach und unentschlossen, verzichtete sie auf die Privilegien, die man nie zu verletzen gewagt hätte, und legte sie in die Hände des Protektors; denn so muss man den Herzog von Gloucester [Richard III.] von nun an nennen, der diesen Titel und die Staatsführung mit Zustimmung des Geheimen Rates übernommen hatte. Die Hinrichtung des Grafen von Rivers, diejenigen von Vaughan und von Grey dienten dazu, seine neue Macht zu festigen, aber alle Welt war überrascht über den Tod von Lord Hastings, dem Freund des Protektors, der an dessen Plänen beteiligt gewesen war. Alles an dieser Hinrichtung war gewaltsam, überraschend und absonderlich.

Bis hierher ist unser Kritiker [Walpole] mit dem Verhalten Richards recht einverstanden. Seine Geburt gab ihm einen Rechtsanspruch auf die Regentschaft | [19] und berechtigte ihn dazu, die gewalttätigsten Mittel gegen diejenigen einzusetzen, die sie ihm streitig machen wollten. Die Hinrichtung der Verwandten der Königin wird mit der Notwendigkeit und mit den Sitten eines grausamen Zeitalters entschuldigt. Was die Hinrichtung von Hastings anbelangt, so nimmt MR. WALPOLE etwas zu nachsichtig an, dass Richard niemals seinen besten Freund geopfert hätte, wenn dieser falsche Freund nicht eine Verschwörung gegen ihn angezettelt hätte.

Diese Vermutung erscheint mir als völlig unbegründet, und der Tod von Hastings lässt sich nur auf eine Weise erklären, die für Richard wenig schmeichelhaft ist. Dieser Seigneur war zwar Feind der Königin, aber bewahrte eine starke Zuneigung zu den Kindern Edwards. Er konnte erst dann zum Ehrgeiz des Herzogs von Gloucester [Richard III.] in Widerspruch geraten, als dieser Herrscher – unzufrieden mit der Regentschaft [als Protektor] – nach der Krone strebte.

Die Mittel, derer Richard sich nach Morus bediente, um zum Ziel zu gelangen, sind gewalttätig, schamlos und lächerlich zugleich. Ein gedungener Prediger (Doktor Shaw) äußerte in einer Kanzelrede, dass aufgrund des Ehebruchs der Mutter Edwards IV. und aufgrund eines früheren Vertrages dieses Herrschers mit Elizabeth Lucy der Herzog von Gloucester der einzige Erbe des Hauses York sei; dass der Herzog von Buckingham an die Bürger von London eine Ansprache gehalten habe; dass diese ihn zunächst sehr frostig empfangen hätten; dass daraufhin der | [20] Bürgermeister [Londons] Richard die Krone angeboten habe, der zunächst einige Schwierigkeiten gemacht hätte, bevor er sie annahm.

Dieser ganze Bericht trägt in den Augen von MR. WALPOLE die Züge eines Romans – und eines schlecht ausgedachten obendrein: dass Richard die Ehre seiner Mutter habe verletzen wollen, einer tugendhaften Herrscherin, der er doch in der Folgezeit mit großer Hochachtung begegnet sei; und dass eine Schar von Bürgern die Krone von England verliehen habe. – Übrigens steht Morus hier nicht in Übereinstimmung mit den besten Zeugnissen. Ein vor kurzem ausfindig gemachtes Parlamentsregister versichert uns, der erste Ehevertrag habe nicht Elizabeth Lucy, die bekannte Maitresse dieses Herrschers, betroffen, sondern Lady Eleanor Butler, die einer der vornehmsten Familien Englands entstammte. Dieselbe Urkunde fügt hinzu, der Protektor habe die Krone angenommen, die ihm von einer Versammlung der drei Stände des Landes angetragen worden sei. All dies ging ordnungsgemäß vor sich, und dieses große Ereignis ähnelt sehr der Revolution von 1688, die den Prinzen von Oranien auf den Thron brachte. So lautet jedenfalls der Vergleich von MR. WALPOLE.

Die abgesetzten Herrscher gelangen recht schnell vom Thron ins Grab. Das war auch das Schicksal von Edwards Kindern, wenn wir Morus und der Masse der Historiker Glauben schenken. Ihrem Zeugnis hält unser geistreicher Kritiker [Walpole] folgende Überlegungen entgegen: 1) In den ersten Tagen seiner Regierung bekundete | [21] Richard seinem Neffen gegenüber große Hochachtung, aber eine Art von Hochachtung, in der sich herablassende Strenge ausdrückte. Ein Garderobenverzeichnis, das man MR. WALPOLE übermittelt hat, gibt im einzelnen die Roben und den übrigen Ornat an, die für Edward, Sohn des verstorbenen Königs Edward IV., anlässlich der Krönungszeremonie für seinen Onkel [Richard III.] bestimmt waren. Diese Urkunde ist tatsächlich sehr eigenartig; aber die Konsequenz, die man aus ihr ziehen will, erscheint mir wenig eindeutig. 2) Der Bericht von Morus ist unrichtig und unwahrscheinlich. Richard vertraut seine Sorgen einem Pagen an, der ihm einen gewissen Jacques Tyrell empfiehlt, dessen schlecht gelohnter Ehrgeiz ihn zu allem fähig mache. Richard findet an dieser Idee Gefallen, ruft Tyrell zu sich, erhebt ihn in den Ritterstand und schickt ihn nach London, um seine Neffen zu ermorden. Wir wissen jedoch, dass dieser Tyrell schon Ritter und Oberstallmeister des Königs war. 3) Heinrich VII., der so interessiert daran ist, seinem Rivalen etwas anzuhängen, scheint sich dieses Verbrechens nicht recht sicher zu sein. Die Parlamentsakte, die den Meuchelmord Richards verurteilt, wirft ihm nur vage vor, das Blut der Kinder vergossen zu haben.

Man hat damals keinerlei Untersuchung durchgeführt, und die Untersuchungen, die man in der Folgezeit anstellte, scheinen sehr verdächtig. Dieses Argument hat viel Gewicht, und das Schweigen Heinrichs VII. und seines Parlaments ist zweifellos sehr schwer | [22] zu erklären. 4) Selbst Morus gibt zu, dass man lange daran zweifelte, ob die Kinder zu Richards Zeiten umgekommen waren. 5) Die Chronik von Croyland nimmt an, dass die jungen Prinzen noch lebten, als sich Richard in York abermals krönen ließ. Das Parlamentsregister scheint dasselbe zu verstehen zu geben. Nach Morus folgte die Feierlichkeit auf die Ermordung der Kinder, und die geringe Zuverlässigkeit dieses Autors muss seine Aussage abschwächen.

Aber die Leser werden mit lebhafter Neugier fragen: "Wenn diese Kinder nicht Opfer der Grausamkeit ihres Onkels gewesen sind, berichtet uns dann von ihrem Schicksal: Was ist aus ihnen geworden? Warum sind sie verschwunden?" Jede Hypothese, die keine befriedigende Antwort auf diese Fragen gibt, wird als schwach und mangelhaft erscheinen. MR. WALPOLE versucht, seine Hypothese auf folgende Weise abzusichern: Edward V. kann im Tower eines natürlichen Todes gestorben sein; er war von zarter und schwankender Gesundheit, und Kummer trägt nicht gerade dazu bei, sie zu festigen. Im übrigen nahm man zu Morus’ Zeiten an, dass dieser junge Prinz Richard überlebt hatte. Wenn der Usurpator Heinrich ihn lebend angetroffen hat, dann lässt der neidische und grausame Charakter dieses Tyrannen recht deutlich auf das Schicksal des unglückseligen Edward schließen. Ich fürchte, man wird unserem Skeptiker, der überall sonst die Fakten zu Problemen abschwächt, vorwerfen, hier seinen Verdacht zur Gewissheit zu machen.

| [23] Was Richard Plantagenet [Herzog von York] angeht, so kann der kundige Leser ohne Schwierigkeit die Hypothese von MR. WALPOLE vorhersehen. Perkin Warbeck, dieser junge Thronprätendent, der mehr als einmal den Thron Heinrichs ins Wanken brachte, ist in seinen Augen der echte Herzog von York. Hier sind die wichtigsten Punkte, die unseren gelehrten Kritiker dazu bewogen haben, ihn als solchen anzuerkennen. 1) Warbeck schien ganz der junge Plantagenet zu sein. Die Ähnlichkeit mit Edward IV., die genaue Erinnerung an den englischen Hof usw.: Alles an ihm ließ auf den wahren Erben des Hauses York schließen. 2) Es gelang ihm überall, Vertrauen zu wecken, das sich ein Betrüger niemals erworben hätte. Der König von Schottland gab ihm eine seiner Verwandten zur Frau, die Herzogin von Burgund erkannte ihn als ihren Neffen an und unterstützte seine Interessen mit Eifer; der Chevalier Guillaume Stanley, der Heinrich die Krone aufs Haupt gesetzt hatte, sowie verschiedene andere Anhänger der Weißen Rose ließen den König im Stich, um sich dem Sohn ihres Wohltäters anzuschließen – und starben auf dem Schafott, immer noch überzeugt, dass Perkin Warbeck der wahre Herzog von York sei. 3) Selbst Heinrich verhielt sich Perkin gegenüber (als dieser in seiner Gewalt war) auf eine Weise, die ganz und gar geeignet war, alle Anmaßungen dieses jungen Mannes zu bestätigen. Alles war unsicher, dunkel und mysteriös am | [24] Verhalten des Königs, der zu fürchten schien, die Wahrheit zu entdecken. Er hat es nie gewagt, Perkin der Königinmutter, ihren Töchtern und den Großen am Hof gegenüberzustellen. Dennoch wäre es das sicherste und natürlichste Mittel gewesen, um den Betrug offenkundig zu machen; noch dazu war es genau das Mittel, das Heinrich selbst gegenüber Lambert Simnel eingesetzt hatte, an dem seither niemand mehr festgehalten hat. 4) Die Geschichte, die Heinrich schließlich als Lebensgeschichte von Perkin Warbeck vorbrachte, ist voller Ungereimtheiten und Widersprüche. MR. WALPOLE geht auf einige davon sehr nachdrücklich und kraftvoll ein. Er verweist darauf, dass Kanzler Bacon, ein dem König Heinrich VII. durchaus gewogener Historiker [The History of Henry VII.], so unzufrieden mit dieser Geschichte gewesen sei, dass er eine andere erfand, die aber auch nicht glaubhafter sei. Alle Schriftsteller haben sich jedoch die Vorstellung zu eigen gemacht, dass zum Ruhme Heinrichs ein Betrug nötig war, und M. Carte ist bis jetzt der einzige, der es gewagt hat, sich von der allgemeinen Auffassung zu entfernen.

| [25] Es fällt schwer, MR. WALPOLE zu verlassen, aber wir müssen ihn verlassen. Wir wollen nur noch darauf hinweisen, dass er Richards grässliche Missgestalt abschwächt und ein paar unbedeutende Schönheitsfehler daraus macht: Er war klein von Gestalt, sein Gesicht war kurz geschnitten und seine Schultern ein wenig ungleichmäßig. Eine sehr alte Zeichnung, nach der MR. WALPOLE einen Stich anfertigen ließ, und die Aussage eines Mönchs, der Richard leidenschaftlich verehrte, sind seine Quellen für diese angenehmeren Merkmale. Die alte Gräfin von Desmond beschrieb ihn noch vorteilhafter. Sie erinnerte sich daran, dass sie mit ihm getanzt hatte und dass er bis auf ihren Bruder Edward der bestgewachsene Mann der Gesellschaft gewesen sei.

MR. WALPOLE hat seine kritischen Bemerkungen schlicht und bescheiden unter dem Titel Historische Zweifel veröffentlicht. Dieser liebenswürdige Kritiker muss mehr als jeder andere empfinden, dass bei einem solch dunklen Gegenstand die Wahrheit und selbst die Wahrscheinlichkeit von tausend Wolken verhüllt sind, dass alles in diesem Zusammenhang Problem, Zweifel, Einwand und Widerlegung ist. Vor allem in den Augen eines Mannes von Geist, der großes Wissen über die Geschichte seines Landes besitzt, vervielfältigen sich die Gesichtspunkte bis ins Unendliche. Die Argumente von MR. WALPOLE hatten uns beeindruckt, ohne uns zu überzeugen. Die nun folgenden Betrachtungen haben uns zur allgemeinen Auffassung zurückgeführt. Sie sind von M. Hume, der sie | [26] uns übermittelt hat mit der Erlaubnis, unsere Literarischen Aufsätze damit zu bereichern.

1. Über die Umstände der Rosenkriege herrscht allgemein große Unsicherheit; aber die Darstellung von Thomas Morus wirft viel Licht auf alle Vorgänge aus Richards Regierungszeit und auf den Mord an den beiden jungen Prinzen, seinen Neffen. Die Hochherzigkeit, die Redlichkeit und das sichere Urteilsvermögen dieses Autors sind eine Garantie für die Richtigkeit seiner Aussagen, und es gibt keinen älteren oder jüngeren Historiker, dem man mehr Gewicht zubilligen könnte. Man kann ihn auch mit Fug und Recht als Zeitgenossen betrachten, denn obwohl er erst fünf Jahre alt war, als die beiden Prinzen ermordet wurden, lebte und wuchs er doch unter den Hauptakteuren in Richards Regierungszeit auf, und man sieht deutlich aus seinem Bericht, der oft sehr ausführlich ist, dass er die Einzelheiten von Augenzeugen selbst bekommen hatte. Man kann sich also seiner Autorität nicht entziehen, und diese muss einen entscheidenden Vorzug haben gegenüber den hundert geringen Zweifeln, Skrupeln und Einwänden. Denn man hat keinerlei stichhaltigen Einwand gegen ihn erhoben, und man hat ihn noch keines einzigen Irrtums überführen können. Morus sagt zwar, dass die Anhänger des Protektors, vor allem Doktor Shaw, das Gerücht von einem ersten Ehevertrag Edwards IV. mit Elizabeth Lucy verbreitet hatten, wo- | [27] hingegen es aufgrund von Urkunden so scheint, dass das Parlament Edwards Kinder für unehelich erklärte unter dem Vorwand eines ersten Heiratsvertrags mit Lady Eleanor Butler. Aber man muss beachten, dass nicht einmal versucht wurde, den einen oder den anderen von beiden Eheverträgen zu beweisen; und warum sollen die Schmeichler und Anhänger des Protektors nicht bald dieses, bald jenes Gerücht verbreitet haben? Morus erwähnt sie beide und behandelt sie so knapp, wie sie es verdienen. Mr. Carte findet es unglaubhaft, dass Richard Doktor Shaw dazu bewogen haben sollte, die Herzogin von York, seine Mutter, mit der er in sehr gutem Einvernehmen stand, öffentlich zu verleumden. Aber wenn man wirklich Schwierigkeiten hat, das zu glauben, warum soll man dann nicht annehmen, dass Doktor Shaw, nachdem er die Grundidee seiner Kanzelrede vom Protektor oder von dessen Freunden übernommen hatte, die einzelnen Punkte selbst auswählte – und das mit sehr wenig Urteilsvermögen? Die Ungnade, in die er hernach fiel, scheint diese Annahme zu stützen.

2. Wenn man Morus die Bedeutung als Zeitgenosse bezüglich des Protektorats des Herzogs von Gloucester abspricht, so kann man sie ihm nicht streitig machen hinsichtlich der Hochstapelei von Perkin. Denn Morus war damals ein erwachsener Mann, und ihm standen alle Mittel zur Verfügung, um die Wahrheit zu erfahren, sie zu prüfen und um sich schließlich ein Urteil zu bilden. So gibt er, indem er uns dessen versichert, dass Richard den Herzog von York ermorden hatte lassen, uns tatsächlich | [28] überzeugend die Gewähr, dass Perkin, der seinen Namen annahm, ein Hochstapler war.

3. Ein anderer großer Geist hat diesen Punkt in seiner Geschichte sorgfältig behandelt. Über einen genialen Kopf, der zu Recht als einer von jenen gilt, die unserer Nation die größte Ehre machen, und der tatsächlich einer der erhabensten Geister ist – über Kanzler Bacon will ich sprechen. Er beschreibt ausführlich die Lebensgeschichte von Perkin Warbeck und behandelt ihn in der Tat als Hochstapler, ohne diesbezüglich den geringsten Zweifel zu hegen. Wenn man uns entgegenhält, dass Milord Bacon kein Zeitgenosse war und dass wir nicht nach seinen Schriften, sondern nach den Materialien urteilen müssen, die er selbst benutzte, dann werden wir antworten, dass es sich deutlich zeigt, dass Bacon die Lebensgeschichte [von Warbeck] – eine eingehende und sorgfältig recherchierte Geschichte – auf der Grundlage verschiedener Urkunden und Beweisstücke verfasste, die inzwischen verloren gegangen sind. Man muss ihn also als eine primäre Quelle anführen. Angenommen, die Meinung von Mr. Carte wäre begründet, dann wäre es sehr seltsam, dass bei allen Urkunden, die Mr. Bacon durchgesehen hat, dieser nicht den geringsten Grund für die Annahme fand, Perkin sei der echte Plantagenet. Man hatte damals kein Interesse mehr daran, Richard III. zu verleumden, und im übrigen ist Bacon ein redlicher Historiker, der keineswegs für Heinrich Partei ergriff, haben wir doch von ihm die Einzelheiten über die tyrannische Regie- I [29] rung dieses Herrschers. Man kann ihm einzig und allein vorwerfen, dass er Heinrich bei der Beschreibung seines Charakters nicht so sehr getadelt hat wie die Tatsachen, die er berichtet, es zu erfordern scheinen. Man erlaube mir, am Rande als eine Eigentümlichkeit darauf hinzuweisen, wie viel die englische Geschichte vier großen Männern verdankt, die mit der Magistratswürde bekleidet waren: Morus, Bacon, Clarendon und Whitlocke.

4. Aber wenn man zeitgenössische Zeugnisse verlangt, dann kann man in diesem Punkt äußerst gewichtige und zuverlässige vorweisen. Die Königin, ihr Sohn, der Marquis de Dorset, ein sehr vernünftiger Mann, der Chevalier Edward Woodville, Bruder der Königin, der Chevalier Thomas St. Leger, der die Schwester des Königs geheiratet hatte, der Chevalier Jean Bourchier, der Chevalier Robert Willoughby, der Chevalier Giles d’Aubeney, der Chevalier Thomas Arondel, die Familien Courtney, Cheyne, Talbot und Stanley, kurz gesagt: Alle Anhänger des Hauses York, zu denen die berühmtesten Persönlichkeiten der Nation gehören, waren von der Ermordung der beiden Prinzen derart überzeugt, dass sie sich an den Grafen von Richmond [Heinrich VII.] wandten, den Todfeind ihrer Familie und ihrer Partei. Sie schmiedeten den Plan, ihn auf den Thron zu bringen, einen Plan, der dann unsinnig gewesen wäre und sie ins Verderben gestürzt hätte, wenn der Prinz noch gelebt hätte; und sie versprachen, ihm [Richmond] Prinzessin Elisabeth zur Gemahlin zu geben als | [30] Erbin der Krone, auf die sie nur durch den Tod ihrer Brüder Anrecht hatte. Gibt es unter diesen Personen eine einzige, die beim Schreiben von Memoiren über diese Zeit nicht versichert hätte, Richard habe seine Neffen umbringen lassen? Was brauchen wir überhaupt ihre Schriften – ihre Handlungen zeigen uns noch weit zuverlässiger ihre wahre Überzeugung.

5. Aber wir haben eine andere zeitgenössische Autorität, die noch zuverlässiger ist, eine unter den Personen, für die es äußerst wichtig war, die Wahrheit zu kennen – Richard selbst. Er beschloss, seine Nichte zu heiraten (eine recht außergewöhnliche Verbindung in England), um dadurch ihren Rechtstitel mit dem seinen zu vereinen. Er wusste also, dass diese Prinzessin tatsächlich ein Anrecht auf die Krone hatte, denn was ihre angebliche Unehelichkeit angeht, so betrachtete die Nation die entsprechende Erklärung – da man dafür nie Beweise vorlegte und nicht einmal versuchte, welche zu liefern – mit der größten Ablehnung und genau so wie so viele Parlamentsakten aus dieser Zeit, die skandalös und ohne jede Autorität waren. Man dachte nicht einmal daran, diese Urkunde zu vernichten, als Heinrich und Elisabeth den Thron bestiegen hatten.

6. Wir müssen auch die allgemeine Meinung sowohl im Inland als auch im Ausland als Zeitzeugnis betrachten. Man war von der Ermordung der beiden Prinzen so überzeugt, dass, als Richard dem französischen Hof seine Thron- | [31] besteigung mitteilte, dieser Hof, wie Philippe de Comines uns wissen lässt, von Entsetzen erfasst wurde über den abscheulichen Verwandtenmord, den Richard durch die Tötung seiner Neffen begangen hatte; und diese Ansicht äußerte sich deutlich darin, dass – wie uns derselbe Autor sagt – der Hof nicht willens war, auf die Bekanntgabe des Ministers eine Antwort zu geben.

7. Dieselben Gründe, die die Zeitgenossen von der Wahrheit dieses Verwandtenmordes überzeugten, bestehen weiter und müssen für uns die deutlichsten Beweise sein. Nachdem die beiden jungen Prinzen plötzlich aus dem Tower verschwunden waren, zeigten sie sich nirgendwo sonst. Alle sagten: "Sie sind ihrem Onkel nicht entflohen, da er ja keinerlei Ermittlung anstellt; er hat sie auch nicht anderswo hinbringen lassen, sonst würde er es bekannt geben, um sich von der Anschuldigung, er habe sie töten lassen, reinzuwaschen. Richard würde sich nicht unnötig der Schande aussetzen und der Gefahr, die mit dem Ruf als Mörder verbunden ist; sie waren in seiner Obhut, er muss dafür einstehen, wenn er sie nicht wieder zum Vorschein bringt. Da er ein ganz eindeutiges Interesse an ihrem Tod hatte, muss uns der gesunde Menschenverstand veranlassen, ihn als ihren Mörder zu betrachten. Seine offenkundige Usurpation und seine anderen niederträchtigen und grausamen Taten lassen uns nichts Besseres von ihm erwarten. Richard konnte nicht wie Kain sagen: >Bin ich denn der Hüter meiner Nef- | [32] fen?<" Diese von Anfang an überzeugenden Überlegungen wurden von Tag zu Tag beweiskräftiger durch Richards anhaltendes Schweigen und eine völlige Unkenntnis über den Aufenthaltsort der Prinzen. Zwei Jahre verstrichen von diesem Zeitpunkt bis zum Ende der Regierungszeit des Königs, und er hätte sicherlich die Pläne des Grafen von Richmond [Heinrich VII.] nicht besser zunichte machen und sich selbst rechtfertigen können als dadurch, dass er die Prinzen, seine Neffen, herbeigeschafft hätte.

8. Wenn es nach derart klaren Erkenntnissen noch nötig wäre, Beweise zu liefern, die sich in jedem anderen Fall als wichtig und sehr wertvoll erweisen würden, dann würde ich die Aussagen von Dighton und von Tyrell anführen; vor allem ist es nicht plausibel, dass letzterer, der ein Edelmann war, sich selbst den berechtigten Vorwürfen, die er sich wegen eines solch abscheulichen Verbrechens zuziehen musste, durch einen Schwindel ausgesetzt haben soll, der ihm anscheinend nicht einmal die Gunst Heinrichs eingebracht hat.

9. Der Herzog von York konnte im Alter von neun Jahren nicht entkommen ohne Mithilfe einiger Personen, die älter waren als er. Hätten sie nicht auf der Stelle die Königinwitwe, seine Mutter, die Herzogin von Burgund, seine Tante, und alle, die mit dem Hause York verbunden waren, über dieses wichtige Ereignis in Kenntnis gesetzt?

10. Das beharrliche Schweigen, das über jene herrschte, die dem Herzog von York bei seiner Flucht geholfen | [33] hätten, und das Schweigen über seinen Aufenthaltsort für weitere neun Jahre, ist ein zusätzlicher hinreichender Beweis für Perkins Hochstapelei.

11. Perkins Bericht selbst ist ohne jede Wahrscheinlichkeit. Er sagt, dass die Mörder seinen Bruder niederstreckten, dass sie aber mit ihm Mitleid hatten und ihm zu fliehen erlaubten. Man findet diesen Bericht bei allen Historikern jener Zeit.

12. Perkin selbst legte ein umfassendes Geständnis ab über seinen Betrug, und das nicht weniger als dreimal: Das erste Mal, als er sich in Gefangenschaft begab, das zweite Mal, als er in der City und in Westminster an den Pranger gestellt wurde, und das dritte Mal (was einen vollständigen Beweis erbringt) am Fuße des Galgens, an dem er aufgehängt wurde. Man findet nicht die geringste Andeutung darüber, dass ihm diese Geständnisse durch die Folter entrissen wurden, und als er das letzte Geständnis ablegte, hatte er sicher nichts weiter mehr zu befürchten.

13. Wenn Heinrich nicht hinlänglich davon überzeugt gewesen wäre, dass Perkin ein lächerlicher Hochstapler war, der von der ganzen Nation verachtet wurde, dann hätte er ihn nicht eine Stunde länger am Leben gelassen, nachdem er ihn in seiner Gewalt hatte; noch weniger hätte er ihm zweimal vergeben. Die Art und Weise, wie er den unschuldigen Grafen von Warwick behandelt hat, der keinerlei Anrecht auf den Thron hatte, stützt dieses Argument.

14. Wir finden die Quelle von Perkins Hochstapelei ganz deutlich in den Intrigen der Herzogin von Burgund. Sie | [34] hatte zuvor Lambert Simnel, der allgemein als Hochstapler galt, anerkannt und unterstützt. Wir wollen noch anmerken, dass Mr. Carte diese wichtige Tatsache vollständig weglässt, um das Gewicht der Aussage, die die Herzogin zugunsten von Perkin machte, nicht zu vermindern – eine recht erstaunliche Auswirkung von parteiischer Voreingenommenheit und ein Beweis für die Absicht dieses Autors, Heinrich zu verleumden, der keinen Erbanspruch auf die Krone hatte.

15. Man hat in eben jener Zeit niemals den geringsten Beweis dafür erbracht, dass Perkin Richard Plantagenet war. Richard verschwand im Alter von ungefähr neun Jahren, Perkin tauchte erst auf, als er ein erwachsener Mann war. Konnte jemand bei dem Anblick wirklich davon überzeugt sein, dass er Richard war? Perkin kannte zwar einige Anekdoten über Richards Kindheit und den englischen Hof. Aber alles, was ein Kind von neun Jahren im Gedächtnis behalten haben konnte, konnte ihm ganz leicht von der Herzogin von Burgund, von Frior, Heinrichs Sekretär, oder von irgend jemandem, der zu jener Zeit am Hof gewesen war, eingeflüstert worden sein. Es ist wahr, dass etliche Personen von Stand damit zunächst getäuscht wurden; aber die Unzufriedenheit, die Heinrichs Regierung auslöste, und die allgemeine Begeisterung, die man für das Haus York hegte, erklären diese vorübergehende Täuschung hinlänglich. Allen waren also die Augen geöffnet, lange bevor Perkin zum Tode verurteilt wurde. I [35]

16. Die Umstände, unter denen man unter der Regierung von Charles II. im Tower zwei Leichen entdeckte, ist keineswegs unwichtig. Man fand sie an derselben Stelle, von der Morus, Bacon und andere ältere Schriftsteller uns versichern, dass die beiden jungen Prinzen dort begraben wurden. Die Knochen dieser Leichen waren von einer Größe, die zum Alter der Prinzen passte. Der geheime und unpassende Ort (da er sich ja nicht auf geweihtem Boden befand), an dem diese Kinder verscharrt wurden, ist ein Beweis dafür, dass sie heimlich umgebracht worden waren. Denn welche Kinder außer denen, die der Krone nahe stehen, könnten im Tower einen gewaltsamen Tod erlitten haben? Wenn man all diese Einzelheiten miteinander vergleicht, dann können wir daraus schließen, dass es die Leichen von Edward und seines Bruders waren, und das ist auch die Folgerung, die man zur Zeit der Entdeckung daraus zog.

Anmerkungen:

1 In 4 Bdn. in 4to mit sehr schönen Abbildungen. Die ersten beiden erschienen 1761 und die | [3] beiden weiteren 1765. Man findet in den drei ersten die Lebensgeschichten der englischen Maler bis zur Regentschaft von Königin Anne, und im vierten die der Graveure bis zum selben Zeitabschnitt.

2 Mr. Walpole hat in seinem Landhaus in der Nähe von London (Strawberry-Hill) eine Hausdruckerei eingerichtet. Die ersten Drucke seiner eigenen Werke und einige andere Bücher, die geschmackvoll ausgewählt und tadellos und elegant gedruckt sind, haben diese Druckerei schon verlassen.

3 So bestrafte die englische Gesetzgebung die Fälscher.

4 Die Sprache der alten Schotten. Das Heldengedicht über Fingal usw. sind in dieser Sprache verfasst worden.

5 Mr. Carte hat eine Allgemeine Geschichte Englands in 4 Bdn. in fol. herausgegeben mit der Absicht, sie jener von Rapin gegenüberzustellen. Er starb, bevor er diese große Arbeit fertiggestellt hatte, die er bis zum Protektorat von Cromwell vorangetrieben hat. Dieses gelehrte Werk, das übrigens recht schlecht geschrieben ist, steckt voller nützlicher Untersuchungen und voller Vorurteile, die aber kaum als solche gelten dürfen.