Sprachphilosophie
Philosophy of Language
La philosophie du langage

 

Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung
An International Handbook of Contemporary Research
Manuel international des recherches contemporaines

Herausgegeben von / Edited by / Edite par
Marcelo Dascal – Dietfried Gerhardus
Kuno Lorenz – Georg Meggle

1. Halbband / Volume 1 / Tome 1

 

Sonderdruck / Offprint / Tiré à part

 

Gerhard Streminger : John Locke
S. 308 – 320

 

Walter de Gruyter    Berlin – New York
1992


 

22. John Locke (1632-1704)

von Gerhard Streminger (S. 308 – 320)

wesentlich überarbeitete Fassung

 

1. Die Lehre von den Zeichen
2. Wörter sind Zeichen für Ideen
3. Ideen sind Zeichen für Gegenstände
4. Die Funktionen der Sprache
5. Die Unvollkommenheit der Sprache
6. Kritische Würdigung
7. Literatur in Auswahl

 

1. Die Lehre von den Zeichen

John Locke gilt als der Ahnherr aller jüngeren Richtungen des Empirismus. Sein philosophisches Hauptwerk, der Essay concerning Human Understanding (im folgenden: Essay), wird in der modernen Philosophie zumeist vor dem Hintergrund der Frage nach den empirischen Grundlagen unserer Erkenntnis diskutiert. Die sprachphilosophischen Analysen interessieren kaum. Im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Aufklärung, war dies anders. Locke galt damals nicht nur als einer der wichtigsten Denker des vorangegangenen Jahrhunderts, sondern auch als deren bedeutendster Sprachphilosoph. Im dritten Buch des Essays, betitelt: Of Words, war nach Meinung vieler Aufklärer die scholastische Verknüpfung von Semantik mit Logik und Grammatik gelöst, und die Frage nach der Bedeutung der Sprachzeichen vor dem Hintergrund des Problems des menschlichen Erkennens gestellt worden. Lockes epistemologische Ausrichtung fand selbst Eingang in die Logikbücher der damaligen Zeit. Als hervorragendes Beispiel sei Isaac Watts Logic aus dem Jahre 1724 genannt.

 

1.1 Physik, Praktik, Semiotik

Locke teilte alle Wissenschaften in drei Hauptklassen:

(a) In die Physik oder Naturwissenschaft. Es ist dies "die Kenntnis der Dinge, wie sie ihrem eigenen Wesen nach sind, ferner ihre Beschaffenheit, Eigenschaften und Wirkungsweisen". Zur Naturwissenschaft zählt Locke nicht nur die Erforschung körperlicher, sondern auch die Untersuchung geistiger Dinge. Die Natur Gottes ist ebenso Gegenstand der Naturwissenschaft wie "Engel, geistige Wesen, Körper oder ihre Eigenschaften wie Zahl, Gestalt usw.". Theologie, Psychologie und Mathematik sind Lockes höchst ungewohnter Terminologie zufolge … – Eine der größten Schwierigkeiten der Beschäftigung mit der Philosophie Lockes besteht darin, dass die von ihm verwendeten Begriffe oft eine unübliche Bedeutung haben … Also: Theologie, Psychologie und Mathematik sind Lockes ungewohnter Terminologie zufolge Teilgebiete der Physik (!). Ihr Ziel sei "reine spekulative Wahrheit" (IV, 21.2).
(b) Die Praktik. Aufgabe der Praktik ist es, Leitlinien für das menschliche Handeln bereit zu stellen. Der wichtigste Zweig dieses Wissensgebietes ist die Ethik. Sie ermittelt diejenigen "Regeln und Maßstäbe (rules and measures) der menschlichen Handlungen, die zur Glückseligkeit (happiness) führen", und erkennt Mittel, "um dementsprechend zu handeln". Ziel der Praktik ist also nicht - wie in der Physik - die spekulative Wahrheit, sondern "das Rechte (right) und ein Betragen (conduct), das dem angemessen ist" (IV, 21.3).
(c) Die Semiotik oder Lehre von den Zeichen. Die Semiotik untersucht die Natur der Zeichen, deren sich der Mensch bedient, um Dinge zu erkennen und das Wissen anderen mitzuteilen. Zum einen sind dies Ideen (ideas), die "Zeichen (signs) oder Stellvertreter (representations)" der Gegenstände, zum anderen sind dies Wörter (words), die Zeichen für Ideen. (Ideen sind also Zeichen für Gegenstände und Wörter sind Zeichen für Ideen.) Als Wissenschaft von den beiden "hauptsächlichsten Hilfsmitteln der Erkenntnis (instruments of knowledge)" (IV, 21.4) übernimmt die Semiotik gegenüber der Physik und Praktik eine übergreifende und integrierende Funktion. Lockes Essay ist ihr zuzuordnen, gehört also zur Semiotik.

1.2 Die grundsätzliche Bedeutung der Semiotik

Wie den wenigen autobiographischen Bemerkungen des Essays zu entnehmen ist, wurde Locke die Bedeutung der Semiotik erst im Laufe seiner philosophischen Entwicklung bewusst. Einmal, so erinnert er sich im einleitenden Epistle to the Reader, war er mit Freunden in eine hitzige naturwissenschaftliche Debatte verwickelt, die in völliger Konfusion geendet hatte. Da kam ihm der Gedanke, daß sie alle "einen falschen Weg eingeschlagen hätten" und daß "vor Beginn solcher Untersuchungen notwendig unsere eigenen geistigen Anlagen" geprüft werden müßten. Ehe wir begründete Aussagen über die Dinge machen können, müssen wir uns erst einmal fragen, was wir überhaupt erkennen können. (Erkenntnistheorie als Grundwissenschaft aller anderen Wissensdisziplinen.) Fänden wir darauf eine befriedigende Antwort, dann wären wir – so Locke - einem Matrosen ähnlich, der die "Länge seiner Lotleine" kennt, "auch wenn er damit nicht alle Tiefen des Weltmeeres ergründen kann. Es ist gut, wenn er weiß, daß sie lang genug ist, um an solchen Stellen den Grund zu erreichen, wo es notwendig ist, um seinen Kurs zu bestimmen und ihn vor Untiefen zu bewahren, die ihm verderblich werden könnten" (Epistle to the Reader). Bald, so Locke weiter, erkannte er jedoch, daß die Frage nach unseren Erkenntnisfähigkeiten eng mit der Frage nach der Bedeutung der Sprachzeichen, also nach der Funktion der Wörter, verknüpft ist:

"Als ich [...] daran ging, den Umfang und die Zuverlässigkeit unserer Erkenntnis (extent and certainty of our knowledge) zu untersuchen, mußte ich feststellen, daß diese unsere Erkenntnis zu den Wörtern in einer so engen Beziehung steht, daß nur wenige klare und zutreffende Aussagen über die Erkenntnis möglich sind, ohne vorher genau zu erforschen, was die Wörter leisten und in welcher Art sie die Dinge bezeichnen (force and manner of Signification). Denn die Erkenntnis, deren Gegenstand die Wahrheit ist, hat es stets mit Sätzen (propositions) zu tun [...] Ich neige zu der Annahme, daß, wenn man die Unvollkommenheiten der Sprache als des Instruments der Erkenntnis gründlicher erwägen wollte, ein großer Teil der Streitigkeiten, die in der Welt so viel Lärm verursachen, von selbst aufhören würde. Somit würde dann der Weg zur Erkenntnis, wie vielleicht auch der Weg zum Frieden, viel offener vor uns liegen, als es jetzt der Fall ist" (III, 9.21).

Ehe wir fliegen wollen, müssen wir und zunächst fragen, ob wir überhaupt Flügel haben. Aber ehe wir begründete Aussagen darüber machen können, müssen wir uns fragen, was eigentlich die Bedeutung von Sprachzeichen ist.

 

2. Wörter sind Zeichen für Ideen

2.1. Funktionen der Zeichensysteme

Nach diesen eher autobiographischen Ausführungen zum Programm des Essays kommt Locke zur Systematik. Sein zentrales Argument, mit dem die Bedeutung einer allgemeinen Zeichenlehre begründet werden soll, lautet folgendermaßen: "Der menschliche Geist (mind) bedient sich gewisser Zeichen, weil von den Dingen, die er betrachtet, [...] keines dem Verstande (understanding) gegenwärtig" ist. Denke ich beispielsweise über die Geographie eines Landes nach, so ist mir das Land als solches nicht gegenwärtig. Somit ist es notwendig, daß der menschliche Geist etwas

"als Zeichen oder Stellvertreter des Gegenstandes, den er betrachtet, zur Verfügung hat, und das sind die Ideen". Nun ist aber "der Schauplatz der Ideen, der die Gedankenwelt eines Menschen bedeutet, dem Blick eines anderen nicht unmittelbar zu enthüllen" (IV, 21.4), also für andere unzugänglich.

Menschen sind jedoch soziale Wesen, die die Neigung haben und aufgrund ihrer Bedürftigkeit auch gezwungen sind, mit anderen zusammen zu leben. Gesellschaftliches Zusammenleben erfordert jedoch Kommunikation, und hierbei ist der Austausch von Erfahrungen und Einsichten, also von >Ideen< (im Sinne Lockes), wesentlich. Da die Ideen des einen den anderen aber nicht unmittelbar zugänglich sind, erfanden Menschen ein sinnlich wahrnehmbares Zeichensystem, um ihre Ideen öffentlich zu machen. Am zweckdienlichsten erwiesen sich hier, aufgrund ihrer Reichhaltigkeit und Schnelligkeit, artikulierte Laute. Der

"Zweck der Wörter besteht also darin, sinnlich wahrnehmbare Kennzeichen (sensible marks) der Ideen zu sein; die Ideen, für die sie stehen, machen ihre eigentliche und unmittelbare Bedeutung (proper and immediate signification) aus" (III, 2.1.).

Neben der Mitteilungsfunktion (meine Ideen werden durch Wörter anderen mitgeteilt) kommt diesen eine weitere wichtige Aufgabe zu: Mit Hilfe der Wörter unterstützen wir unser Gedächtnis. Denn indem wir einer einzelnen Idee oder einem Ideenkomplex einen Namen geben, erinnern wir uns eher daran. Locke faßt diese beiden Funktionen der Sprache, ihre Merk- und ihre Mitteiilungsfunktion, so zusammen:

"Der Wert, den diese Kennzeichen für die Menschen besitzen, besteht entweder darin, daß sie sich ihre eigenen Gedanken zur Unterstützung ihres Gedächtnisses einprägen, oder daß sie ihre Ideen gleichsam zutage fördern und den Blicken anderer unterbreiten" (III, 2.2).

 

2.2. Hauptthese

Im Anschluß an diese noch immer eher allgemein gehaltenen Ausführungen über die Funktion der Sprachzeichen findet sich die wohl präziseste These der Lockeschen Semiotik, insoweit sie Wörter betrifft. Sie sei im folgenden >Hauptthese< genannt:

"Words in their primary and immediate Signifcation, stand for nothing, but the Ideas in the Mind of him that uses them" (III, 2.2).

Diese Hauptthese Lockes wirft zumindest vier Fragen auf:

(Frage 1) Haben alle artikulierten Laute die soeben beschriebene Zeichenfunktion?
(Frage 2) Was ist mit >primary or immediate Signification< gemeint?
(Frage 3) Was heißt >stand for<?
(Frage 4) Was ist mit >idea< gemeint?

(Frage 1) Wörter sind artikulierte Laute. Kommt nun allen artikulierten Lauten die soeben beschriebene Zeichenfunktion zu? Locke selbst wirft diese Frage auf und läßt zwei Ausnahmen gelten:

(a) Wörter,

"durch die man zeigen kann, welche Verknüpfung, Einschränkung, Unterscheidung, Gegenüberstellung, Hervorhebung usw. man jedem einzelnen Teil seiner Rede geben will (part of his discourse)" (III, 7.2).

Beispiele wären hier >aber< oder >vielleicht<. Diese, heute zumeist synkategorematisch genannten Ausdrücke, sind Locke zufolge keine Namen von Ideen im Geiste desjenigen, der sie gebraucht, sondern sie bezeichnen vielmehr Verbindungen bzw. Verknüpfungen, die der Verstand

"zwischen den verschiedenen Ideen oder Sätzen herstellt. Wenn der Geist nämlich seine Gedanken anderen mitteilt (communicates), braucht er nicht nur Zeichen für die Ideen, die ihm gerade vorschweben, sondern auch andere, […] die sich auf jene Ideen beziehen […]. Das geschieht auf verschiedene Weise. So sind >ist< und >ist nicht< die allgemeinen Bezeichnungen des Geistes für Bejahung und Verneinung" (III, 7.1).

(b) Neben den Wörtern, die sich unmittelbar auf Ideen beziehen, gibt es noch Ausdrücke, die verwendet werden,

"um das Fehlen oder die Abwesenheit bestimmter einfacher oder komplexer Ideen (simple or complex ideas) oder aller Ideen überhaupt auszudrücken. Dazu gehören zum Beispiel >nihil< im Lateinischen, >Unwissenheit< und >Geistesleere< im Deutschen. Von all diesen negativen oder privativen Wörtern (negative or privative words) kann man eigentlich nicht sagen, daß sie keiner Idee zugehörten oder keine Idee bezeichneten; denn sonst wären sie völlig bedeutungslose Laute. Sie beziehen sich jedoch auf positive Ideen und bezeichnen deren Abwesenheit" (III, 1.4).

So viel zu den >negativen oder privativen Wörtern<. Interessant sind schließlich Verben. Obwohl Locke sie nirgendwo explizit von seiner Zeichentheorie ausnimmt, schließt er sie meines Wissens auch nur an einer einzigen Stelle ausdrücklich ein:

"Wer zuerst die Wörter >sich schämen<, >schmeicheln<, >necken< in Umlauf setzte, fügte die Ideen, für die er sie verwendete, so zusammen, wie er es für geeignet hielt" (III, 9.7).

Locke interessierte sich für Zeitwörter nicht sonderlich, aber einen Grund, sie von der Hauptthese auszuschließen, sah er offenbar auch nicht. Diese läßt sich nun in folgender Weise präzisieren:

Wörter, ausgenommen: synkategorematische und privative, stehen in ihrer primären oder unmittelbaren Bedeutung für nichts anderes als für die Ideen im Geiste desjenigen, der sie gebraucht.

(Frage 2) Was ist mit >primary or immediate Signification< gemeint? Gleich nach der Formulierung der Hauptthese betont Locke nochmals, daß Wörter Zeichen für Ideen im Geiste desjenigen sind, der sie gebraucht, und daß sie sich direkt auf nichts anderes beziehen. Niemand kann Wörter "unmittelbar für etwas anderes verwenden als für seine eigenen Ideen" (III, 2.2). Aber natürlich ist damit nicht ausgeschlossen, daß Wörter in einer sekundären oder mittelbaren Bedeutung auch für etwas anderes als für die Ideen im Geiste desjenigen stehen, der sie gebraucht. Und eben dies meint auch Locke: So stehen, wie noch ausgeführt werden wird, ein wesentlicher Teil der Substanznamen >nicht ausschließlich< für die Ideen des Sprechenden, sondern >eigentlich auch< für Gegenstände (III, 11.23).

Die Hauptthese läßt sich somit weiter präzisieren:

Wörter, ausgenommen: synkategorematische und privative, stehen unmittelbar für nichts anderes als für Ideen im Geiste desjenigen, der sie gebraucht; mittelbar können sie aber auch für anderes stehen.

(Frage 3) Was heißt >stand for<? Locke gibt darauf meines Wissens nirgendwo eine genaue Antwort. Ohne auf Bedeutungsunterschiede einzugehen, verwendet er >mark<, >are signs of<, >are marks of<, >are names of<, >signify<, >correspond to< oder >are annexed to< als Synonyma für stand for. Wie aus dem Kontext zu erschließen ist, will Locke mit >stand for< zunächst ausdrücken, daß der Zeichencharakter der Wörter darin besteht, Ideen zu vertreten. Ein bestimmter Laut wird also mit einer bestimmten Idee verknüpft, der dann die Idee vertritt. Um welchen Laut es sich dabei handelt, ist Locke zufolge reine Konvention. Der Zeichencharakter der Ideen ist jedoch ein anderer. Während Wörter Ideen vertreten, bilden Ideen, zumindest ein Teil von ihnen, Dinge ab. Das, wofür diese Ideen Zeichen sind, ist gerade keine Konvention. Dieser Unterschied im Zeichencharakter von Wörtern und Ideen, den Locke hervorhebt, für den er aber keine Terminologie bereitstellt, sei in folgender Präzisierung der Hauptthese berücksichtigt:

Wörter, ausgenommen: synkategorematische und privative, vertreten unmittelbar nur Ideen im Geistes desjenigen, der sie gebraucht; indirekt beziehen sie sich aber auf Gegenstände (und einige der Ideen bilden Dinge ab).

(Frage 4) Was heißt >idea<?


3. Ideen sind Zeichen für Gegenstände

3.1 Definition von idea

Die Analyse der Lockeschen Bedeutung von >Idee< ist zentral für ein Verständnis seiner Sprachphilosophie, da >Ideen< die Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke sind. Leider ist Locke auch in diesem zentralen Punkt ziemlich unklar. Am präzisesten ist noch folgende Definition:

"Idea [...] It being that Term, which, I think, serves best to stand for whatever is the Object of the Understanding when a Man thinks, [...] or whatever it is, which the Mind can be employ’d about in thinking" (I, 1.8).

Alles das, was Gegenstand meines Denkens ist (oder sein könnte) - sei es eine bestimmte Person, das Gefühl der Eifersucht, der Begriff der Menschheit oder das bildlich gewiß nicht vorstellbare Tausendeck - fällt unter den Lockeschen Begriff >Idee<. Da selbst die Materie außerhalb des menschlichen Bewußtseins Gegenstand des Denkens sein kann, ist auch diese extramentale Materie eine >Idee<. Locke sagt dies ausdrücklich:

"Um die Natur unserer Ideen noch besser zu erkennen und verständlich von ihnen zu reden, wird es zweckdienlich sein, zwischen ihnen zu unterscheiden, insofern sie Ideen oder Wahrnehmungen in unserem Geist (ideas or perceptions in our minds) und insofern sie Modifikationen der Materie in den Körpern sind (modifications of matter in the bodies), die in uns derartige Wahrnehmungen verursachen" (II, 8.7).

Nun sind aber auch Urteile, Beweise, Argumente und Wörter, und nicht bloß Vorstellungen und Begriffe, Gegenstände meines Denkens. Sind sie ebenfalls Ideen im Sinne Lockes? Aus den Beispielen, die er für >Ideen< gibt, läßt sich relativ eindeutig schließen, daß mit idea >Vorstellungen und Begriffe< - und nur sie – gemeint sind. Diese Interpretation steht auch in Einklang mit dem, was Locke unter >denken< versteht. >Denken< ist für ihn primär nicht >urteilen<, sondern eine gewisse Form des >Anschauens<: Wir >schauen< unsere Ideen an und stellen Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung zwischen ihnen fest. Vor dem Hintergrund eines so verstandenen >anschauenden< Denkens ist die These, derzufolge alles das, was Gegenstand des Denkens ist, >Idee< heißt, einigermaßen plausibel. Die Hauptthese läßt sich nun so präzisieren:

Wörter, ausgenommen. synkategorematische und privative, vertreten unmittelbar nur Ideen, also Vorstellungen und Begriffe, im Geiste desjenigen, der sie gebraucht; indirekt beziehen sie sich aber auf Gegenstände (und einige der Ideen bilden Dinge ab).

3.2 Einteilung der Ideen

Wörter vertreten also Ideen. Was aber, so lautet die noch unbeantwortete Frage, ist der genaue Zeichencharakter der Ideen? Zunächst einmal beziehen sie sich auf Gegenstände. Aber auf Gegenstände außer uns? Auf raum-zeitlich Existierendes? Auf platonische Wesenheiten? Oder aber auf subjektive Wahrnehmungen? Zur Beantwortung dieser Fragen muß Lockes verschlungene Einteilung der Ideen wenigstens zum Teil rekonstruiert werden. Locke teilt die Ideen ein in:

besondere und allgemeine,
einfache und komplexe,
reale und phantastische
.

3.2.1. Besondere (particular) und allgemeine (general) Ideen. Lockes Grundgedanke lautet hier: Durch die Sinne gelangen besondere Ideen ins Bewusstsein (>Peter<, >Johanna<, >Jakob< etc.). Wenn der Verstand mit diesen vertraut ist, werden sie mit artikulierten Lauten, den Namen, verknüpft. Später, wenn sich der Verstand weiter entwickelt hat, abstrahiert dieser von den besonderen Ideen und erlernt den Gebrauch allgemeiner Namen (>der Mensch<). Dieser Abstraktionsvorgang besteht genauer darin, daß der Verstand die besonderen Ideen

"von allen örtlichen und zeitlichen Umständen trennt und alle anderen Ideen von ihnen loslöst, die sie möglicherweise auf diese oder jene Einzelexistenz beschränken könnten" (III, 3.6).

Beobachtet der menschliche Geist beispielsweise an der Kreide oder am Schnee dieselbe Farbe, die er zuvor an der Milch bemerkte, so betrachtet er diese allein und gibt ihr schließlich den Namen >weiß<. Bereits Kinder können dies:

"Sie schalten aus der komplexen Idee, die sie von Peter und Jakob, von Marie und Johanna hatten, nur dasjenige aus, was einer jeden eigentümlich ist, und behalten zurück, was ihnen allen gemeinsam ist" (III, 3.7).

So gelangen sie schließlich zur allgemeinen Idee und damit zur Bedeutung des Allgemeinbegriffs >der Mensch<. Mit Hilfe eines Abstraktionsvorganges gelangen wir also zu allgemeinen Ideen, den Bedeutungen von Begriffen wie >das Weiße< oder >der Mensch<. Diese allgemeinen Ideen nennt Locke zumeist >abstrakte Ideen<, um auf die Art ihres Entstehens hinzuweisen. Seiner Ansicht nach sind die in der Scholastik so vieldiskutierten >Wesenheiten< in Wirklichkeit nichts anderes als eben diese abstrakten Ideen.

3.2.2. Einfache (simple) und komplexe (complex) Ideen. Hinsichtlich der Komplexität von Ideen stellt Locke die Behauptung auf, daß alle komplexen Ideen letztlich auf einfache zurückgeführt werden können. Jede empirische Erklärung findet dann mit dem Aufweis einfacher Ideen ihr Ende. Die Behauptung, daß alle einfachen Ideen, also das Material oder die Grundelemente unseres Denkens, aus der Erfahrung stammen, ist natürlich zentral für Lockes Empirismus. Da seiner Ansicht nach alle einfachen Ideen entweder durch äußere (sensation) oder durch innere (reflection) Wahrnehmungen gewonnen sind, kann er den empiristischen Grundsatz aufstellen, daß letztlich nichts im Verstande ist, was nicht zuvor in den Sinnen war. Die klassische Belegstelle hierfür:

"Unsere Beobachtung, die entweder auf äußere sinnlich wahrnehmbare Objekte gerichtet ist oder auf innere Operationen des Geistes, die wir wahrnehmen und über die wir nachdenken, liefert unserem Verstand das gesamte Material des Denkens. Dies sind die beiden Quellen der Erkenntnis, aus denen alle Ideen entspringen, die wir haben oder naturgemäß haben können/Our Observation employ’d either about external sensible Objects; or about the internal Operations of our Minds, perceived and reflected on by our selves, is that, which supplies our Understanding with all the materials of thinking. These two are the Fountains of Knowledge, from whence all the Ideas we have, or can naturally have, do spring." (II, 1.2).

Beispiele für einfache Ideen sind nach Locke >weiß<, >rot<, >bitter<, aber auch "Freude oder Vergnügen und deren Gegenteil Schmerz oder Unbehagen; Kraft, Dasein, Einheit" (II, 7.1). Diese letzteren, so meint Locke durchaus problematisch, gelangen auf sämtlichen Wegen der sensorischen und reflexiven Wahrnehmung in das Bewußtsein.

Soviel zu den einfachen Ideen. Unter den komplexen Ideen unterscheidet Locke drei Arten: Modi, Relationen und Substanzen. Lockes Ausführungen hierzu gehören zu den dunkelsten Passagen im gesamten Essay.

Modi. Zunächst zur ersten Gruppe der komplexen Ideen, den Modi. Diese sind Ideen, die nicht für sich existieren, sondern irgendwie "von Substanzen abhängend" (II, 12.4) gedacht werden. Einige dieser Modi sind einfach bzw. >unvermischt< (simple), andere sind vermischt (mixed). Einfache bzw. >unvermischte< Modi sind "nur Variationen oder verschiedene Kombinationen einer und derselben einfachen Idee ohne Beimischung irgendeiner anderen [. ..], zum Beispiel ein Dutzend" (II, 12.5). Zu den einfachen Modi zählt Locke also die >Ideen der Quantität<, die den Gegenstandsbereich eines wesentlichen Teils der Mathematik ausmachen und die der Verstand "ohne die Hilfe eines Objekts der Umwelt (extrinsical object) oder einer äußeren Anregung (foreign suggestion) in sich selbst zustande zu bringen vermag" (II, 13.1). Zahlen können, so Locke, nicht für sich existieren, denn sie >haften< stets an Anderem, aber die Betrachtung derselben und der Verhältnisse zueinander bedarf keines weiteren Objekts.

Im Gegensatz zu diesen einfachen oder >unvermischten< Modi sind gemischte Modi nicht bloß Modifikationen einer einfachen Idee, sondern "eine Zusammensetzung von einfachen Ideen verschiedener Art". Hierzu zählt Locke ästhetische und ethische Begriffe. Schönheit, beispielsweise, ist "eine bestimmte, den Beschauer angenehm berührende Zusammensetzung von Farbe und Gestalt" (II, 12.5). Während man sich in einem Teil der Mathematik mit einfachen Modi beschäftigt, handeln Ästhetik und Ethik von gemischten Modi.

Locke unterscheidet nun mehrere Wege, auf denen wir zu gemischten Modi gelangen. Die wichtigsten sind: (a) Durch "Erfahrung (experience) und Beobachtung (observation) der Dinge selbst". So gelangen wir zur Idee des Ringens oder Fechtens, wenn wir zwei Menschen ringen oder fechten sehen. (b) Durch Erfindung (invention) oder dann, wenn wir verschiedene einfache Ideen willkürlich in unserem Geist zusammenfügen. Derjenige zum Beispiel, der das Drucken oder das Radieren erfand, "hatte eine Idee von diesen Künsten in seinem Geist, ehe sie je existierten" (II, 22.9). Zu den gemischten Modi, die ihren Ursprung in der Erfindungskraft des Menschen haben, gehören also alle Entwürfe und menschlichen Kreationen, aber auch alle ästhetischen und ethischen Begriffe wie >Schönheit<, >Dankbarkeit< oder >Lüge<. Soviel zu den Modi.

Relationen, die zweite Art komplexer Ideen, sind solche Ideen, die "immer nur zwischen zwei Dingen stattfinden" (II, 25.6) können, insofern diese als zwei Dinge betrachtet und miteinander verglichen werden. Die Relation ist so beschaffen, daß sie den Blick auf eine andere Idee hinlenkt. Unter den >relativen Ausdrücken< der Sprache, durch die wir Relationsideen bezeichnen, führt Locke als Beispiel >Vater<, >Sohn<, >Ehemann< und >Konkubine< an. Seltener nennt er Ideen, von denen wir eher erwarten, daß sie >Relationsideen< genannt zu werden verdienen, wie >Identität< und >Verschiedenheit<.

Substanzen. Nun zu den Substanzen, der dritten Gruppe komplexer Ideen. >Substanzen< sind Ideen, die – im Gegensatz zu Modi und Relationen - für sich selbst existierend gedacht werden, etwa ein bestimmter Baum oder eine bestimmte Stadt. Locke glaubte, bezüglich der Substanzen eine Theorie zu vertreten, die der scholastischen diametral entgegengesetzt ist. Substanzen sind für ihn nämlich keine substrata, den wirklichen Dingen noch zugrundeliegende oder irgendwo als Wesenheiten subsistierende Etwasse, sondern sie sind vom Verstand gebündelte Eigenschaften, die benannt werden.

3.2.3. Reale (real) und phantastische (phantastical) Ideen. >Real< nennt Locke jene Ideen, "die in der Natur eine Grundlage (foundation in nature) haben". Darunter versteht er zweierlei: Jene Ideen, die "dem realen Sein (real being) und Dasein der Dinge (existence of things)" entsprechen oder jene Ideen, die "mit ihren Urbildern (archetypes) eine Übereinstimmung (conformity) aufweisen". >Phantastisch< nennt Locke wiederum all jene Ideen, die mit dem realen Sein und Dasein der Dinge nicht übereinstimmen und die "auch keinerlei Übereinstimmung mit jener Realität des Daseins aufweisen, worauf sie als auf ihre Urbilder stillschweigend bezogen werden" (II, 30.1). Wie dies genauer zu verstehen ist, erläutert Locke anhand dreier Thesen.

- Alle einfachen Ideen sind real.
- Gemischte Modi sind, sofern sie mit dem Urbild übereinstimmen, real.
- Substanzen sind, sofern sie die tatsächliche Ordnung einfacher Ideen abbilden, real.

 

3.3. Der Realitätsbezug der Ideen

(1) Alle einfachen Ideen sind real. Locke meint, daß alle einfachen Ideen real sind, weil sie entweder "Abbilder (images) oder Darstellungen (representations) dessen sind, was existiert" (II, 30.2), oder weil sie von Dingen außer uns verursacht werden. Einfache Ideen als Abbilder dessen, was existiert, sind "Festigkeit, Ausdehnung, Gestalt oder Beweglichkeit" (Il, 8.9). Zu den einfachen Ideen, die keine realen Dinge abbilden, aber doch "beständige Wirkungen (constant effects)" (II, 30.2) realer Dinge sind, zählt Locke Farben und Schmerzempfindungen. Locke behauptet also, daß einfache Ideen die tatsächliche Realität abbilden, somit Menschen in keiner privaten Bildergalerie eingeschlossen sind. Zwar können wir Locke zufolge nie beweisen, daß das Leben kein Traum ist, aber es gibt ausgezeichnete Gründe für die Annahme, daß gewisse Ideen Abbilder außer uns existierender Dinge sind. Im wesentlichen sind es die folgenden vier Argumente:

(a) Der menschliche Geist kann aus sich heraus keine einfachen Ideen erzeugen.

"Es liegt auf der Hand, daß sie nicht von den Organen selbst erzeugt werden; denn sonst würden die Augen des Menschen im Dunkeln Farben erzeugen und seine Nase im Winter Rosenduft riechen; dagegen stellen wir vielmehr fest, daß niemand den Wohlgeschmack der Ananas kennenlernen kann, wenn er nicht nach Indien geht, wo sie wächst, und sie kostet" (IV, 11.4).

(b) Der Empfindungscharakter einer tatsächlichen Idee ist verschieden von dem einer erinnerten oder erträumten.

"Zuweilen beobachte ich, daß ich ein Entstehen dieser Ideen in meinem Geist nicht vermeiden kann. Denn obgleich ich mit geschlossenen Augen oder bei verdunkeltem Fenster nach Belieben die Idee des Lichtes oder die der Sonne, die frühere Sensationen (sensations) in meinem Gedächtnis untergebracht haben, in meiner Erinnerung wachrufen kann, so kann ich doch jene Idee auch nach Belieben wieder ausschalten und mir diejenige des Dufts der Rose oder des Geschmacks von Zucker vergegenwärtigen. Wenn ich aber am Mittag meine Augen der Sonne zuwende, so kann ich die Ideen, die das Licht oder die Sonne dann in mir erzeugt, nicht fernhalten" (IV, 11.5).

Offensichtlich besteht also ein Unterschied zwischen den Ideen, die im Gedächtnis gespeichert sind und solchen, die sich uns aufdrängen.

(c) Freude und Schmerz, die tatsächliche Empfindungen begleiten, treten nicht wieder auf, wenn dieselben Ideen ohne die äußeren Objekte wiederkehren.

"Dazu kommt, daß viele jener Ideen in uns mit Schmerz erzeugt werden, an den wir uns später ohne das geringste Unbehagen erinnern. So stört uns das Unbehagen von Hitze oder Kälte nicht, wenn die betreffende Idee in unserem Geist wieder erweckt wird, obgleich es in dem Augenblick, wo wir es fühlten, äußerst lästig war; das aber wird es wieder, wenn es sich tatsächlich wiederholt" (IV, 11.6).

(d) Unsere Sinne bestätigen gegenseitig ihr Zeugnis von der Existenz äußerer Dinge und befähigen uns, Voraussagen zu treffen:

"Wer ein Feuer sieht, kann es, wenn er daran zweifelt, ob es mehr als eine bloße Einbildung (fancy) ist, auch fühlen und sich davon überzeugen, indem er die Hand hineinsteckt. Eine bloße Idee oder eine reine Einbildung (phantom) würden der Hand sicherlich niemals einen heftigen Schmerz zufügen; es sei denn, daß auch dieser Schmerz nur bloße Einbildung ist. Wenn man sich tüchtig verbrannt hat, kann man sich jedoch diesen Schmerz nicht dadurch erneut zufügen, daß man die Idee wieder von neuem erweckt" (IV, 11.7).

Somit ergibt sich zusammenfassend, daß unser Wissen von der Außenwelt zwar nicht demonstrierbar ist, aber Locke zufolge sind diese vier soeben zitierten Argumente so überzeugend, daß er sogar von einem >sensitiven Wissen< spricht. Es gibt also hervorragende Gründe, die Existenz einer Außenwelt anzunehmen, deren Beschaffenheit dann durch einfache Ideen abgebildet wird.

(2) Gemischte Modi sind, sofern sie mit dem Urbild übereinstimmen, real. Locke argumentiert so:

"Würde wohl jemand, der erkennen will, ob seine Idee von Ehebruch oder Blutschande zutreffend sei, diese irgendwo unter den existierenden Dingen aufsuchen? Oder ist seine Idee davon richtig, weil jemand Zeuge einer solchen Handlung gewesen ist? Nein; vielmehr genügt es hier, daß die Menschen eine solche Gruppe zu einer komplexen Idee vereinigt haben, die das Urbild und die spezifische Idee ausmacht, gleichviel, ob eine solche Handlung in rerum natura je begangen worden ist oder nicht" (III, 5.3).

Locke meint also, daß gemischte Modi >real< und nicht >phantastisch< genannt werden sollten, wenn sie mit dem Urbild, auf das sie sich beziehen, übereinstimmen. Das >Urbild< ist dabei von Menschen erdacht und geschaffen worden. Bedingung für die Realität eines gemischten Modus ist also allein, daß er mit dem >Urbild< übereinstimmt.

(3) Substanzen sind, sofern sie die tatsächliche Ordnung einfacher Ideen abbilden, real,. Während im Falle des gemischten Modus das Muster die widerspruchsfreie Definition oder Konstruktion ist, auf die sich der Modus bezieht, ist im Falle der Substanzen das Muster das tatsächlich vorhandene Eigenschaftsbündel, also die in der Realität vorhandene Ideenkollektion. Lockes klarste Ausführung zu diesem Punkt lautet:

"Unsere komplexen Ideen von Substanzen sind sämtlich in bezug auf die außer uns existierenden Dinge gebildet und sollen Darstellungen der Substanzen sein, wie sie wirklich sind; sie sind daher nur insoweit real, als wir in ihnen solche Kombinationen von einfachen Ideen haben, die in den Dingen unserer Umwelt wirklich vereinigt sind und zusammen bestehen. Im Gegensatz dazu sind diejenigen phantastisch, die aus Zusammenstellungen einfacher Ideen bestehen, die nie in irgendeiner Substanz tatsächlich vereinigt waren oder sich darin zusammen vorfanden" (II, 30.5).

Ein Beispiel für eine phantastische Substanz, die das Produkt der menschlichen Phantasie ist, wäre etwa ein Zentaur.


3.4 Präzisierung der Hauptthese

Vor dem Hintergrund dieser komplexen Ausführungen bezüglich Ideen kann nun die oben (3.1. ff) gestellte Frage nach deren Zeichencharakter beantwortet werden: Locke unterscheidet verschiedene Arten von Ideen, und diese beziehen sich auf verschiedene Gegenstände. Abstrakte Ideen, wie >das Weiße< oder >der Mensch<, beziehen sich auf das vom Verstand abstrahierte Gemeinsame vieler besonderer Ideen. Da das Allgemeine oder >Universale< nicht zur realen Existenz der Dinge gehört, vielmehr Abstraktionen des Verstandes sind - da >Dinge in ihrer Existenz sämtlich einzeln sind< -, sind abstrakte Ideen keine direkten Zeichen für real Existierendes (cf. III, 3.11). Einfache Ideen, sofern sie durch äußere Wahrnehmung gewonnen werden, beziehen sich auf Gegenstände außer uns; sofern sie durch innere Wahrnehmung gewonnen werden, sind sie keine Abbilder der Gegenstände außer uns. Sie sind jedoch auch keine Schöpfungen der Einbildungskraft. Gemischte Modi beziehen sich auf Urbilder, womit in sich widerspruchsfreie Definitionen und von Menschen Erdachtes gemeint ist. Substanzen schließlich können sich auf Reales beziehen, dann nämlich, wenn sie die gegebene Ordnung in den einfachen Ideen abbilden. Sie können sich jedoch auch auf Nicht-Reales beziehen und zwar dann, wenn die in der Substanz gebündelten Eigenschaften die in den einfachen Ideen nahegelegte Ordnung nicht abbilden. Lockes Hauptthese wäre nun so zu präzisieren:

Wörter, ausgenommen: synkategorematische und privative, vertreten unmittelbar nur Ideen, also Vorstellungen und Begriffe, im Geiste desjenigen, der sie gebraucht; aufgrund des Zeichencharakters der Ideen beziehen sich Wörter jedoch indirekt entweder auf besondere Gegenstände (>Julius Caesar<), auf das aus besonderen Gegenständen abstrahierte Gemeinsame (>das Röte<), auf Gegenstände außer uns (>dehnbar<), auf von uns selbst geschaffene Urbilder (>Dreieck<, >Gerechtigkeit<), oder auf Eigenschaftsbündel, wie sie in der Erfahrung auftauchen (>Baum<) oder auch nicht (>Pegasus<) .


4. Die Funktionen der Sprache

4.1. Merk- und Mitteilungsfunktion

Wie bereits erwähnt, übernimmt Locke zufolge die Sprache zwei wichtige Funktionen: Zum einen erleichtert sie es, sich Ideen zu merken, zum anderen ermöglicht sie es, Ideen mitzuteilen. Diese Mitteilungsfunktion präzisiert Locke so:

"Die Aufgaben der Sprache in unserem mündlichen Verkehr mit anderen sind vornehmlich drei: erstens die Gedanken oder Ideen des einen dem andern bekanntzugeben (make known), zweitens, dies so leicht (ease) und so schnell (quickness) wie möglich zu tun, drittens, dadurch die Erkenntnis der Dinge zu vermitteln (convey the knowledge of things)" (III, 10.23).

Locke illustriert diesen Gedankengang mit dem Bild, daß derjenige, der über komplexe Ideen, aber über keine Namen dafür verfügt, in der Situation eines Buchhändlers ist, in dessen Läden Bücher ungebunden und ohne Titel umherliegen. Dieser Buchhändler könnte seine Kunden nur mit seinen Schätzen vertraut machen (wenn überhaupt), indem er ihnen die losen Druckbögen vorzeigt und stückweise übergibt. An anderer Stelle schreibt Locke:

"Nehmen wir an, ich wollte zu jemandem von einer Vogelart sprechen, die ich kürzlich im St. James-Park gesehen habe. Jener Vogel ist drei bis vier Fuß hoch, trägt am Körper ein Mittelding zwischen Feder- und Haarkleid, ist von dunkelbrauner Farbe und hat keine Flügel; an deren Stelle befinden sich vielmehr zwei oder drei kleine Büschel, die wie Zweige spanischen Ginsters herabhängen; er hat lange kräftige Beine, nur drei Fußzehen und keinen Schwanz. In der eben vorgeführten Weise müßte ich den Vogel etwa beschreiben, um mich andern dadurch vielleicht verständlich zu machen. Wenn ich aber erfahre, daß dieser Vogel >Kasuar< heißt, so kann ich von nun an in der Unterhaltung dieses Wort statt meiner ganzen, in jener Beschreibung dargelegten komplexen Idee verwenden" (III, 6.34).

Nun ist aber nicht immer, wie diese Beispiele nahelegen, zuerst eine Idee gegeben, die dann benannt wird. Dies mag, wie Locke schreibt, bei der >Entstehung der Sprachen< so gewesen sein, aber bei "fertigen Sprachen" ist es "gewöhnlich (the ordinary method)" so, daß Kinder zumal

"die Namen der gemischten Modi erlernen, bevor sie sich die entsprechenden Ideen angeeignet haben. Bildet wohl einer unter tausend je die abstrakten Ideen Ruhm und Ehrgeiz, ehe er ihre Namen gehört hat? Ich gebe zu, daß es sich bei einfachen Ideen und Substanzen anders verhält. Dies sind nämlich Ideen, die in der Natur eine reale Existenz und Einheit (a real existence and unity in nature) aufweisen; darum werden hier je nachdem bald die Ideen vor den Namen, bald die Namen vor den Ideen erlangt" (III, 5.15).

Aber warum ist der Wortschatz einer bestimmten Sprache so, wie er nun einmal ist? Lockes Antwort darauf: Menschen orientieren sich an Nützlichkeitserwägungen. Das, was wichtig ist, wird benannt, anderes bleibt unbenannt. Der Grund ist im

"Zweck der Sprache (the end of language) zu finden. Da dieser darin besteht, die Gedanken der Menschen einander so rasch wie möglich zu bezeichnen (mark) oder mitzuteilen (communicate), so pflegen sie solche Ideengruppen zu komplexen Modi zu machen und mit Namen zu versehen, die sie im praktischen Leben und im mündlichen Austausch häufig gebrauchen" (II, 22.5).

Da Nützlichkeitserwägungen den Gebrauch von Sprachzeichen beeinflussen, ist es nach Locke möglich, aus dem Gebrauch eines Wortes auf den Rang des durch das Wort Bezeichnete, also die Idee, zu schließen. Ein Beispiel wäre das lateinische >proscriptio<, ein in andere Sprachen kaum übersetzbares Wort, weil es aufgrund von Brauch, Gewohnheit, Sitte und Notwendigkeit für eine eigene, sehr komplexe Idee stand,

"die im Geist der Menschen anderer Völker nicht vorhanden war. Wo es keine entsprechende Sitte gab, da fehlte auch der Begriff von derartigen Handlungen; man brauchte keine solche Ideenkombinationen und keine Ausdrücke für ihre Verknüpfung, und deshalb gab es auch in anderen Ländern keine Namen dafür" (Il, 22.6).

Ändern sich aber Brauch, Gewohnheit und Sitte, so ändert sich auch die Sprache:

"Der Wechsel der Gewohnheiten und Meinungen bringt neue Kombinationen von Ideen mit sich, an die man oft denken und über die man oft sprechen muß; ihnen werden, um lange Beschreibungen zu vermeiden, neue Namen beigelegt; so werden sie zu neuen Arten komplexer Modi" (II, 22.7).

Der Wortschatz einer Sprache ist durch die Eigenschaften der Dinge bestimmt, die verschiedene Ideen in den Sprechenden verursachen. Vor allem handelt es sich in diesem Fall um einfachere Ideen. Der menschliche Verstand kann diese dann in freier Wahl kombinieren, aus ihnen Gemeinsames abstrahieren etc. Aber welche dieser Ideenkollektionen dann auch benannt werden, bestimmen letztlich die Notwendigkeiten des Lebens.

4.2. Gestaltfunktion

Locke hatte zunächst zwei Funktionen der Sprache unterschieden: die Mitteilungs- und die Merkfunktion. Im Lauf der Analyse entdeckte er aber eine weitere Funktion: Die Gestaltung der Ideen durch Sprache. Da komplexe Ideen

"aus mehreren einfachen Ideen bestehen, liegt es in den Kräften der Wörter, [...] dem Geist zusammengesetzte Ideen einzuprägen, die vorher nie in ihm vorhanden waren [...]. Von den Arten der gemischten Modi werden in der Regel nur diejenigen beachtet, die einen Namen besitzen [...]. Vater und Sohn, Ehemann und Ehefrau und ähnliche korrelative Ausdrücke (correlative terms) gehören offenbar so eng zueinander und pflegen infolge von Gewohnheit so rasch im Gedächtnis miteinander anzuklingen […], daß, sobald der eine von beiden genannt wird, die Gedanken sofort über das bezeichnete Ding hinausgehen und niemand die Relation, auf die in dieser Weise so deutlich hingewiesen wird, übersieht oder bezweifelt. Wo es aber die Sprache versäumt hat, korrelative Namen zu geben, wird die Relation nicht immer so leicht bemerkt. Ohne Zweifel ist >Konkubine< ebensogut ein relativer Name (relative name) wie >Ehefrau<; in einer Sprache jedoch, wo diese und ähnliche Wörter keinen korrelativen Ausdruck besitzen, hält man sie nicht so leicht für bezüglich. Denn es fehlt ihnen das kennzeichnende Merkmal der Relation (evident mark of relation), das zwischen Ausdrücken, die sich offenbar gegenseitig erläutern und immer nur zusammen bestehen können, vorhanden ist" (III, 4.12; IIl, 5.15; II, 25.2).

Offenbar vertreten Wörter nicht nur die Ideen, sie beeinflussen sie auch. Es liegt in der Kraft der Worte, dem Geist zusammengesetzte Ideen einzuprägen; und >relative Namen< rufen jene andere Idee hervor, die mit der ursprünglichen Idee verbunden war und diese >erläutert<. Namen geben den komplexen Ideen "bleibende Dauer (lasting duration)" (III, 5.10). Die Benennung der komplexen Idee fixiert und stabilisiert sie. Erst dadurch werden Ideenkombinationen als Einheiten gedacht, die über ein bloß momentanes Zusammenfassen hinaus Bestand haben. In diesem Sinne ist "der Name gewissermaßen der Knoten, durch den sie fest zusammengehalten werden" (III, 5.10). Erst durch Sprache konstituiert sich die Gegenständlichkeit unserer allgemeinen Erkenntnis. Wörter repräsentieren nicht nur Ideen, sie konstituieren sie auch. Namen komplexer Ideen übernehmen damit in gewisser Hinsicht die üblicherweise den Substanzen zugesprochene Trägerfunktion. Die Ideen haften am Laut wie in der traditionellen Metaphysik die Eigenschaften an der Substanz. Wörter sind Zeichen und setzen Gegenständlichkeit. In diesem Sinn repräsentiert und schafft die Sprache die Wirklichkeit. Lockes Hauptthese läßt sich nun durch folgenden Zusatz weiter präzisieren:

[...] Im Falle einfacher Ideen werden diese durch Wörter repräsentiert. Für einen Großteil komplexer Ideen gilt jedoch, daß sie durch die Benennung nicht nur >vertreten<, sondern erst als Einheit gedacht und anderen mitgeteilt werden. Wörter übernehmen hinsichtlich unserer komplexen Ideen eine wichtige Gestaltfunktion.

 

5. Die Unvollkommenheit der Sprache

Die Sprache ist jedoch kein unproblematisches Werkzeug, sondern sie ist vielmehr in vieler Hinsicht unvollkommen. Locke sieht zwei Hauptgründe dafür: Zum einen sind es natürliche Ursachen, zum anderen ist es der Mensch selbst, der mit diesem Werkzeug nicht zu Rande kommt oder es für zerstörerische Zwecke mißbraucht.

5.1. Natürliche Ursachen

Unter den >natürlichen Ursachen< für die Unvollkommenheit der Sprache versteht Locke folgendes: "Die Wörter haben von Natur keine Bedeutung, so daß die Idee, die sie vertreten", erlernt werden muß. Dies ist aber

"am schwierigsten da, wo erstens die Ideen, für die sie stehen, sehr komplex und aus einer großen Zahl von Ideen gebildet sind, die man vereinigt hat; zweitens die Ideen, für die sie stehen, in der Natur keine feste Verbindung (certain connection) haben und damit auch keinen irgendwo in der Natur existierenden sicheren Maßstab (settled standard) besitzen, an dem sie gemessen und nach dem sie ausgerichtet werden könnten; sich drittens die Bedeutung zwar auf einen Maßstab bezieht, dieser aber nicht leicht zu erkennen ist; viertens die Bedeutung des Wortes und die tatsächliche Wesenheit (essence) des Dinges nicht genau übereinstimmen" (III, 9.5).

Mit anderen Worten: Wenn die Ideen sehr komplex sind, und wenn kein Maßstab in der Natur für sie vorhanden ist, und wenn dieser Maßstab schwer erkennbar ist, und wenn schließlich die Idee mit dem tatsächlichen Wesen des Gegenstandes nicht übereinstimmt, dann ist die Bedeutung der Wörter zweifelhaft. Die Namen der gemischten Modi sind zumeist aus den beiden erstgenannten Gründen dunkel, die Namen der Substanzen sind es aus den beiden letztgenannten.

Zunächst zu den Modi. Ethische Begriffe, die – wie schon mehrfach erwähnt, nach Locke - zu den gemischten Modi gehören, sind oft sehr komplex (erste >natürliche< Schwierigkeit), und es gibt für sie in der Natur keinen Maßstab (zweite >natürliche< Schwierigkeit):

"Was die Wörter >Mord< oder >Kirchenraub< usw. bedeuten, ist niemals aus den Dingen selbst zu erkennen; treten doch viele von den Bestandteilen jener komplexen Ideen bei der Tat selbst gar nicht in Erscheinung (not visible). Die Absicht (intention) des Geistes oder die Beziehung auf heilige Dinge, die einen Teil des Mordes oder des Kirchenraubes bilden, haben keinen notwendigen Zusammenhang (necessary connexion) mit der äußerlich sichtbaren Tat (visible action) dessen, der eines der beiden Verbrechen begeht. In dem Handgriff des Auslösens der Mordwaffe, mit der der Mord ausgeführt wurde, besteht vielleicht die gesamte sichtbare Tätigkeit. Dieser Handgriff hat aber keinen natürlichen Zusammenhang (natural connexion) mit jenen anderen Ideen, die die komplexe Idee, die als Mord bezeichnet wird, ausmachen" (III, 9.7).

Schließlich trägt auch noch die Art, wie ethische Begriffe erlernt werden, zu ihrer Vagheit bei: Versucht man, Kindern die Namen einfacher Ideen oder Substanzen begreiflich zu machen, so zeigt man ihnen gewöhnlich einen Gegenstand. Dann wird der Name wiederholt, der das Ding bezeichnet, zum Beispiel >weiß<, >süß<, >Milch<, >Zucker<, >Katze<, >Hund<.

"Bei den gemischten Modi aber, vor allem bei den wichtigsten unter ihnen, bei den moralischen Begriffen (moral words), werden gewöhnlich zuerst die Laute erlernt; wenn die Kinder dann erfahren wollen, welche komplexen Ideen damit bezeichnet werden, so sind sie entweder auf die Erklärungen (explications) anderer angewiesen oder (was meist der Fall ist) ihrer eigenen Beobachtung (observation) und Lernbegierde (industry) überlassen" (III, 9.9).

Diese Schwierigkeiten sind teilweise zu beheben, falls Locke recht hat, daß komplexe Ideen letztlich in einfache zerlegt werden können; dann wird eben versucht, die einfachen Ideen und die Wörter, die sie vertreten, zu vermitteln. Aber die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, daß es keinen >natürlichen< Maßstab für Modi gibt, ist aber nicht zu beheben.

Nun zu den Substanzen. Die meisten Substanznamen beziehen sich im Gegensatz zu den frei geschaffenen gemischten Modi auf vorhandene Muster. Dieses Muster ist die Ordnung, in der die einfachen Ideen auftreten. Nun ist die Weise, wie einfache Ideen auftreten, oft recht schwankend. Im Gegensatz zu früheren Ausführungen, in denen Locke gerade die Kontinuität der einfachen Ideen betont hatte, um nämlich ihren Realitätsbezug zu begründen, fordert er nun seine Leser auf, einmal zu beobachten, "welchen überaus mannigfaltigen Veränderungen irgendeines der unedlen Metalle allein schon unter der verschiedenen Anwendung des Feuers unterworfen ist". Es kann daher

"gar nicht anders sein, als daß die verschiedenen Menschen unwillkürlich verschiedene Ideen von derselben Substanz haben und die Bedeutung ihres allgemein gebräuchlichen Namens aus diesem Grunde sehr schwankend und unsicher wird" (III, 9.13).

Neben der Tatsache, dass selbst die einfachen Ideen, aus denen sich die komplexen zusammensetzen, sehr schwankend sind, sieht Locke eine zweite >natürliche< Schwierigkeit, Substanznamen betreffend, in folgendem: Viele Substanznamen beziehen sich - im Gegensatz zu den Namen für gemischte Modi - auf vorhandene Muster. Die Bedeutung der Wörter wird also hier letztlich durch die Dinge selbst reguliert. Aber die Bedeutung von Wörtern

"muß notwendigerweise schwankend und wechselnd sein, wenn sich die entsprechenden Ideen auf Muster beziehen, die außer uns bestehen (standards without us) und entweder überhaupt nicht oder nur unvollkommen und unsicher zu erkennen sind" (III, 9.11).

Zumindest diese letztgenannte Schwierigkeit ist Locke zufolge nicht zu beheben, da die Natur der Dinge, gemeint: das den Mustern letztlich Zugrundeliegende, uns nicht zugänglich ist.

5.2. Der absichtliche Missbrauch

Neben diesen natürlichen Schwierigkeiten, den Gebrauch der Wörter betreffend, machen sich Menschen auch noch verschiedener Mißbräuche der Sprache schuldig. Locke nennt deren sechs:

(a) Wir verwenden Wörter oft ohne klare Ideen. Manche Wörter werden in Umlauf gesetzt, ohne daß selbst bei ihrer Neubildung klare Ideen mit ihnen verbunden wären. Locke sieht dafür wiederum mehrere Motive: das Streben nach Bewunderung, das man sich durch den Gebrauch unverständlicher Ausdrücke erwerben kann ("Diese unverständlichen Ausdrücke eigneten sich um so eher dazu, Staunen zu erregen, als man sie eben nicht verstehen konnte" (III, 10.8)); die Stützung >seltsamer Ansichten< oder der Wunsch, >eine Schwachstelle in der Argumentation< zu verdecken (Die "großen Prägemeister dieser Art von Ausdrücken" sind "Schulgelehrte und Metaphysiker" (III, 10.2)). Aber es gibt zudem einen gesellschaftlichen Druck, der den Gebrauch "von leerem, unverständlichem Schall und Phrasen" (III, 10.4) fördert:

"Die Menschen greifen die Wörter auf, die ihre Nachbarn verwenden; damit es nicht so scheint, als wüßten sie nicht, was die Wörter bezeichnen, verwenden sie sie zuversichtlich, ohne sich viel Kopfzerbrechen zu bereiten, welcher festgesetzte, genaue Sinn (meaning) ihnen zukommt. Daraus entspringt außer der Bequemlichkeit des Verfahrens noch der Vorteil, daß sie zwar einerseits bei solchen Auseinandersetzungen selten im Recht sind, andererseits aber ebenso selten davon überzeugt werden können, daß sie unrecht haben. Denn wenn man Menschen ohne feste Begriffe (settled notions) von ihren Irrtümern zu befreien versucht, so bedeutet es dasselbe, als ob man einen Landstreicher ohne festen Wohnsitz aus seiner Behausung ausweisen wollte" (III, 10.4).

(b) Wir verwenden dasselbe Wort mit verschiedenen Bedeutungen. Locke meint, daß dies eine schlimmere Unehrlichkeit ist "als die falsche Gruppierung von Zahlen beim Zusammenzählen einer Schuld" (III, 10.5).

(c) Vor allem Philosophen halten Wörter künstlich dunkel. "Ein weiterer Mißbrauch der Sprache ist eine erkünstelte Dunkelheit (affected obscurity), die dadurch hervorgerufen wird, daß man entweder alte Wörter in einer neuen, ungebräuchlichen Bedeutung verwendet oder neue und mehrdeutige Ausdrücke einführt, ohne sie in einem dieser Fälle entsprechend zu definieren" (III, 10.6). Die Ursachen dafür sieht Locke in dem "Mißstand", daß "Begabung und Gelehrsamkeit eines Menschen nach seinem Geschick im Disputieren eingeschätzt werden" (III, 10.7). Und das Ergebnis sieht dann so aus: Es gibt

"keinen besseren Weg, seltsame und absurde Lehren einzuführen und zu verteidigen als den, sie mit einer Unzahl dunkler, zweifelhafter und undefinierter Wörter wie mit einem Schutzwall zu umgeben. Freilich gleichen diese Rückzugsstätten dann eher Räuberhöhlen oder Fuchsbauten als Festungen ehrlicher Krieger, denn die Schwierigkeit, die Insassen daraus hervorzulocken, ist nicht etwa in ihrer eigenen Festigkeit zu sehen, sondern vielmehr durch das Gestrüpp der Dornen und die Dunkelheit des Dickichts bedingt, von dem sie umgeben sind. Denn da die Unwahrheit für den menschlichen Geist nicht akzeptabel ist, so bleibt für das Ungereimte kein anderer Schutz als die Dunkelheit" (III, 10.9).

(d) Wir verwechseln Wörter mit den Dingen. Dieser

"arge Mißbrauch der Wörter besteht darin, daß man sie für die Dinge ansieht. Dies trifft bis zu einem gewissen Grade für alle Namen überhaupt zu; ganz besonders aber gilt es für die Substanznamen. Diesem Mißbrauch verfallen am leichtesten solche Personen, die ihre Gedanken am entschiedensten auf ein bestimmtes System einschränken [...] Dadurch gelangen sie zu der Überzeugung, die Terminologie (terms) der betreffenden Schule entspräche so genau der Natur der Dinge, daß sie mit deren realer Existenz vollkommen übereinstimme" (III, 10.14).

Aber Wörter bezeichnen "eigentlich und unmittelbar nur die im Geist des Sprechenden vorhandenen Ideen" (III, 2.4).

(e) Wir nehmen an, daß Wörter Dinge bezeichnen, die sie in Wirklichkeit gar nicht bezeichnen können. Locke meint hier, daß wir >häufig stillschweigend< voraussetzen, daß Substanznamen sich auf die reale Wesenheit der Dinge beziehen. Aber tatsächlich bezieht sich ein Satz wie >Gold ist dehnbar< unmittelbar nur auf meine abstrakte Idee von Gold, die mit den abstrakten Ideen von Gold anderer Menschen übereinstimmen und auch in der Wirklichkeit verankert sein mag. Aber der Satz bezieht sich unmittelbar auf keine reale Wesenheit der Dinge, wie häufig angenommen wird (cf. III, 10.17), sondern eben nur auf meine Idee davon.

(f) Wir setzen voraus, daß die uns gebräuchlichen Wörter eine feste und offenkundige Bedeutung haben, die andere unmöglich mißverstehen können.

"Dieser Mißbrauch, die Wörter auf Treu und Glauben hinzunehmen, ist nirgends so weit verbreitet und hat nirgends so üble Folgen gehabt wie unter den Gelehrten" (III, 10.22).

Wörter, so könnte man diese Ausführungen Lockes bezüglich der Unvollkommenheit der Sprache zusammenfassen, sind nützliche Diener, aber schlechte Herren. Ideen ohne Namen sind wie lose Bögen ohne Titel und Einband; aber Namen ohne Ideen sind wie Buchtitel ohne Kenntnis des Inhalts.

5.3. Mittel gegen den Mißbrauch der Sprache

Da die Sprache "das große Band" ist, "das die Gesellschaft zusammenhält", verdient "die Frage, welche Mittel sich finden lassen, um den oben erwähnten Übelständen abzuhelfen, unser ernstlichstes Nachdenken" (III, 11.1). Da Locke sich zwar eine Sprache ohne Gesellschaft, aber keine menschliche Gesellschaft ohne Sprache vorstellen kann, empfiehlt er die Befolgung folgender fünf Regeln:

(a’) "Man achte darauf, daß man kein Wort ohne Bedeutung (no word without signification), keinen Namen ohne eine Idee gebraucht, für die der Name steht" (III, 11.8).

(b’) Man verknüpfe deutliche, bestimmte Ideen mit den Wörtern, besonders bei den gemischten Modi. Denn "diese erscheinen leicht unklar, weil ihnen in der Natur kein Objekt entspricht (having no settled objects in nature), das als Ursprung ihrer Ideen gelten kann" (III, 11.9). Bei

"Namen von Substanzen ist für ihren richtigen Gebrauch noch etwas mehr erforderlich als nur bestimmte (determined) Ideen. Bei ihnen müssen die Namen auch den Dingen, wie sie existieren, entsprechen (conformable to things)".

Dies ist zumindest für philosophische Erörterungen wichtig. Für

"gewöhnliche Unterhaltungen passen gewöhnliche Begriffe. Mögen beide auch noch so verworren sein, so reichen sie doch immerhin für Markt und Kirchweih aus" (III, 11.10).

(c’) Man wende die Wörter auf jene Ideen an, mit denen sie der herrschende Sprachgebrauch verknüpft hat. Denn Wörter sollen der Kommunikation dienen und sind

"namentlich in den voll ausgebildeten Sprachen nicht Privatbesitz (private possession) eines einzelnen, sondern das gemeinsame Maß (common measure) für den gegenseitigen Verkehr (commerce) und Austausch (communication); daher steht es durchaus nicht jedem frei, die Prägung (stamp), mit der sie von Hand zu Hand gehen, abzuändern; auch kann nicht jeder die Ideen, mit denen sie verbunden sind, wechseln" (III, 11.11).

Allerdings reicht der Sprachgebrauch oder die >Sprachrichtigkeit< nicht aus, die Bedeutung eines Wortes klar festzulegen. Sich an ihm zu orientieren, genügt zwar für das tägliche Leben, nicht aber für die Philosophie:

"Gibt es doch kaum einen Namen für eine sehr komplexe Idee (von den anderen gar nicht zu reden), der nicht im geltenden Sprachgebrauch (common use) ein weites Gebiet umfaßte und innerhalb der Grenzen des Sprachrichtigen (propriety) zum Zeichen (sign) sehr verschiedener Ideen gemacht werden konnte [...] Obwohl die Namen >Ruhm< und >Dankbarkeit< innerhalb eines Landes in aller Munde die gleichen sind, so ist dennoch die komplexe Sammelidee (collective idea), die jeder einzelne bei diesen Namen im Sinn hat oder ausdrücken will, selbst bei Leuten, die die gleiche Sprache sprechen, offenbar sehr verschieden" (III, 9.8).

(d') Man erkläre die Bedeutung, in der man die Wörter gebraucht. Bei einfachen Ideen entweder durch synonyme Ausdrücke oder durch Aufweis entsprechender Wahrnehmungssituationen, indem man also "auf seine Sinne den Gegenstand einwirken läßt (present to his senses that subject), der in seinem Geist die Idee erzeugen kann" (III, 1I.14). Gemischte Modi klärt man durch Definitionen. Da es sich bei ihnen um menschliche Schöpfungen handelt,

"kann die Bedeutung ihrer Namen, wie das bei einfachen Ideen geschieht, nicht durch Anschauung (by shewing) vermittelt werden. Dafür lassen sie sich jedoch erschöpfend und genau definieren [...]. Aus diesem Grunde bin auch ich kühn genug zu glauben, daß sich die Moral ebenso beweisen lasse (capable of demonstration) wie die Mathematik" (III, 11.15 f).

Bei Substanznamen geschieht die Klärung schließlich sowohl durch Demonstrieren als auch durch Definieren (cf. III, 11.19). Locke plädiert hier für die Schaffung eines Wörterbuches mit Bildern.

(e') Man verwende dieselben Wörter immer in demselben Sinne.

Befolgte man diese fünf Regeln, so könnten laut Locke "viele Werke der Philosophen (von anderen gar nicht zu reden) und Dichter in einer Nußschale untergebracht werden" (III, 11.26).


6. Kritische Würdigung

Lockes Essay concerning Human Understanding findet zumal im englischen Sprachraum gebührende Beachtung. Obwohl die verschiedenen Interpreten Lockes in Detailanalysen oft zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, besteht in einem Punkt Einmütigkeit: Die Erkenntnistheorie des englischen Empiristen ist eine bemerkenswerte Mischung aus großem Tiefsinn und Leichtsinn. Dies gilt auch für seine Sprachphilosophie. Inmitten von recht viel taubem Gestein findet sich eine höchst interessante, subtile Theorie der menschlichen Sprache, für die nicht zuletzt spricht, daß sie zu einer Reihe von Diskussionspunkten Anlaß gab (und gibt). Ich erwähne drei:

(a) Lockes Ausführungen über den Realitätsbezug der Ideen legen manchmal die Interpretation nahe, daß die These von der Priorität einfacher Sinneseindrücke nicht nur als logische, sondern auch als psychologische Theorie zu verstehen sei, konkret: daß nach Locke Kinder zunächst einmal einfache Ideen erfahren und dann lernen, sie zu komplexeren Ideen zusammenzufassen. Diese psychologische Theorie ist aber kaum haltbar, aber Locke hat sie auch gar nicht eindeutig vertreten. So schreibt er etwa, daß wir komplexe Ideen auch durch die Beobachtung komplexer Aktivitäten lernen: Wir erlangen "die Idee des Ringens oder Fechtens, wenn wir zwei Menschen ringen oder fechten sehen" (II, 22.9).

(b) Lockes Abstraktionstheorie wirft folgende Frage auf. Das Weiß der Milch ist nicht gleich dem Weiß des Schnees oder dem Weiß der Kreide. Die Farben sind einander bloß ähnlich. Was aber bedeutet: >a ist ähnlich b<? Das kann doch nur bedeuten: >a ist ähnlich b in bezug auf das Weiße<. Bedeutet dies aber nicht, daß der Betrachter, wenn er im Ähnlichen das Gleiche erkennt, bereits einen Begriff von dem Gleichen haben muß? Wenn er also die verschiedenen Schattierungen von Weiß als >weiß< erkennt, bereits eine Idee von dem >Weißen< hat? Ist nun >das Weiße< eine allgemeine Idee, so ist sie nicht, wie Locke angenommen hatte, durch einen Abstraktionsprozeß gewonnen, vielmehr Voraussetzung, damit das Gemeinsame der verschiedenen Weißschattierungen als solches erkannt werden kann. Locke würde auf diesen Einwand wahrscheinlich antworten, daß unser Wahrnehmungsapparat eben so beschaffen ist, daß er faktisch bloß Ähnliches, sofern es sehr ähnlich ist, als gleich erlebt. Dieses als gleich Erlebte wird als Gemeinsames verschiedener Dinge abstrahiert und benannt.

(c) Interessanterweise bezieht Locke seine Ausführungen über die Realität einfacher Ideen nur auf die Existenz einer materiellen Außenwelt, nicht aber auf die Existenz anderer Menschen. Seine Analysen sind aber wohl so zu interpretieren, daß die Annahme der Existenz anderer Menschen ebenfalls gewußt wird, da die einfachen Ideen davon berichten, daß es Menschen gibt. In diese hineinschauen können wir allerdings nicht, da einfache Ideen dies nicht zu leisten imstande sind. Sie verbleiben an der >Oberfläche<. Die Ideen anderer sind den eigenen Blicken entzogen. Damit taucht aber folgendes Verstehensproblem auf: Da die Wörter sich nur auf Ideen im Geiste des Sprechenden beziehen, somit an jedem Wort ein möglicherweise sehr großes Stück rein subjektiver Bedeutung klebt, und Menschen die Ideen anderer nicht zugänglich sind, bleibt die Frage stets offen, ob wir einander überhaupt verstehen. Auf diese Schwierigkeit würde Locke wahrscheinlich antworten, daß alle komplexen Ideen in einfache zerlegt werden können und auf der Ebene einfacher Ideen eine Verständigung mit Gewißheit möglich ist. Ist aber dafür nicht wiederum ein Vorverständnis nötig – ein Vorverständnis, das aus der Welt der einfachen Ideen gerade nicht abstrahierbar ist? Etwa das Wissen, daß das Nicken mit dem Kopf >ja< und das Hinweisen auf einen Gegenstand das Hinweisen auf einen Gegenstand und nicht bloß das Ausstrecken des Fingers bedeutet?

Das entscheidende Argument gegen Lockes Sprachphilosophie lautete jedoch, daß sich Wörter unmittelbar sehr wohl auf Dinge selbst (und nicht auf Ideen) beziehen. Ob diese Kritik zutreffend ist, kann hier nicht diskutiert werden. Es sei jedoch abschließend darauf verwiesen, daß Locke in vielem sehr originell war, nicht aber, als er behauptete, daß Wörter sich unmittelbar nur auf Ideen bezögen. Diese These findet sich nämlich bereits bei einem anderen großen Philosophen: bei Aristoteles in dessen De interpretatione (16 a 3).

 

7. Literatur in Auswahl

7.1. Zitatausgaben

John Locke 51985, Essay concerning Human Understanding, Nidditch (Hg.). Die deutsche Übersetzung von Carl Winckler (1911, 1913) ist ziemlich antiquiert, aber noch brauchbar. Sie liegt in einer neueren Ausgabe (2000, 2004) vor.

7.2. Sekundärliteratur

Aaron, John Locke, 31965.

Arndt 1979, John Locke: Die Funktion der Sprache, in: Grundprobleme der großen Philosophen.

Ashworth 1981, Do words signify ideas or things? The scholastic sources of Locke’s theory of language, in: Journal of the History of Philosophy 19.

Kretzmann 1968, The main thesis of Locke’s semantic theory, in: Philosophical Review 77.

Landesmann 1976, Locke’s theory of meaning, in: Journal of the History of Philosophy 14.

Mackie 1974, Locke’s anticipation of Kripke, in: Analysis 34.

Odegard 1970, Locke and the signification of words, in: Locke Newsletter 1.

Gerhard Streminger, Graz



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