Rezension zu:

GERHARD STREMINGER
David Hume. Sein Leben und sein Werk
Paderborn, Schöningh 1994, 715 S.

von Jens Kulenkampff
aus der Zeitschrift: Das achtzehnte Jahrhundert
Wolfenbüttel, Nr. 2/1995

Die Hume-Rezension im deutschen Sprachraum hat eine wechselvolle Geschichte. Humes Werk wurde seit den 1750er Jahren zur Kenntnis genommen und hat an wenigstens zwei Stellen deutliche Spuren in der deutschen Geistesgeschichte hinterlassen. Einmal dadurch, daß der humesche Skeptizismus Kant (nach dessen eigenem Bekenntnis) aus seinem dogmatischen Schlummer riß und auf den Weg der Transzendentalphilosophie brachte; zum andern dadurch, daß Hume bei Hamann und Jacobi zum Objekt eines höchst produktiven Mißverständnisses wurde, indem diese Hume (den rationalistischen Religionskritiker souverän mißachtend) zum Kronzeugen ihres eigenen Anti- und Irrationalismus aufriefen. Auch im 19. Jahrhundert hörte Humes Nachwirkung nicht auf, aber bis weit in unser Jahrhundert hinein dominierte hierzulande die Auffassung, daß der humesche Skeptizismus durch Kant überwunden und daß der Empirismus, den Hume vertrat, ohnehin keine eigentliche Philosophie sei. Daß Hume zu den ganz Großen der europäischen philosophischen Tradition gehört, wurde lange nicht erkannt; sein Werk wurde einseitig wahrgenommen; seine differenzierte Psychologie, seine Moral- und Staatstheorie blieben hierzulande (anders als im englischen Sprachraum) im Grunde wirkungslos. Diese Situation hat sich inzwischen geändert, wenngleich die deutschsprachige Hume-Forschung der letzten Jahrzehnte wenig hervorgebracht hat, das dem Rang des Gegenstandes und dem Qualitätsstandard der angelsächsischen Literatur entspräche.

Unter diesen Umständen ist das Erscheinen von Stremingers Monographie ein besonderes Ereignis, ist es doch seit dem inzwischen veralteten und in vieler Hinsicht überholten Buch von Rudolf Metz von 1929 das erste Mal, daß eine wirklich umfassende deutsche Studie vorgelegt wird. Streminger ist bereits mit einer ganzen Reihe von Arbeiten über Hume und die schottische Aufklärung hervorgetreten; das jetzt vorgelegte Werk, das im Stile einer »intellectual biography« Leben und Werk David Humes in allen Facetten zu erfassen versucht, stellt zweifellos einen Höhepunkt dar und wird in der deutschen Hume-Forschung Maßstäbe setzen. Englisches Gegenstück (und in mancher Hinsicht wohl auch Stremingers Vorbild) dürfte die Standardbiographie von Mossner sein. Während bei Mossner das Biographische jedoch eindeutig überwiegt und eine gedankliche Würdigung der Werke Humes in den Hintergrund tritt, muß als Besonderheit von Stremingers Buch hervorgehoben werden, daß es hier nicht allein um eine historische Gestalt und nicht allein um ein vor mehr als zweihundert Jahren entstandenes Werk geht (das freilich auch: Stremingers Buch basiert auf umfangreicher eigener Archivarbeit), sondern daß Streminger zugleich den gedanklichen Gehalt des Werkes nachzuzeichnen und die nach wie vor gegebene Aktualität des Aufklärers Hume zur Geltung zu bringen sucht.

An dieser Stelle sei noch ein Hinweis erlaubt: Streminger ist vor zwei Jahren mit einer systematischen Abhandlung hervorgetreten, die – ganz im Geiste Humes geschrieben – nichts Geringeres darstellt als eine engagierte Fortsetzung aufklärerischer Religionskritik. Dieses und das neue Buch über Hume gehören zusammen, weil mir der wichtigste Impuls für Stremingers Interesse an Hume die Überzeugung des Autors zu sein scheint, daß aufklärerische Kritik an unhaltbaren Dogmenbeständen der Religionen keineswegs obsolet, sondern gerade heute, angesichts von neu aufblühenden religiösen Fundamentalismen aller Art, wieder nötig ist. Streminger: »Eine grundsätzliche Analyse und Kritik der Religion, wie David Hume und andere Aufklärer sie entwickelt haben; dürfte [...] weiterhin von erheblicher Bedeutung sein, schon deshalb, weil der theologische Diskurs sich der philosophischen Kritik nicht entziehen kann und daher fast notwendigerweise auch die Auseinandersetzung mit den Humeschen Thesen suchen muß. « (S. 19)

Es kann hier nicht die Aufgabe sein, auf Einzelheiten des mehr als siebenhundert Seiten umfassenden Werkes einzugehen, sondern nur die uneingeschränkte Empfehlung gegeben werden, daß, wer immer sich aus verläßlicher Quelle über einen der bedeutendsten und vielseitigsten Aufklärer informieren will, zu diesem ebenso lesbaren wie lesenswerten Buch greifen möge. (Hingewiesen sei noch darauf, daß Streminger im Anhang zwei von ihm gefundene Briefe Humes aus dem Jahre 1776 sowie eine Rezension von Horace Walpoles Historical Doubts on the Life and Reign of King Richard ihe Third mitteilt, die Streminger als einen Text Humes erkannt hat.)

Jens Kulenkampff, Duisburg