David Hume
Der Heilige der Aufklärung

Zahlreiche neue Bücher berichten über die schottische Aufklärungstradition. Der herausragende Denker dieser Zeit war David Hume. Der in Kontinentaleuropa heute nur zaghaft wahrgenommene Philosoph prägte Immanuel Kant, Adam Smith und Charles Darwin. Sein Werk ist verblüffend modern.

Von Gerhard Streminger

(Eine von der Redaktion leicht überarbeitete und mit Bildern versehene Fassung erschien unter dem Titel
"Vater der modernen Philosophie" in der Weltwoche Nr. 7.04, S. 56-63)

Das 18. Jahrhundert gilt als Jahrhundert der Aufklärung. Damals wurden die meisten Grundlagen der Moderne gelegt. Doch war >Aufklärung< alsbald so vieldeutig geworden, daß in der Berlinischen Monatsschrift die Frage, was genau darunter zu verstehen sei, heftig debattiert wurde. Im Dezember 1784 veröffentlichte Immanuel Kant seinen Beitrag, in dem er an den Mut des Einzelnen appellierte, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, denn dies sei "der Wahlspruch" der Aufklärung.

Derjenige, der den deutschen Philosophen einst aus dessen "dogmatischen Schlummer" geweckt hatte, war schon seit einigen Jahren tot. Hätte sich David Hume an der Debatte um >Aufklärung< beteiligt, hätte er den besagten Begriff – wie aus seinen Schriften gefolgert werden kann – etwa so definiert:

>Aufklärung ist jene geistige Strömung der Neuzeit, die es sich

– erstens zum Ziel setzt, alle Ereignisse auf natürlichem Wege zu erklären;
– die zweitens ein am Diesseits orientiertes Leben allen religiösen Lebensformen vorzieht;
– die drittens trotz eines Plädoyers für eine rationale Weltsicht den Verstand dennoch nicht zum Götzen erhebt, sondern ihn selbstkritisch hinterfragt;
– und die sich viertens ohne Absolutheitsansprüche für Freiheit, Toleranz, Humanität und Unparteilichkeit einsetzt.<

Hume wäre mit dieser Definition allerdings selbst unter seinen schottischen Freunden auf Ablehnung gestoßen. Denn diese standen ausnahmslos dem >Deismus< nahe, jener vor allem aus England stammenden theologische Richtung, die zwischen Religion und Wissenschaft vermitteln wollte. Deisten akzeptierten die orthodoxe Vorstellung der Ursünde nicht (weshalb auch die angebliche Erlösungstat Jesu bestritten wurde). Auch deuteten sie die >Natur<, gerade auch die menschliche, weit positiver als im traditionellen Christentum; und schließlich offenbart sich ihrer Meinung nach das Höchste Wesen nicht in der Unordnung, im Wunder – denn dann hätte Gott ja Seinen eigenen Gesetzen widersprochen –, sondern in der Ordnung. Da der Mensch nur durch Ordnung lebensfähig sei, ist das Höchste Wesen auch als wohlwollend und barmherzig erkannt.

Hume hielt sowohl die orthodoxen christlichen Vorstellungen als auch diese >Religion der Aufklärung< für wenig plausibel und verfaßte als Kritik die Dialogues concerning Natural Religion. Dieses erst posthum veröffentlichte Werk ist wohl auch ein Protokoll zahlreicher Diskussionen Humes mit seinen deistischen Freunden. Er zeigt sich darin (wie auch in seinen übrigen Schriften) nicht als Atheist, sondern als Agnostiker, der allerdings felsenfest davon überzeugt ist, daß alle bisherigen Versuche, die Existenz Gottes und dessen Güte und Barmherzigkeit zu beweisen, mißlungen sind.

Doch beginnen wir am Anfang ...

David Hume wurde im Mai des Jahres 1711 in Edinburgh, der schottischen Hauptstadt, geboren. Er wuchs im Süden Schottlands auf und wurde in jungen Jahren gewissenhaft in den Lehren des Calvinismus unterrichtet. Zunächst war er auch sehr religiös, aber alsbald begann er nach Dingen zu fragen, die sorgfältig hinter dem Tempelvorhang versteckt waren.

Nach langen Auseinandersetzungen in der Familie (seine gottesfürchtige Mutter soll gesagt haben, daß >ihr Davie< zwar >gutmütig<, aber >ungewöhnlich schwachsinnig< sei) ... also nach langen Auseinandersetzungen des Genies mit seiner Familie löste sich Hume mit etwa achtzehn Jahren von den Dogmen des Calvinismus. Aber er gab seine religiöse Einstellung, womit gemeint ist: die Rückbindung an ein höheres, transzendentes Wesen, noch nicht auf. Vielmehr wandte er sich einem stark neuplatonisch gefärbten Stoizismus zu. Nachdem er also zunächst versucht hatte, ein Leben in Einklang mit den Dogmen des Calvinismus zu führen, wollte er nun seinen Charakter mit jener Unerschütterlichkeit wappnen, die in der Stoa als Tugend schlechthin gilt.

Das Ergebnis der Anstrengung, sein Leben nach Idealen zu formen, die letztlich lebensfeindlich sind, erwies sich als katastrophal. Denn fast ein halbes Jahrzehnt litt Hume unter schweren psychosomatischen Störungen.

Als Dreiundzwanzigjähriger vermochte er sich endlich einzugestehen, daß die Fehler gar nicht in ihm lagen, vielmehr seien das calvinistisches Menschenbild, das die völlige Verderbtheit der Menschennatur lehrt sowie das stoische Weltbild, das die beständige Unerschütterlichkeit fordert, Phantasiegebilde, die der menschlichen Natur Gewalt antun. Als Alternative entwarf Hume das Programm einer empirisch fundierten Anthropologie und Philosophie.

Diese arbeitete er in seinem dreibändigen Treatise of Human Nature näher aus, den er – noch nicht einmal dreißig Jahre alt – in London veröffentlichte. Seine Überlegungen gehen von der Beobachtung aus, daß vieles im Reich der Ideen in Unordnung geraten sei: "Streitigkeiten häufen sich, als ob alles unsicher wäre, und sie werden mit einer Wärme geführt, als ob alles gewiß wäre. In diesem Toben trägt nicht die Vernunft den Sieg davon, sondern die Beredsamkeit."

Grund für dieses Chaos, für Vorurteile und Fanatismus schlechthin, sei die Tatsache, daß die Zeugnisse der Sinne nicht ernst genommen und gedanklich verarbeitet würden. Vielmehr werde mit großer Geste nach eigenem Gutdünken ein Bild der Wirklichkeit entworfen, das dann mit dem Anspruch auf objektive Gültigkeit vertreten werde. Hume vergleicht diese >Metaphysiker< mit Engeln, "von welchen die Schrift sagt, daß sie die Augen mit den Flügeln bedecken".

Als Alternative zu dieser Blindheit und Engstirnigkeit und in direkter Anknüpfung an die große Tradition empiristischen Denkens will Hume die Zeugnisse der Sinne ernst nehmen. Die zentralen Begriffe sollen von phantastischem Beiwerk, von diesem Hokuspokus befreit und auf ein sicheres und menschlicheres Fundament gestellt werden.

Im Jahre 1741, also ein Jahr nach der Publikation des dritten Bandes des Treatise of Human Nature, veröffentlichte Hume den ersten, im darauf folgenden Jahr den zweiten Band seiner Essays Moral, Political and Literary. Vielleicht in keiner anderen Schrift zeigt sich sein Bemühen um Fairneß so beeindruckend wie in diesem Werk. Hume setzt sich darin mit vielen wichtigen Ideen seiner Zeit wohlausgewogen und doch nicht unverbindlich auseinander; auch lassen diese Essays besonders deutlich den Respekt des Autors vor empirischen Tatsachen und seine Freude am Denken erkennen.

Von den ursprünglichen 27 Essays sei nur der Inhalt von >The Epicurean<, der deutlich autobiographisch gefärbt ist, kurz wiedergegeben.

Der Humesche Epikureer macht sich zunächst über die Versuche "gestrenger Philosophen" – womit Stoiker und christliche Theologen gemeint sind – lustig, die "ein künstliches Glück" erzeugen und Menschen durch Gesetze in einen Zustand des Wohlbefindens versetzen wollen. Gegen solche Fesseln verteidigt sich der Epikureer unter Berufung auf die "Weisheit der Natur". Warum, so fragt er sich, "sollte ich alle Triebfedern und Grundkräfte, die die Natur mir eingepflanzt hat", zu regulieren trachten? "Sollte dies der Weg zum Glück sein? Aber Glück heißt doch Behaglichkeit, Zufriedenheit, Ruhe und Lust – und nicht ängstliche Achtsamkeit, Besorgnis und Strapaze."

Die Forderungen der >gestrengen Philosophen< seien, so meint der Epikureer weiter, in Wirklichkeit "die Stimme des STOLZES, nicht der NATUR", weshalb sie zu "Gram und tiefster Melancholie" führten. Daher auch seine beinahe flehentliche Bitte: "Haltet mich ... nicht länger gewaltsam in diesen Schranken fest! Schließt mich nicht ein in mich selbst, sondern zeigt mir die Dinge …, die für uns die Hauptquellen des Vergnügens bilden! Aber warum wende ich mich an Euch, Ihr hochmütigen und verblendeten Weisen …? Laßt mich meine eigenen Gefühle … zu Rate ziehen. In ihnen muß ich lesen, …, nicht in Euren nichtigen Diskursen." Gerade weil das Leben nicht ewig währt, sollten wir die Gegenwart genießen: "Der morgige Tag wird seine eigenen Freuden mit sich bringen." Und wenn er keine Freuden bringt, dann "bleibt uns zumindest das Vergnügen, uns an … den heutigen Tag zu erinnern."

Während Humes Essays zu Lebzeiten des Autors recht erfolgreich waren, blieb der Treatise of Human Nature ein ziemlicher Misserfolg. Obwohl u.a. Kants Transzendentalphilosophie als Reaktion auf den Humeschen Zweifel entstanden ist, wurde Humes philosophisches Hauptwerk erst 1817 neu aufgelegt. Als der Autor einsehen mußte, daß sein Werk "als Totgeburt" aus der Druckerpresse gefallen war, entschloß er sich, die schwere Panzerung der systematischen Philosophie abzulegen und auch die Ideen seines Jugendwerkes in der gefälligeren Form des Essays zu überarbeiten.

In diese Zeit, nämlich Mitte der 40er Jahre des 18. Jahrhunderts (und ein zweites Mal zu Beginn der 50er Jahre), fallen Humes Bewerbungen um einen Lehrstuhl, zunächst an der Universität seiner Heimatstadt Edinburgh, dann in Glasgow. In der Hauptstadt Schottlands war die Professur für >Ethics and Pneumatical Philosophy< vakant geworden, aber als sich herumgesprochen hatte, daß Humes Bewerbung aussichtsreich war, traten die Gottesgelehrten auf den Plan. Sie verfaßten eine Empfehlung, in der sich 80% gegen die Wahl Humes aussprachen. Ähnlich verlief seine spätere Bewerbung in Glasgow.

Hauptgrund für diesen Widerstand war wohl die Tatsache, daß Hume im dritten Buch des Treatise of Human Nature eine rein diesseitsorientierte, in vielem an Thomas Hobbes erinnernde Moralphilosophie entwickelt hatte. Göttliche Gebote oder jenseitige Belohnungen und Bestrafungen spielten keine Rolle. Entscheidend seien vielmehr menschliche Wünsche, Bedürfnisse und Interessen; diese seien die wahre Basis richtigen Handelns.

Da ihm eine Beschäftigung an einer Universität verwehrt blieb, mußte Hume – bis er als Schriftsteller anerkannt war – sachfremden Tätigkeiten nachkommen: Zunächst war er Lehrer eines geisteskranken englischen Marquis, danach Sekretär eines britischen Generals.

Diesen begleitete er 1748, während des Österreichischen Erbfolgekrieges, an die Höfe in Wien und Turin. Die damaligen Alliierten Großbritanniens – Maria Theresia und der König von Piemont-Sardinien – sollten an getroffene Abmachungen erinnert werden. Da die feindlichen Franzosen, mit Spanien gegen die Habsburger verbündet, 1747 zu Lande große Erfolge erzielt hatten, war am britischen Hof der Verdacht laut geworden, die Verbündeten kämen ihren Verpflichtungen nur recht nachlässig nach.

Hume reiste also durch die Niederlande, durch Deutschland, Österreich und Italien. Für seinen Bruder, John Home of Ninewells, verfaßte er einen Reisebericht, einen der wenigen umfangreichen Reisejournale aus dem 18. Jahrhundert.

Im Frühjahr 1748, als Hume sich gerade in Österreich aufhielt, erschien in London die Enquiry concerning Human Understanding. Diese Schrift ist die Umarbeitung des ersten Buches des Treatise of Human Nature, ergänzt durch >Of Liberty and Necessity< sowie zwei religionsphilosophische Essays. Einer dieser beiden Aufsätze, betitelt: >Of Miracles<, enthält jene Überlegungen, die von allen Humeschen Ideen die meisten Resonanzen auslösten.

Dieses Interesse ist verständlich, denn Humes Wunderanalyse ist eine fundamentale Kritik aller Offenbarungsreligionen. Der Autor behauptet nämlich, daß der Glaube an ein von anderen bezeugtes Wunder niemals vernünftig sein könne, und er entwickelt dabei folgendes Vernunftprinzip:

>Der Glaube an die Existenz eines der traditionellen Wunder ist vernünftig genau dann, wenn die Glaubwürdigkeit der Zeugen wahrscheinlicher als das bezeugte Ereignis ist.<

Nun widerspricht das angebliche Wunderereignis – wie ja auch von Gläubigen betont! –, notwendigerweise einem Naturgesetz. Gerade aus diesem Grunde ist es auch sehr unwahrscheinlich. Also muß die Glaubwürdigkeit der Zeugen extrem wahrscheinlich sein, soll der Glaube an das Wunder vernünftig sein. Aber Zeugen lügen manchmal, wollen also andere täuschen, manchmal irren sie, sind also selbst Opfer kognitiver Täuschungen oder des Betrugs anderer. Und schließlich gesellt sich dazu noch Eitelkeit und Machtwille: "Welche größere Versuchung ... gibt es, als für einen Beauftragten, einen Propheten und Sendboten des Himmels gehalten zu werden?"

Der Glaube an eines der traditionellen Wunder, und alle Offenbarungsreligionen basieren darauf, ist also unvernünftig. Der Glaube daran basiert nicht auf rationalen Argumenten, sondern auf nicht-rationalen Beweggründen: "Die Affekte der Überraschung und des Staunens, die ein Wunder hervorruft, sind eine angenehme Erregung." Es gibt also eine Bereitschaft in der menschlichen Natur, an Unvernünftiges zu glauben. Wenn dennoch heute in manchen Ländern die verschiedenen Religionen Wunderberichte eher schützen müssen, als daß Wunderberichte imstande wären, die verschiedenen Religionen zu stützen, so ist darin auch Humes Einfluß zu sehen.

(Bereits vor dem Hintergrund dieser Argumente Humes ist es nicht mehr überraschend, dass die angeblich von Gott inspirierten Autoren bzw. Interpreten der heiligen Schriften zu ganz widersprüchlichen Ergebnissen gelangen: So verehren die einen Jesus als den verheißenen Messias, während die anderen meinen, dass auf den Zimmermannssohn aus Nazareth die verheißenen Prädikate überhaupt nicht zutreffen; und die dritten sehen in Jesus ebenfalls keinen Erlöser, sondern nur einen Propheten, der in seiner Bedeutung Mohammed untergeordnet ist. Wie sollte auf DIESER Basis ein dauerhafter Frieden möglich sein? Die einzige Alternative zum Aberglauben sind die durch eine empirische Anthropologie fundierten Menschenrechte.)

Drei Jahre nach seiner Enquiry concerning Human Understanding veröffentlichte Hume die Enquiry concerning the Principles of Morals, die Umarbeitung des dritten Buches des Treatise of Human Nature. Der Autor hielt dieses Werk für "unvergleichlich viel besser als alle meine anderen ... Schriften."

Tatsächlich ist dieses Buch in künstlerischer Hinsicht eines der gelungensten Werke der neueren Moralphilosophie. Hume will darin zeigen, daß die orthodoxe christliche Lehre falsch ist. Denn die menschliche Natur ist nicht verderbt, was sich darin zeigt, daß wir gesellige Wesen sind und uns das Schicksal unserer Mitmenschen – zumindest im emotionalen Nachbereich – betroffen macht; daß wir auch die Interessen derer beachten, die uns fern stehen und keine Stimme haben; daß wir tugendhafte Handlungen aus längst vergangenen Zeiten und entfernten Ländern loben, ohne auch nur einen Anschein von Eigeninteresse daraus ableiten zu können; daß wir großzügige, mutige, edle Taten anerkennen, selbst dann, wenn sie von einem Gegner stammen und uns bekannt ist, daß diese Handlungen dem Eigeninteresse schaden könnten.

Voraussetzung ist jedoch, daß Menschen mit einem "natürlichen, unvoreingenommenem Verstand" urteilten, und ein solcher ist frei von "trügerischen Auslegungen des Aberglaubens und der falschen Religion". Urteilen Menschen in spontaner, >natürlicher< Weise, ohne große Pläne über >richtiges< Verhalten und künftige Paradiese, dann billigen sie ein soziales Verhalten und fördern es. Menschen sind also durchaus motiviert, ohne Hoffnung auf jenseitige Belohnung und ohne Furcht vor der Hölle ein moralisches Leben zu führen, trägt doch ein tugendhaftes Leben seinen Lohn in sich.

Im Gegensatz zur ziemlich unbeachtet gebliebenen Enquiry concerning the Principles of Morals waren die 1752 veröffentlichten Political Discourses sogleich erfolgreich. Noch im Jahr ihrer Publikation wurden sie neu aufgelegt, bereits 1753 erschien eine erste, im darauf folgenden Jahr eine zweite französische Übersetzung. In der Sekundärliteratur werden Humes Political Discourses gelegentlich >Wiege der Politischen Ökonomie< genannt, und für Smith waren sie, wie dessen erster Biograph bezeugt, "offensichtlich von größerem Nutzen als irgendein anderes Buch, das vor seinen Vorlesungen erschienen war".

Ohne Zweifel ist es Hume in dieser Schrift besonders eindrucksvoll gelungen, die Überlegungen des politischen Denkers mit den praktischen Ansichten des Staatsbürgers und den weit blickenden Analysen des Philosophen in Verbindung zu bringen. Freilich ist der Titel heute irreführend, da man wohl nur vier (der insgesamt zwölf) Diskurse zur >Politologie< zählen würde. Sieben gehören in das Gebiet der Politischen Ökonomie, und sie waren es, die größte Aufmerksamkeit fanden.

Hume geht es darin vornehmlich um eine Kritik des Merkantilismus, demzufolge ein Land reich sei, wenn die im Land befindliche Geldmenge möglichst groß ist. Da durch Export Geld ins Land und durch Import Geld aus dem Land fließt, befürworten Merkantilisten Exportförderung und Importbeschränkung.

Hume hielt diese Wirtschaftspolitik für verfehlt, weil Dinge wie Kreativität oder Sicherheit der Grundrechte entscheidender als die vorhandene Geldmenge seien. Unter günstigen gesellschaftlichen Bedingungen wird Geld unweigerlich ins Land fließen, unter widrigen, wie etwa das Horten des Geldes in wenigen Händen, wird Geld das Land verlassen.

Volkswirtschaftlich richtig sind also jene Maßnahmen des Staates, die diese Bedingungen (Bildung, Sicherheit) herstellen bzw. verbessern und zudem den ungehinderten Warentausch, über Landesgrenzen hinweg, garantieren. Auf längere Sicht wird nämlich der Jahresertrag eines Landes steigen, wenn man sich auf die Erzeugung derjenigen Waren beschränkt, in denen das Land gegenüber anderen Ländern Vorteile besitzt, und Waren dort einkauft, wo sie am billigsten produziert werden können.

Humes Political Discourses sind eine wahre Fundgrube origineller Ideen. Dieser Meinung war auch Smith: "Handel und Gewerbe führten nach und nach zu Ordnung und guter Verwaltung, wodurch auch Freiheit und Sicherheit ... zunahmen. Früher lebte man fast immer in dauerndem Kriegszustand mit den Nachbarn und in sklavischer Abhängigkeit vom Dienst- oder Grundherrn. Die letzte Folge [des Handels] ist bei weitem die wichtigste aller Wirkungen. Meines Erachtens ist David Hume der einzige Autor, der sie bislang beachtet hat."

Humes nächste große Arbeit, die Four Dissertations, erschien 1757. Die bekannteste der vier Abhandlungen ist die Natural History of Religion. Hume versucht darin Religiosität auf rein natürliche, wissenschaftliche Weise zu erklären. Seiner Ansicht nach ist der eigentliche Nährboden der allermeisten Religionen keine angeborene Idee, keine ursprünglich intuitive Gewißheit, kein theoretischer Beweis, sondern es sind Furcht und Zukunftsangst. Diese stünden am Anfang aller Religion, und aus ihnen entfalteten sich die verschiedenen Formen von Religiosität.

Die Natural History of Religion ist am ehesten das Werk eines philosophischen Historikers. Tatsächlich hatte sich Hume, der dem niederen schottischen Landadel entstammte, zeitlebens für Geschichte interessiert. Als Sekretär eines Generals sah er dann aus nächster Nähe, wie mit Gewalt Geschichte gemacht wird. Da es seiner Ansicht nach eine unparteiische Darstellung der Geschichte Englands noch nicht gab, schrieb er The History of England. 1754 erschien der erste, 1757 der zweite, 1759 der dritte und 1761 der vierte (und letzte) Band.

Hume entwickelt darin folgende Geschichtskonzeption: Das Mittelalter war für ihn eine dunkle, barbarische Zeit. Nachdem die menschliche Gesellschaft seit der Antike an Zivilisiertheit verloren hatte, erreichte sie im Mittelalter ihren Tiefpunkt. Dem Christentum gesteht Hume zu, nach den Wirren der Völkerwanderung eine gewisse Ordnung in die Gesellschaft gebracht zu haben, doch waren es gerade auch Vertreter der >Religion der Liebe<, die die Menschlichkeit mit Füßen traten. Aus einem Zustand aus Despotie und Anarchie entwickelten sich schließlich westliche Kultur und Zivilisation.

Dieser Prozeß ging jedoch ungemein langsam und mit vielen Rückschlägen vor sich, vor allem während der Zeit der Glaubenskriege, als es noch keine unabhängige staatliche Obrigkeit gab, die die streitenden religiösen Parteien in Schach gehalten hätte. Langsam gelang es jedoch den Universitäten, der Legislative und Exekutive, den Händlern, sich aus der Vormundschaft der Kirchen zu lösen und die Autorität jener Gesetze zu garantieren, die erst die Freiheit der Einzelnen ermöglichen. Voltaire nannte in einer Rezension Humes History of England "vielleicht die beste Geschichtsdarstellung, die je geschrieben wurde".

Im Jahre 1769 kehrte Hume endgültig nach Edinburgh zurück, um im Kreis der Freunde seinen Lebensabend zu verbringen. Die Jahre zuvor waren turbulent verlaufen: In Paris war er Mittelpunkt der aufgeklärten Salons; in die große Dame Frankreichs – Madame de Boufflers – hatte er sich heftig verliebt: einige Monate lang war er Geschäftsträger in der britischen Botschaft und schließlich Gegenstand wüster Beschimpfungen von seiten eines anderen großen Philosophen, nämlich von Jean-Jacques Rousseau. Der eigentliche Grund für ihr Zerwürfnis lag möglicherweise tiefer als im gelegentlichen Verfolgungswahn Rousseaus: Der freiheitsliebende Hume, der sich stets dem Lockeschen Gedanken der Gewaltenteilung verpflichtet fühlte, dürfte in Rousseaus Werk bald dessen kollektivistische Tendenzen gewittert haben. Wie in einem Brennspiegel gebündelt, wäre dann gleich zu Beginn der weiteren Entwicklung der Unterschied zwischen schottischer und französischer Aufklärung sichtbar geworden.

Die Zeit, die Hume danach in seiner Heimatstadt verbrachte, nannte er die "glücklichste seines Lebens". Im August 1776, wenige Wochen nach der Unabhängigkeitserklärung der englischen Kolonien in Amerika, starb Hume. "Sowohl zu Lebzeiten wie auch seit seinem Tod", so beschloß Smith das Epitaph auf seinen Freund, "habe ich ihn immer für denjenigen gehalten, der sich dem Ideal eines vollkommen weisen und moralischen Menschen so weit näherte, als es die Unvollkommenheit der menschlichen Natur vielleicht überhaupt zuläßt."

Humes französische Freunde hatten ihn le bon David genannt; und jene Straße in Edinburgh, in der er sich ein Haus hatte bauen lassen, trägt noch heute jenen Namen, den ihr eine junge Verehrerin des Philosophen gegeben hat: >Saint David’s Street<.

Drei Jahre nach Humes Tod erschienen die Dialogues concerning Natural Religion, vielleicht DAS Meisterwerk der Aufklärung. In diesen Dialogen über den Deismus diskutiert Hume jenen Gottesbeweis, der seit Newton die meiste Beachtung gefunden hatte. Die Welt sei nicht der Ort nach dem Sündenfall, sondern aus dem großen Buch der Natur könne abgelesen werden, daß die Welt die geplante Schöpfung eines weisen und wohlwollenden Gottes sei. Dieser offenbare sich nicht (oder nicht ausschließlich) im Heiligen Buch, in God’s Word, sondern in der Ordnung seiner Schöpfung, in God’s Work.

Philo, dem Philosophen, dem Helden des Dialogs, will aber auch dieser Gottesbeweis nicht einleuchten. So meint er an einer Stelle, dabei darwinistisches Gedankengut klar vorwegnehmend, daß Ordnung auch durch Anpassung – und nicht bloß durch Planung – entstehen könne. "Ich möchte gern wissen", meint Philo, "wie ein Lebewesen existieren könnte, wenn seine Teile nicht ... einander angepaßt wären. Finden wir nicht, daß es sogleich stirbt, wenn diese Anpassung aufhört, und daß die auseinander fallende Materie irgendeine neue Form erprobt? ... Und kann man nicht auf diese Weise den Anschein von Weisheit und Planung ... erklären?"

Bereits 1781 erschien eine deutsche Übersetzung, die von Kant, als er gerade seine Kritik der reinen Vernunft komponierte, eifrig studiert wurde. Im Vorwort nennt der Übersetzer die letzte Arbeit Humes im übrigen "trostlos".–

Auf den Gebrauch der Vernunft pochende Aufklärer werden in Zeiten absolut regierender geistlicher oder politischer Mächte keine Anerkennung finden, produziert doch kritische Rationalität Einsichten, die der Demokratie nahe stehen. Wohin eine romantisierende, gegenaufklärerische Schwärmerei führen kann, hat auch – um sich wieder einmal auf Europa zu konzentrieren – das vergangene Jahrhundert gezeigt, das sich zum Teil diesem Irrationalismus auslieferte. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts wäre anders verlaufen, hätte die Beobachtung Goethes auch später noch gegolten: "Wir nach allen Seiten hin strebenden Deutschen, wir wissen schon seit vielen Jahren die Verdienste würdiger schottischer Männer zu schätzen."

 

Schottische Aufklärung

«Brutstätte genial begabter Menschen»

Edinburgh war geistiges Zentrum und Heimat der Gelehrten.
Hier begann die wissenschaftlich-industrielle Revolution.

Das «Zeitalter der Aufklärung» (age of Enlightenment, siècle des lumières) war eine geistesgeschichtliche Epoche im Europa des 18. Jahrhunderts, in der aus «vernünftigen Gründen» weitreichende philosophische, ökonomische, politische und soziale Veränderungen stattfanden. Typisch für die Philosophie der Aufklärung ist die Hochschätzung der menschlichen Vernunft und die Abkehr von abergläubischen, schwärmerischen, übernatürlich gerechtfertigten Traditionen (etwa der «Herrschaft von Gottes Gnaden», des verhängnisvollen Gottesgnadentums). Mit Hilfe der Vernunft wurden die überlieferten Werte, Normen, Konventionen und Institutionen ganz bewusst nach ihrer rationalen Legitimation befragt.

Frankreich war ein Zentrum der Aufklärung, ein anderes Schottland. Vergleichbar – um im Europa der Neuzeit zu bleiben –, vergleichbar mit dem Florenz der Medici, dem Paris der Enzyklopädisten, dem Wien (und Berlin) der Jahrzehnte vor und nach der Wende zum 20. Jahrhundert waren Edinburgh und Glasgow im 18. Jahrhundert a hotbed of genius, wie Tobias Smollett schrieb, also «eine Brutstätte genial begabter Menschen». Wohl keine andere Epoche der Philosophie und Geistesgeschichte fand in den letzten Jahrzehnten eine vergleichbare Beachtung wie ebenjene Schottische Aufklärung. Versuche einer Gesamtdarstellung füllen Regale, und die Zahl der Einzelstudien ist unübersehbar geworden.

Gewiss steht, wenn man den allgemeinen Bekanntheitsgrad bedenkt, Adam Smith an erster Stelle. Seine Ideen werden, wenn auch in extrem verkürzter Form, immer wieder im Zusammenhang mit Erörterungen bezüglich der «Überlegenheit des Marktes» und der «Vorteile einer globalisierten Wirtschaft» genannt. Sein «Wealth of Nations» ist wahrscheinlich überhaupt eines der einflussreichsten Bücher, das je geschrieben wurde.

Als Zweites ist natürlich David Hume zu nennen, der im englischen Sprachraum die Position eines Zeus unter den klassischen Philosophen eingenommen hat. Fast jede englischsprachige Abhandlung über ein großes Thema der Philosophie nennt irgendwo – zumeist zustimmend, selten ablehnend – seinen Namen. Die Beschäftigung mit Hume und «den übrigen Schotten» ist in Großbritannien und, insbesondere, in den Vereinigten Staaten beinahe zur «akademischen Industrie» geworden.

Aber der «berühmteste aller Wirtschaftswissenschaftler» (Schumpeter), Adam Smith, und der Vater der modernen Philosophie, David Hume, waren keineswegs die einzigen Aufklärer aus Schottland. Als der englische Apotheker des Königs, namens Amyat, während des Höhepunkts der Aufklärung (1750-1775) einmal seinen schottischen Freund William Smellie – im Übrigen der erste Verleger der Encyclopaedia Britannica – in Edinburgh besuchte, war er bass erstaunt, im Zentrum der Stadt in wenigen Minuten «50 Genies und Gelehrte» zu treffen. Neben Hume und Smith eilten da noch aufgeregt umher: James Watt, Erfinder der universell einsetzbaren Dampfmaschine, James Hutton, der Galilei der modernen Geologie, William Robertson, einer der berühmtesten Historiker seiner Zeit, Joseph Black, der Entdecker des Kohlendioxids und Mitbegründer der modernen Chemie, Thomas Reid, der Philosoph des Realismus und Mitbegründer der «common sense»-Philosophie, der Schottischen Schule also, Robert Adam, der berühmteste britische Architekt seiner Zeit, Adam Ferguson und John Millar, die Mitbegründer der modernen Soziologie, Allan Ramsay und Henry Raeburn, die bedeutenden Porträtmaler, sowie die Doktoren Monro, die zusammen mit William Cullen die medizinische Fakultät Edinburghs zur besten Europas machten, deren Ruf selbst noch Charles Darwin anlockte.

Es ist im deutschen Sprachraum kaum bekannt, dass die Wiege der wissenschaftlich-industriellen Revolution, mehr als anderswo, im kleinen Schottland zu schaukeln begann. Die Bewohner dieses kargen Landes im Nordwesten Europas haben der Welt mehr als nur «Amazing Grace» beschert.

Es wird im folgenden eine ganz kleine Auswahl von Arbeiten zur Schottischen Aufklärung und insbesondere zu David Hume gegeben: Je eine Originalarbeit von diesem und von Adam Smith, eine Sammlung wichtiger politischer Ideen Humes aus vornehmlich neoliberaler Sicht, eine einführende Darstellung vom Leben und Werk David Humes sowie eine neue, englischsprachige Aufsatzsammlung zur Schottischen Aufklärung.

 

Boadie, A. (ed.): The Scottish Enlightenment. Cambridge U.P. 2003.

Döring, D. (Hrsg.): David Hume. Vernunft und Leidenschaft. ßßßOtt 2003

Hume, D.: Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Stuttgart (Reclam) 32002.

Smith, A. Der Wohlstand der Nationen. München (dtv) 2001.

Streminger, G.: Hume. Reinbek (Rowohlt) 32003



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