Rezension

Gerhard Streminger, Gottes Güte und die Übel der Welt. Das Theodizeeproblem. Tübingen: Mohr 1992. ISBN 3-16-145890-3. 8° (V u. 442 S.). Kart. DM 84,-; Ln. DM 138,-.

In: Zeitschrift fόr Kath. Theologie, 1 (1994) Jg. 116, S. 75-77

"Alle Versuche, die Güte Gottes angesichts der Übel in einer von ihm abhängigen Welt zu rechtfertigen, sind mißlungen" (377). Für einige der von S. diskutierten, mehr oder weniger klassischen Versuche trifft dies zu: Von der Geordnetheit des Universums, die unvermeidliche Übel rechtfertige, läßt sich nicht nur wegen vielfacher Negativerfahrungen (53-85), sondern grundsätzlich nicht auf eine "bestmögliche Welt" schließen, weil dies ein Unbegriff ist; was endlich ist, bleibt in jeder Hinsicht unter- und überbietbar. Auch die verstärkende Variante, die Leiden der Welt bildeten einen nun gar wünschenswerten Kontrast im aufs ganze gesehen – schönen "carmen universi", ist, obwohl "dem Blick aufs Ganze und dem Prinzip des Kontrastes eine gewisse Plausibilität zukommt" (88), leicht zu disqualifizieren (85-103). Dem immer noch beliebten Kanzelargument, Gott respektiere eben vornehmerweise die Freiheit des sie zum Bösen mißbrauchenden Menschen, entzieht S. den Boden: Der allweise und allmächtige Schöpfer der Welt hätte ihr bessere Rahmenbedingungen (z. B. 153. 157) vorgeben können, welche die Menschheit insgesamt abgehalten hätten vom Bösen; denn die Freiheit des Menschen schließe zwar die Möglichkeit ein, sich für das Böse zu entscheiden, keineswegs aber die notwendige Realisierung dieser Möglichkeit. Dem ist zuzustimmen. Aber S. sollte bei der Ausführlichkeit seiner Freiheitsdiskussion (117-177) auch danach fragen, wie ein gewisses, nicht bloß wahrscheinliches Wissen Gottes um alle möglichen Reaktionen der Menschen in den verschiedensten Situationen (um die sogenannten Futuribilien) etwa zu denken sei. Luis de Molina versuchte 1587/88 darauf eine Antwort zu geben, die zusammen mit der thomistischen Alternative, wonach Gott die menschliche Freiheit als solche, d.h. ganz unbeschadet derselben, 'von innen her’ auf das ihrer Wesensbestimmung gemäße Gute hin zu bewegen vermag, zu Anlaß und Gegenstand eines zehnjährigen Streites (1597-1607) über das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit wurde ... Ein damals nicht entschiedener Streit von hohem geistigem Rang ... Festzuhalten bleibt: So sehr der Mensch selbst für den Mißbrauch seiner Freiheit verantwortlich ist – die Zulassung desselben von seiten Gottes verlangt nach einem Grund, den die Tradition gegenüber dem durch ihn verwirklichten Bösen als "das größere Gute" bezeichnet und bewertet.

Den Bereich der sittlichen Werte, in dem dieses "maius bonum" zu suchen wäre, behandelt S. ausnahmsweise kurz, zu kurz, (104-117). Er kritisiert hauptsächlich, daß Menschen sich selbst gefallen im Mitgefühl mit dem Leid anderer, die sie dadurch erniedrigen zum Mittel ihrer Pseudomoral. Nicht in den Blick kommt, daß Leiden und Mit-Leiden, auch und gerade wenn böses Versagen in persönlichen Beziehungen zu Krisen und Katastrophen führt, aber verwunden wird, für alle Beteiligten zu einer neuen Erfahrung, ja Offenbarung erlösender Liebe zu werden vermag,

Es sei der Hinweis erlaubt, daß der Rez. dieses Theodizee-Moment mehrfach anvisiert hat: im LThK2 10 (1965) 430-435; MySal 3/2 (1969) 549-581; mit J. Splett in Sacr. Mundi 4 (1969) 848-860 = HThTL 7 (1973) 228-236: HFTh 2 (1985) 197-222. – Es mag aber auch durchaus genügen, acht (!) – zum Teil anders argumentierende – Seiten, die S. zitiert, zu bedenken: J. Splett in ThPh 60 (1985) 410-417.

Von Liebe und gar deren – für den Christen – höchster, weil abgründig-tiefster Offenbarung im Kreuzestod Jesu ist bei S. allerdings kaum die Rede – es sei denn als flüchtigster Blick in einen Zerrspiegel des Kreuzes (408119) oder in einem schönen allgemeinen Nebensatz: "Wenn Liebe inmitten von Versuchungen und Schwierigkeiten am intensivsten blüht . . ." (307). Auch kaum dort, wo man es am meisten erwartet: auf den fast 100 Seiten des Kapitels "Der leidende Gott" (191-289), das nur zu Anfang und gegen Ende die "Vorstellung" streift, "daß der Schöpfer des Himmels und der Erde unsere Last mitgetragen hat, indem er sich selbst durch die Kreuzigung den Übeln der Welt unterwarf" (191), um umgehend die "dunkle Kehrseite" daraus gezogener falscher Vertröstung anzuprangern (192; vgl. 278-282: "Leidensmystik"); dort 282 dagegen, daß Gott sich des Kreuzes bedient, "um eine Brücke zwischen sich und seinen Geschöpfen zu bauen": "es könnte auch . . . Liebe sein"!

Im übrigen handeln die Seiten 193-278 in einer Art Generalabrechnung mit dem Christentum über das Neue Testament und die jesuanische Ethik nebst deren "fatalen Folgen", was nicht "ad rem", nämlich zum Theodizeeproblem gehört und nicht auf der Höhe gegenwärtiger Bibelwissenschaft steht. Darauf ist hier nicht einzugehen. Auch die Thesen des Schlußteils, die vom Theismus angenommenen Eigenschaften Gottes seien unvereinbar (328-337) und die Existenz Gottes unbewiesen (342-349; S, sagt sogar: "unbeweisbar"), sind nicht genügend gründlich; zur Widerlegung des ontologischen Argumentes z.B. führt S. Gaunilos vollkommenste Insel ins Feld (343), und der Satz "Alle Dinge sind verursacht" läßt den kosmologischen Beweis von vornherein absurd erscheinen (344). Würden die beiden Thesen – oder eine davon – stimmen, gäbe es kein Theodizeeproblem und wären die voraufgehenden 300 Buchseiten überflüssig.

Auch sonst sind viele einzelne Behauptungen von größerem oder kleinerem Gewicht falsch oder sehr schräg, Gibt es nach der Privationstheorie "überhaupt keine Übel", sondern nur einen Mangel an Gutem" (50; Mangel versteht sich als nicht-sein-sollendes Fehlen!); erhebt sie den Anspruch, die Güte Gottes zu beweisen (185; vielmehr eine unverzichtbare Begriffsklärung!)? Wäre Gott nicht allmächtig, wenn er Logisch-Widersprüchliches nicht schaffen kann (97)? Haben die Tiere "nach christlicher Lehre keine Seele" (105, 308)? Behaupten "die Vertreter der Willensfreiheit"" daß freies menschliches Handeln (oder eher: Entscheiden?!) "unverursacht", "unabhängig von Motiven" und deshalb "zufällig" sei (119. 120105. 134. 159 ... )? Meinen wirklich "die meisten Theisten . . ., daß die Seele ewig ist", d.h, nicht erst irrt Zeugungsakt entstanden (307)? Nur mit Hemmung fragt der Rez., ob ein Satz wie der folgende für Aufklärung oder Aufkläricht steht: "Wie viel wäre Menschen erspart gehlieben, hätte der Allmächtige wenigstens in der Gestalt Jesu, anstatt zweideutige Gleichnisse zu erzählen, Menschen informiert, wie Kindbettfieber vermieden werden kann oder welche Krankheiten durch Moskitos Übertragen werden und wie man sich dagegen schützt?" (41; Ähnliches: 44. 113. 146. 165145. 169.)

Unverkennbar trägt der Verf. schwer an der Leidensgeschichte der Menschheit. Er muß sich deshalb auch der Sympathie des Rez. versichern lassen (trotz der – zumeist kleingedruckten – Kritik). Aber können ihm Schopenhauer, Nietzsche, Hume, Holbach als, was er von Nietzsche sagt (387), "Kronzeuge(n) der Wahrheit" wirklich helfen? Sie bestätigen nur durchweg seine Skepsis. Die Basisschwierigkeit scheint darin zu liegen, daß S. zuerst das Problem der Theodizee – philosophisch – gelöst haben will (z. B. 362. 371). Und so allein ist es unlösbar. Die Situation ist fundamental anders für den, der aus guten erfahrenen Gründen – auf welcher Reflexionsebene immer! – sich überzeugt hat von der Existenz des allwissend-allmächtigen und unendlich guten Gottes und dann – zumal im Blick auf Jesu Lehre, Leben, Sterben und Auferwecktsein-für-immer – die Welt und sein Dasein in ihr bejahend aushält. Dabei erlangen auch zwei von S. als "Umgehungsversuche" bezeichnete Momente (289-298 bzw. 298-318) legitime Bedeutung: Verständnis dafür, daß Gott mit seiner göttlich-unendlichen Güte als solcher uns nicht voll begreifbar sein kann, und die freimütige Hoffnung auf die ewige, d.h. nimmer endende Gemeinschaft eines neuen Lebens. Den Schlußreflexionen über Glauben und Vernunft (349-377) ist in bezug auf diesen einen Punkt schlicht und entschieden zuzustimmen: daß Vernunft und mit ihr Evidenz, Argumentation und Kritik unverzichtbar wichtig sind (das ist gute, wenn schon nicht alleweil behördlich beachtete, christkatholische Tradition). Und das gilt in stärkerem Ausmaß für die Forderung aktiver Leidminderung (377ff). Aber – ein letzter kritischer Punkt – ist das Plädoyer für unseren "absurden, aber in vieler Hinsicht überaus attraktiven Planeten" (384) oder ernsthafter, für den "tragischen Helden" im Sinn der altgriechischen Tragödie (401-416) wirklich die gemäße Antwort auf die Frage, die das ganze Buch darstellt?

Walter Kern SJ