Rezension


Schottischer Empirismus

Streminger, Gerhard: David Hume. Sein Leben und sein Werk.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1994; 715 S.

in "Annotierte Bibliographie für politische Bildung", Nr. 2/95, Bonn

Dr. Elke Völmicke, wiss. Referentin. Bonn




Den Ursprung seiner Philosophie sieht David Hume selbst in dem drängenden Verlangen nach der Erkenntnis der Grundlagen des moralisch Guten und Schlechten, des Wesens und der Bedingungen des Staates sowie der Einsicht in die Ursachen der verschiedenen den Menschen bewegenden Affekte und Neigungen. Streminger versucht in seinem Buch über Leben und Werk des schottischen Philosophen der thematischen Vielfalt seines Denkens gerecht zu werden. So verkürzt er das Humesche Werk nicht auf die theoretische Philosophie des "Traktats", sondern berücksichtigt ebenso weniger populäre aber nicht minder zentrale Lehrstücke wie die "Untersuchungen über die Prinzipien der Moral" oder auch die "History of England". Hierbei beabsichtigt Streminger nicht nur, die Einheit des Humeschen Werks, das heißt die Verschränkung philosophischer und spezial-wissenschaftlicher Überlegungen herauszuarbeiten, sondern ebenso die Einheit von Leben und Werk.

Schon seine Konzeption, die nicht der häufig anzutreffenden Zweiteilung in einen biographischen und einen werkimmanenten Teil entspricht, sondern die Werkinterpretation in die Darstellung der Lebensgeschichte chronologisch einbettet, gibt ein Bild von der stark positivistisch geprägten Methode Stremingers. Wenngleich er damit die nicht unstrittige These vertritt, kein Werk eines Denkers kann ohne Wissen um das Leben und das Lebensmilieu, aus dem die Person hervorging, verstanden werden, verfällt der Verfasser keinem genetischen Biographismus. Vielmehr bemüht er sich auch darum, die Humesche Philosophie aus ihren eigenen Problemstellungen und Systemzusammenhängen zu entwickeln. Diese Kombination von biographischen und systematischen Aspekten verdeutlicht dem Leser die lebens- und zeitgeschichtlichen Voraussetzungen Humes philosophischer Lehre und zeigt, daß sie in der Entwicklung der englischen Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts an einer vergleichbar entscheidenden Stelle steht wie die Lehre Kants innerhalb der deutschen Philosophie. Es wird aber ebenso deutlich, inwiefern Hume zu recht als Vertreter einer ganz bestimmten, weder örtlich noch zeitlich gebundenen Denkrichtung gilt.

Bereichert werden die Ausführungen Stremingers durch ein äußerst umfangreiche, und interessantes Quellenmaterial. Es gelingt dem Autor sogar dank des Aufweises zweier unbekannter Briefe sowie einer neuaufgefundenen Rezension Humes, den Leser zu überraschen und eine Lücke in der Hume-Forschung zu schließen. Bezogen auf die minuziöse sowie wissenschaftlich fundierte Darstellung des Humeschen Lebens und Werks, mag man dem Buch die im Klappentext gewählte Auszeichnung "Qualität des Definitiven" durchaus zusprechen. Das ist aber nicht so zu verstehen. als erhebe der Autor den Anspruch, im Rückgang auf die bewirkenden Ursachen sein Objekt vollständig erklären zu können.

In diesem Sinne hat Stremingers Buch keinen abschließend-theoretischen, sondern eher einen aufschließend-exponierenden Charakter. Denn unterstützt durch die eingearbeiteten ausführlichen Zitate wird der Leser angeregt, sich selbst ein Bild zu machen. Und es wird deutlich. daß die Humeschen Fragen zur Erkenntnistheorie, Ethik, Affektenlehre oder Lehre vom Staat gar nicht so vergangen sind, sondern immer wieder auftauchen und unter neuen Perspektiven diskutiert werden müssen.

Dr. Elke Völmicke, wiss. Referentin, Bonn