Zeittafel und Bilder-Galerie
zu Adam Smith

Im Internet erreichbare Sendungen und Darstellungen zum 300. Geburtstag von Adam Smith Anfang Juni 2023

Dazu: Gerhard Streminger: Adam Smith - Wohlstand und Moral


Als Link (blau) gekennzeichnete Personen oder Örtlichkeiten beziehen sich auf
zugehörige und direkt ansteuerbare Dokumente in der unten folgenden Bilder-Galerie.

 

1720

Adam Smith sen. heiratet Margaret Douglas of Strathenry.

1723

Frühjahr: Adam Smith sen. stirbt. 5. Juni: Sein gleichnamiger Sohn wird in Kirkcaldy, Schottland, getauft.

1732-7

Besuch der Grundschule in Kirkcaldy.

1737

Übersiedlung nach Glasgow. November: Immatrikulation an der dortigen Universität. Studium bei Alexander Dunlop (Griechisch), John Simson (Mathematik) und Francis Hutcheson (Philosophie).

1740

Smith erwirbt mit Auszeichnung den akademischen Grad des Master of Arts. Als Anerkennung erhält er ein Stipendium für England. 7. Juli: Immatrikulation an der Universität Oxford.

1740-6

Studium in Oxford. Während der Ferien Besuche im nahen Adderbury, Wohnsitz des Herzogs von Argyll. November 1742: Smith wird für ein weiteres Stipendium vorgeschlagen. August 1746: Rückkehr nach Kirkcaldy.

1748-51

Smith hält in Edinburgh Kurse über Literatur, Literaturkritik und Jurisprudenz; er lernt David Hume persönlich kennen.

1751

Ernennung zum Professor für Logik an der Universität Glasgow. Januar: Antrittsvorlesung. Ab Oktober unterrichtet Smith an der Universität (bis 1763).

1752

April: Smith wird zum Professor für Moralphilosophie ernannt. Mitbegründer der Literary Society in Glasgow.

1754

Mitbegründer der Select Society in Edinburgh.

1755/6

Vortrag im Political Economy Club in Glasgow. Erste philosophische Publikationen in der >Edinburgh Review<.

1758

Ouästor der Universitätsbibliothek (bis 1760).

1759

ca. 30. März: Die Theorie der ethischen Gefühle wird in London veröffentlicht.

1760

Dekan der Fakultät (bis 1763). Sommer: Aufenthalt aus Gesundheitsgründen in England.

1761

Prorektor der Universität (bis 1763). Spätsommer: Aufenthalt in London. Publikation des Aufsatzes über den Ursprung der Sprachen.

1762

Mai: Smith wird zum Bürger Glasgows ernannt. Oktober: Verleihung des Titels eines Doktors der Rechte.

1764

Januar: Smith verläßt Glasgow und reist als Privatlehrer des Herzogs von Buccleugh nach Frankreich. Kurzer Aufenthalt in Paris, danach Toulouse. Arbeit am Wohlstand der Nationen. Im Herbst gesellt sich Buccleughs Bruder zu ihnen. Oktober: gemeinsame Reise durch den Süden Frankreichs. November-Dezemher: Genf. Mehrere Treffen mit Voltaire.

1766

Januar-Oktober: Paris. Kontakte mit dem französischen Herrscherhaus, mit den Aufklärern und Physiokraten. Oktober: Buccleughs Bruder stirbt. Smith kehrt nach England zurück. 1. November: Dover. Smith erhält von Buccleughs Familie eine Pension von 300 Pfund pro Jahr.

1766/7

November-Mai: London. Berater des britischen Schatzkanzlers. Forschungen im British Museum, vor allem über Kolonialpolitik. Mai: Ernennung zum Fellow der Royal Society in London.

1767-73

Aufenthalt in Kirkcaldy. Intensive Arbeit am Wohlstand der Nationen. Juni 1770: Ernennung zum Bürger Edinburghs. April 1773: Reise nach London. Dreijähriger Aufenthalt in der englischen Hauptstadt.

1775

Smith wird zum Mitglied des Literary Club von Dr. Johnson gewählt.

1776

9. März: Der Wohlstand der Nationen. April: Reise nach Schottland, um den sterbenskranken Hume wiederzusehen. 25. August: Tod Humes.

1777

Januar-Oktober: London. Smiths Darstellung der letzten Tage Humes erscheint erstmals im Januar im >Scots Magazine<. Rückkehr nach Schottland.

1778

Januar: Ernennung zum Zollrevisor. Übersiedlung nach Edinburgh mit Mutter und der Cousine Janet Douglas. Adoption des Großneffen David Douglas (später Lord Reston).

1782/3

Überarbeitung des Wohlstands der Nationen. Frühjahr 1782: London. 1783: Mitbegründer der Royal Society in Edinburgh.

1784

April: Smith begleitet Edmund Burke nach Glasgow und auf eine Reise durch Schottland. Mai: Smiths Mutter stirbt. Gesundheitsprobleme.

1787

März-August: London. Operation. November: Ernennung zum Lord Rector der Universität Glasgow (bis 1789).

1788

Herbst: Janet Douglas stirbt. Umfangreiche Überarbeitung der Theorie der ethischen Gefühle (bis wenige Monate vor seinem Tod).

1790

17. Juli: Smith stirbt in Edinburgh.

1795

Joseph Black und James Hutton veröffentlichen Smiths Essays über philosophische Gegenstände.

2007

Auf der neuen 20-Pfund-Banknote, die im Frühjahr 2007 in Großbritannien in Umlauf kommen soll, wird Adam Smith abgebildet sein. Das gab der Gouverneur der >Bank of England<, Mervyn King, in einem Festvortrag in der schottischen Kleinstadt Kirkcaldy, dem Geburtsort Adam Smiths, bekannt. Der neue britische Premierminister Gordon Brown stammt im übrigen ebenfalls aus Kirkcaldy.




Bilder-Galerie


Quelle: FAZ vom 16. Januar 2009, S. 12. Bild-Unterschrift:
"Dank vieler privater Gönner endlich auf dem Sockel: das neue Adam-Smith-Denkmal in Edinburgh".

Der Geburtsort von Adam Smith, Kirkcaldy, liegt Edinburgh gegenüber, am anderen Ufer des Firth of Forth. Mit Glasgow westlich von Edinburgh sind dann schon alle wichtigen Wohnorte des jungen Smith auf einen Blick erwähnt.
Kirkcaldy in der Grafschaft Fife ("Bettelrock mit Goldrand" nannte sie Jakob I., da dieses unwirtliche Binnenland von vielen Fischerdörfern eingesäumt war), hatte damals etwa 1500 Einwohner. Nach Daniel Defoe lebte die Bevölkerung nicht nur vom Fischfang, See- und Getreidehandel, sondern auch von den Kohlengruben und der Salzgewinnung aus Meerwasser; man pflegte Handelsverbindungen mittels "mehrerer guter Schiffe" etwa mit Schweden, Amsterdam und gar Königsberg – jener Stadt, in der ein Jahr nach Smith 1724 Immanuel Kant geboren wurde, der neben den Schriften Humes vor allem auch diejenigen von Smith eingehend studierte und hochschätzte, ihn einmal sogar als seinen "Liebling" (Streminger S. 80) bezeichnete.


Der Hafen von Kirkcaldy


Das moderne Kirkcaldy, wie es sich heute im Internet vorstellt.


Der Hafen von Glasgow. Stich von Robert Paul, 1761


Die Universität von Glasgow, Ende des 17. Jahrhunderts


Francis Hutcheson, Gemälde von Allan Ramsey

Hutcheson, der Lehrer Smiths, dessen er noch im Alter dankbar gedachte, formulierte die Maxime vom "größten Glück der größten Zahl".


Balliol College in Oxford, 1675

"Die Gebühren hier sind außerordentlich hoch und höchst übertrieben und unser einziges Geschäft ist es, zweimal am Tag zum Gebet und zweimal in der Woche zur Vorleseung zu gehen. (Streminger S. 20)


Adam Smith. Sandsteinstatue von Hanns Gasser, um 1867


David Hume im Jahr 1754, Gemälde von Allan Ramsey

Hume an Smith (1753): "Dein Dich liebender Freund" (Streminger S. 37)


Kunstausstellung in der Universität Glasgow, 1762

Smith machte sich neben seinen Vorlesungen in Moralphilosophie, Rhetorik und Jurisprudenz nicht nur als Verwalter der Universität verdient, sondern war auch als Studentenanwalt tätig.


1759 in London erschienen: Die Theorie der ethischen Gefühle
Titelblatt der sechsten Auflage 1790

Edmund Burke (1729-1797), dem wohl Hume die Theorie zugesandt hatte: «Alle Schriftsteller, die den Gegenstand vor Ihnen behandelt haben, waren wie gotische Architekten, die es liebten, große Gewölbe auf einem einzigen schlanken Pfeiler zu errichten. Eine Theorie wie die Ihre, die sich auf die Natur des Menschen gründet, die immer dieselbe ist, wird bleiben, während diejenigen, die auf subjektiven Meinungen basieren und sich immer ändern, vergessen sein werden und vergessen sein müssen.» (Sreminger S. 48)


Henry Scott, Herzog von Buccleugh.
Gemälde von Thomas Gainsborough

Reise als Privatlehrer nach Frankreich, Treffen mit Hume und den französischen Aufklärern in Paris und Voltaire in Genf.


Kirkcaldy, High Street, Ansicht um 1820


Adam Smiths Haus und Garten in Kirkcaldy, High Street 220. Nach einem alten Plan

Während der Arbeit an seinem großen Werk, dem Wohlstand der Nationen, schrieb Smith 1767 an David Hume: "Meine Beschäftigung hier ist das Forschen. Mein Zeitvertreib sind lange, einsame Spaziergänge am Strand. Du magst urteilen, wie ich meine Zeit verbringe. Ich fühle mich jedenfalls so überaus glücklich wie vielleicht noch nie in meinem Leben."
Hume, 1769 nach Edinburgh zurückgekehrt, um doch in seinem Geburtsort den Lebensabend zu verbringen, konnte von seinem damaligen Wohnhaus in James' Court nach Kirkcaldy sehen und schrieb an Smith: «Ich bin froh, in Sichtweite zu Dir gekommen zu sein. Aber da ich auch in Deine Sprechnähe kommen möchte, sollten wir für diesen Zweck Maßnahmen ergreifen. Ich bin müde vom Reisen, ebenso wie Du es vom Daheimbleiben sein solltest. Ich bin todsicher, daß Du in vielen Deiner Spekulationen irrst, im besonderen, wo Du das Unglück hast, nicht meiner Meinung zu sein.» «Bitte, komm' in diesem Winter und geselle Dich zu uns... Herr Hume ist sehr unglücklich, niemals Herrn Smith zu treffen... Mein lieber Smith, Du schneidest Dich völlig von der menschlichen Gesellschaft ab, zum großen Verlust beider.» (Streminger S. 81)


Ein Treffen des Literary Club in London. Stich von W. Walker (Ausschnitt).
Von links: Boswell, Johnson, Joshua Reynolds, David Garrick, Edmund Burke, Pasquale Paoli, Charles Burney.

Obwohl Smith aktiv am Leben diverser Clubs teilnahm, besaß er kein besonderes Unterhaltungstalent, sondern war oft in eigene Gedanken versunken. Bei dem nach Tisch üblichen Kartenspiel kam ihm manchmal spontan eine gute Idee, und er vergaß (oder weigerte sich) auszuspielen. In Diskussionen griff er selten ein, da er kein guter Debattierer war: Seinem Geist fehlte die für dialektische Kriegsführung notwendige Gewandtheit. Aber er konnte aufmerksam zuhören und holte sich Anregungen für eigene Ideen, deren Konsequenzen er oft sogleich bis in die kleinsten Einzelheiten verfolgte, was einmal ein Lächeln, dann wieder ein Grollen in ihm auslöste. Seine Freunde lernten mit diesen Eigenheiten umzugehen und stellten, wenn sie seine Meinung erfahren wollten, direkte, oft provokante Fragen an ihn. Smith erhob dann die Stimme, zunächst sehr bedächtig, dann immer lebhafter, bis sein Beitrag einer Vorlesung ähnelte und er alles, was er über den Gegestand wußte, mitgeteilt hatte. Seine Gespräche mit Freunden waren von geradezu kühner Offenheit, in Gegenwart von Fremden war er «wahrscheinlich als Folge seiner Zerstreutheit und mehr noch aus dem Bewußtsein dieser Schwäche heraus etwas gehemmt». Zwei Charakterzüge fielen besonders auf: Smiths gütiges Lächeln sowie die Fähigkeit, auch in Phasen höchster Konzentration Vorgänge um sich wahrzunehmen. Oft erzählte er seinen baß erstaunten Freunden Jahre später, worüber sie gesprochen hatten, während sie überzeugt waren, er wäre geistig völlig abwesend gewesen. Wegen seiner Großzügigkeit, der ausgeprägten Fähigkeit, mit der Situation anderer zu sympathisieren, und seines enzyklopädischen Wissens schätzten die allermeisten seine Anwesenheit. (Streminger S. 35)
Dr. Johnson allerdings konnte Smith nicht leiden, sondern hielt ihn "für so beschränkt wie einen Hund". Im Gegenzug verachtete Smith die religiöse Inbrunst Johnsons (s. Smith-Zitate; Streminger S. 84)


Titelblatt der 1776 erschienen Wealth of Nations

Smith über den Wohlstand einer Nation:
Dienstboten, Tagelöhner und Arbeiter bilden die Masse der Bevölkerung, so daß man deren verbesserte Lebenslage wohl niemals als Nachteil für das Ganze betrachten kann. Und ganz sicher kann keine Nation blühen und gedeihen, deren Bevölkerung weithin in Armut und Elend lebt. Es ist zudem mehr als recht und billig, wenn diejenigen, die alle ernähren, kleiden und mit Wohnung versorgen, soviel vom Ertrag der eigenen Arbeit bekommen sollen, daß sie sich selbst richtig ernähren, ordentlich kleiden und anständig wohnen können.(Streminger S. 92)

Hume an Smith am 1. April 1776 zum Erscheinen des Wealth of Nations: «Euge! Belle! Lieber Herr Smith, mir gefällt Deine Vorstellung sehr; und ihre Lektüre hat mich aus einem Zustand großer Sorge befreit. Es war ein Werk, das von Dir, Deinen Freunden und der Öffentlichkeit so sehr erwartet wurde, daß ich um seine Veröffentlichung bangte; aber nun bin ich sehr erleichtert.» (Streminger S. 108) Am 25. August 1776 verstarb Hume.

Dass dieses Werk bis heute seine Bedeutung behalten hat, beleuchtet eine Meldung von WELT Online vom 17.05.2008:
In Zeiten schwieriger Wirtschaft verwundert es nicht, wenn noch mal nachgeguckt wird bei Adam Smith, dessen zwei Bände über den "Wohlstand der Nationen" zum Wegbereiter des Wirtschaftsliberalismus wurden. Genau sie waren das teuerste Werk der Auktion. In London anno 1776 gedruckt, ging der Bestseller in einer seltenen Erstausgabe für 55 000 Euro (28 000) in die Schweiz.


Edinburgh mit der New Town, um 1790.
Aquatinblatt von John Wells


Smith als Zollrevisor
Radierung von John Kay, 1787 (Ausschnitt)

Bürger Edinburghs und Zollrevisor mit geschultertem Stock und Blumenstrauß


Adam Smith im 64. Lebensjahr.
Medaillon von James Tassie, 1787


Das Wohnhaus in Edinburgh, Panmure House, in dem Smith seit 1778 lebte
und wo er 1790 starb.


Das Grabmal auf dem Canongate-Friedhof


Gerhard Streminger

Adam Smith

Wohlstand und Moral

(Aus: Der blaue Reiter. Journal für Philosophie 11, S. 88-91*; überarbeitete Version)

In Jahre 1766 hatte sich Adam Smith in seine schottische Geburtsstadt zurückgezogen, um die Gedankenfäden über den Wohlstand der Nationen zu einem Riesengemälde zu verweben. Im Frühjahr 1776 war der Wealth of Nations – eines der einflussreichsten Bücher, die je geschrieben wurden – endlich geboren. Danach übersiedelte Smith in die Hauptstadt Edinburgh, wo er zum königlichen Zollrevisor ernannt worden war.

Den dortigen Weg vom Wohnhaus zum Büro, die beide in der Altstadt lagen, legte Smith zumeist zu Fuß zurück. Bekleidet war er, der nunmehrige Herr Zollrevisor, gewöhnlich mit Kniebundhose, mit weißen Seidenstrümpfen und einem hellen Leinenmantel. Am Kopf trug er einen niedrigen, breitkrempigen Biberhut, der ihn vor den häufigen Regengüssen schützten sollte. In der linken Hand trug Smith oft einen Blumenstrauß, und in der rechten einen Spazierstock, den er – wie ein Soldat seine Muskete – schulterte. Beim Gehen neigte Smith den Kopf von einer Seite zur anderen, so als wolle er bei jedem Schritt die Richtung ändern. Manchmal bewegten sich seine Lippen, und er lächelte, in ein anregendes Gespräch mit einem unsichtbaren Partner vertieft. Als Smith eines Tages am Markt vorbei defilierte, so erzählte er später selbst, meinte eine Marktfrau zur anderen: >Daß man einen, der so übergeschnappt ist wie der, allein herumlaufen lässt! Wo er doch, gutgekleidet wie er ist, genügend Freunde haben müsste.<

I. Der Ökonom

Im Frühjahr 1776 hatte Smith in London den berühmten Wealth of Nations (eigentlich: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, also >Eine Untersuchung über Natur und Ursachen des Wohlstands der Nationen<) veröffentlicht. Obwohl seine Freunde meinten, dass dieses sperrige, über 1000 Seiten lange Werk wohl nur mühsam seine Leser finden werde, entpuppte sich das Buch als wissenschaftlicher Bestseller: Die erste Auflage war nach sechs Monaten verkauft; eine erste Übersetzung, und zwar ins Deutsche (!), erschien noch im Jahr der Erstveröffentlichung; und zu Smiths Lebzeiten wurde das Buch immerhin fünfmal neu aufgelegt. Die französische Revolution und die darauf folgenden Ereignisse setzten dem Interesse an Smiths liberaler Gedankenwelt vorerst allerdings ein Ende. Aber eine Bemerkung von Alexander von der Marwitz, am Vorabend der Schlacht von Jena, sollte sich als prophetisch erweisen: >Nach Napoleon ist Adam Smith der mächtigste Monarch Europas.<

Im Wealth of Nations fragt der Autor als erstes nach den möglichen Ursachen des Reichtums eines Landes. Smiths zunächst etwas überraschende Antwort: Entscheidend ist Arbeit und, insbesondere, Arbeitsteilung. Mit dieser Behauptung widersprach Smith den beiden Schulen, die damals das Denken über die Wirtschaft eines Landes dominiert hatten: den Physiokraten, die den Produktivfaktor >Boden< (und damit die Rolle der Landwirtschaft) überbetonten; und, vor allem, den Merkantilisten, welche die Bedeutung des Geldvorrates und des Außenhandels überschätzten. Nach merkantilistischer Lehre solle der Export von Waren gefördert werden, damit Geld ins Land fließe, und der Import von Waren erschwert werden, damit Geld im Land bleibe. Deshalb setzten Merkantilisten in ihrer Wirtschaftspolitik auf Exportförderung und Importbeschränkung.

Aber Smith zufolge sind nicht so sehr Boden und Geldvorräte ausschlaggebend, vielmehr seien es Arbeit und, insbesondere, deren Teilung. Sind diese Bedingungen gegeben, so wird Geld ins Land fließen; sind sie es aber nicht, dann wird Geld das Land unweigerlich verlassen. Wie ein roter Faden zieht sich dieser Grundgedanke durch die ersten beiden Bücher des Wealth of Nations: Die Teilung der Arbeit erhöht deren produktive Kräfte.

Smith berühmtestes Beispiel zur Veranschaulichung dieses Sachverhalts verdanken wir dem Besuch einer Stecknadelmanufaktur: Ein Arbeiter, so beobachtet Smith, selbst wenn er sehr fleißig ist, kann allein "höchstens eine, sicherlich keine zwanzig Nadeln" pro Tag herstellen. Ist jedoch die Arbeit geteilt (der eine "zieht den Draht, der andere streckt ihn, ein dritter schneidet ihn, ein vierter spitzt ihn zu, ein fünfter schleift das obere Ende, damit der Kopf aufgesetzt werden kann, …") … ist also die Arbeit geteilt, so produziert ein Arbeiter das 240 bis 480fache. Die Ursachen dieser Produktivitätssteigerung sind "größere Geschicklichkeit" – das Ergebnis von Spezialisierung -, sowie die "Ersparnis an Zeit, die gewöhnlich beim Wechsel von einer Tätigkeit zur anderen verloren geht"; und schließlich die "Erfindung einer Reihe von Maschinen, welche die Arbeit erleichtern, die Arbeitszeit verkürzen und den einzelnen in den Stand setzen, die Arbeit vieler zu leisten".–

Smiths Reisen nach England und Frankreich, aber auch lange Aufenthalte in seiner Geburtsstadt, der früh industrialisierten Hafenstadt Kirkcaldy, belehrten ihn, dass in der Wirtschaft des Landes Arbeitsteilung und Spezialisierung immer mehr zunahmen. Aber wie können dann, bei so großer Ausdifferenzierung, die Erzeugung und der Verbrauch von Gütern am besten gesichert werden? Smiths berühmte und vieldiskutierte Antwort: Durch die >Unsichtbare Hand< des Marktes, indem es den Individuen im Rahmen der Gesetze frei stehe, nach eigenem Gutdünken ihre Lebenssituation zu verbessern. Dadurch werde die Erzeugung und der Verbrauch der Güter optimal gefördert – und damit der Reichtum eines Landes.

Der freie Wettbewerb der Individuen ist die Grundforderung des wirtschaftlichen Liberalismus, als deren Ahnherr Adam Smith gilt. Aber der Autor des Wealth of Nations hat, bei sorgfältigerer Lektüre, diese Auffassung nur mit wichtigen Einschränkungen vertreten. Denn er sah mit aller Deutlichkeit, daß der Arbeitsteilung auch negative Folgen eigen sind, die durch Eingriffe des Staates in den Marktprozeß korrigiert werden müssen. Die produktiven Kräfte der Arbeit werden durch deren Segmentierung gewaltig erhöht, aber zugleich verkümmern – auf längere Sicht gesehen – dadurch die geistigen Fähigkeiten der Arbeitenden.

II. Der Moralphilosoph

Mit fortschreitender Arbeitsteilung, so fordert Smith, ist der Staat "einzugreifen gezwungen, um Korruption und Entartung der Massen zu verhindern". Denn die Arbeit der "überwiegenden Mehrheit wird nach und nach auf einige wenige Arbeitsgänge eingeengt, oftmals nur auf einen oder zwei". Nun formt die Arbeit "ganz zwangsläufig das Verständnis der meisten Menschen. Jemand, der tagtäglich nur wenige einfache Handgriffe ausführt, die zudem immer das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis haben, verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen." Ein solcher Arbeiter wird "stumpfsinnig und einfältig, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann. Solch geistlose Tätigkeit beraubt ihn nicht nur der Fähigkeit, Gefallen an einer vernünftigen Unterhaltung zu finden oder sich daran zu beteiligen, sie stumpft ihn auch gegenüber differenzierteren Empfindungen wie Selbstlosigkeit, Großmut oder Güte ab, so dass er auch vielen Dingen gegenüber, selbst jenen des täglichen Lebens, seine gesunde Urteilsfähigkeit verliert."

Dasjenige, was ökonomisch vorteilhaft ist, nämlich die Arbeitsteilung, ist also gesellschaftlich bedenklich und eine Bedrohung für die Demokratie. Denn die Unsichtbare Hand des Marktes greift hier daneben, und die Sichtbare Hand des Staates muß ihr in den Arm fallen, um den Wohlstand der Gesellschaft zu sichern und zu fördern. Um der Entfremdung der Arbeitenden entgegen zu wirken, plädiert Smith für ein reiches staatliches Angebot an Bildung. Er konnte hier nahtlos an Jahrhunderte altes schottisches Wissen anknüpfen, wonach >Bildung und Erziehung< einen ganz außergewöhnlichen Stellenwert in der Gesellschaft einnahmen; und er dürfte die Erfahrungen in der Grundschule in Kirkcaldy vor Augen gehabt haben, in der er sich sehr wohl gefühlt hatte und die sich durch große soziale Offenheit auszeichnete. Die Kinder des Großgrundbesitzers saßen neben den Kindern der Fischer, die wiederum neben den Söhnen des Nagelschmieds und denen der Kohlenarbeiter saßen. Smith, der später sechs Jahre lang an der englischen Eliteuniversität in Oxford studiert hatte, stellte Schottlands staatliches Erziehungssystem weit über das klassenbewußte englische Privatsystem, wo sich der Sohn von Lord Soundso neben dem Sohn von Lord Soundso neben dem Sohn von Lord Soundso würdevoll langweilte.

Nach Smith darf also nicht alles einfach dem Markt überlassen werden, vielmehr gibt es eine ganze Reihe von Aufgaben, die der Staat zu erfüllen hat. Eine allgemeine Bildung aller ist nur eine der Pflichten des Staates, der Bau und die Betreuung einer funktionierenden Infrastruktur ist eine weitere.

Smith nennt im Wealth of Nations mehrere notwendige Eingriffe des Staates in den Marktprozeß, aber er lieferte im ganzen Werk keine ethische Begründung für diese Forderungen. Smith hatte diese Aufgabe jedoch in der 1759 publizierten und mehrmals überarbeiteten The Theory of Moral Sentiments (>Die Theorie der ethischen Gefühle<) geleistet.

Schon in den ersten Sätzen machte der damalige Professor für Moralphilosophie an der Universität Glasgow deutlich, wovon das Buch handelt: Mag man den Menschen "für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen". So freuen wir uns, wenn andere sich freuen, und sind betrübt, weil andere "von Kummer erfüllt" sind. Weil Menschen soziale und – zumindest gelegentlich – auch altruistisch, also uneigennützig gesinnte Wesen sind, nehmen sie an der Situation anderer Anteil und fühlen sich mit ihnen solidarisch. Genau diese Behauptung der Existenz altruistischer Interessen in der Menschennatur ist der entscheidende Ausgangspunkt von Smiths Theorie der ethischen Gefühle.

Weil Menschen gesellige Wesen sind, ist ihnen das Urteil ihrer Mitmenschen keineswegs einerlei. Vielmehr streben sie nach deren Wertschätzung und sind – im Rahmen einer Sozialisierung – auch willens, Affekte und Ansichten so zu verändern, dass andere sie billigen und ihnen zustimmen können.

Aber neben diesen >geselligen< Affekten gibt es einen zentralen, wenn auch zumeist eher verkümmerten >ungeselligen< Antrieb, der einem genuin moralischen Leben zugrundeliegt. Es ist dies der Wunsch, nicht nur geliebt zu werden, also >Gegenstand der Wertschätzung anderer< zu sein, sondern wirklich liebenswert zu sein. Eben dieser Wunsch ist das entscheidende Motiv, über die konkrete Wertschätzung anderer hinaus nach Unparteilichkeit, nach der Perspektive eines Unparteiischen Betrachters zu streben.

III. Gleichgewichte

Smiths Name steht heute für die Auffassung, dass der Markt dann bestmöglich funktioniere, wenn der Staat überhaupt nicht eingreife, da sich dann von selbst das bestmögliche Gleichgewicht einstelle. Aber Smith verteidigte in Wirklichkeit keine solche Entstaatlichung der Gesellschaft, sondern etwas ganz anderes, nämlich die Auffassung, dass sich das bestmögliche Gleichgewicht erst dann einstelle, wenn auch der Staat seine Aufgaben gewissenhaft wahrnimmt; und dazu gehört neben Landesverteidigung, Exekutive und Legislative insbesondere Allgemeinbildung und Infrastruktur.

Kaum bekannt ist, daß Smith in seinem moralphilosophischen Werk noch für ein weiteres Gleichgewicht plädierte, nämlich für das der Ausgewogenheit in der Menschennatur. Der kultivierte Mensch, und Smith dachte hier ursprünglich wohl an den stoischen Weisen, fände zwischen egoistischen und altruistischen Antrieben, zwischen Selbstinteresse und Interesse am Wohl der Gemeinschaft eine Balance. In der Gesellschaft solcher Menschen wären Eingriffe des Staates in den Marktprozeß gerechtfertigt – und zugleich auf ein Minimum reduziert. Wie zumeist ignoriert wird, hatte Smith, der sich dem Klassizismus verpflichtet fühlte, sein philosophisches System nicht einfach >System der menschlichen Freiheit<, sondern das der "natürlichen Ordnung einer vollkommen Freiheit und Gerechtigkeit" genannt.

Im Alter von 67 Jahren, am 17.Juli 1790, starb Smith. Angesichts seines stattlichen Einkommens als Zollrevisor und Privatlehrer eines schottischen Lords war das vorhandene Vermögen, zur großen Enttäuschung des Erbneffen, recht bescheiden. Was Freunde schon seit langem vermutet hatten, war nun zur Gewißheit geworden: Smith hatte einen Großteil seines Geldes – oft heimlich – an Bedürftige verschenkt. Damit war auch eine Erklärung gefunden, weshalb bei seinem Begräbnis Menschen zu sehen waren, die den letzten Weg eines Universitätsprofessors üblicherweise nicht begleiten.

Wohltätigkeit war für den "Begründer der Wirtschaftswissenschaft" (J. Schumpeter) also nicht nur eine Sache des Herzens, sondern auch der Hände.

 

Literatur

Andree, G.J.: Sympathie und Unparteilichkeit. Adam Smiths System der natürlichen Moralität. Paderborn 2003.

Ross, I.S.: Adam Smith – Leben und Werk. Düsseldorf 1998 (Oxford 1995).

Streminger, G.: Adam Smith. Rowohlt-Bildmonographie. Reinbek 1989 (2.Aufl. 1999).

–: Der natürliche Lauf der Dinge. Essays zu Adam Smith und David Hume. Marburg 1995.

* Ich möchte mich bei Heinz Musker für einige wertvollen Hinweise bedanken.


Texte und Abbildungen sind dem Buch von Gerhard Streminger, Adam Smith, rororo Bildmonographien, Rowohlt Verlag, Reinbek 1989, entnommen.
Zusammengestellt wurde die Bilder-Galerie mit den verbindenden Worten von Helmut Walther.

Die Monographie ist in 2. Auflage 1999 erschienen, jedoch ist das Buch im Buchhandel vergriffen. Restexemplare sind direkt beim Autor erhältlich unter streminger@aon.at



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