Rezension zu:


Gerhard Streminger: David Hume. Sein Leben und sein Werk. Paderborn: Ferdinand Schöningh 1994, 715 S., DM 98,-.

In: Politische Vierteljahresschrift Nr. 2/1996

Udo Bermbach


In Deutschland zählen die großen Systemdenker. Für die Rezeption vor allem des politischen Denkens von Hume ist dies von jeher eine entscheidende Barriere gewesen, denn Humes politik- und gesellschaftstheoretische Überlegungen, die sich weithin in den Essays formuliert finden, haben sich stets an konkreten Fragen und aktuellen Problemen entzündet und gehen nicht in einem System auf, obgleich sie durchaus systematisch konzipiert sind. Das mag erklären, weshalb Hume im ideenhistorischen Diskurs nicht jene Präsenz fährt, die ihm eigentlich zukommt.

Schon seit Jahren bemüht sich Streminger in zahlreichen Arbeiten, Gerechtigkeit für Hume einzufordern. Mit der hier vorgelegten Biographie, seinem opus magnum, ist ihm ein großer Wurf gelungen. Mit einer akribischen Genauigkeit, die selten geworden ist, beschreibt er das Leben des 'guten David', den schon die Zeitgenossen für einen ganz außergewöhnlich, weil moralisch lebenden Menschen hielten. Schritt für Schritt entfaltet er die Stationen dieses Lebens, das ebenso reich an Wechselfällen wie an konsequenter Verfolgung der einmal gefaßten philosophischen Überzeugungen war. In einer knappen Skizze zeichnet Streminger eingangs den historischen Hintergrund Schottlands, verweist auf die damals herrschende Armut, die sich mit calvinistischem Fanatismus paarte. Die Szene der Kindheit von Hume ist überschattet von diesem die Menschen einschüchternden Glauben, und durchgängig kontrastiert der Autor den religiösen Fanatismus mit Humes sich allmählich entwickelndem, dann aber stabil bleibendem Atheismus. Die persönlichen Motive des großen Skeptikers und Religionskritikers werden hier bloßgelegt und wachgehalten, und in der Ausmalung des Schlußbildes, das Humes heiteres Sterben schildert, findet dieser Zug der Biographie seine hagiographe Erfüllung.

Es ist unmöglich, im hier gegebenen Rahmen den einzelnen Stationen dieser Biographie genauer nachzugehen. Geschildert wird Humes Leben, seine Kindheit und Jugend, seine Wanderschaften wie seine Rückkünfte in die Heimat, seine beiden vergeblichen Versuche, eine Professur zu erhalten, seine diplomatischen Missionen, seine vielen Begegnungen mit berühmten Zeitgenossen, worunter die desaströse Begegnung mit Rousseau einen besonderen Platz einnimmt, wie schließlich seine letzten Jahre, die Freundschaft mit Adam Smith, der bewußte und heiter hingenommene Tod. In die genaue Schilderung dieser Lebensabschnitte hat Streminger jeweils Berichte über das Entstehen und den Inhalt der Werke Humes eingeblendet, und dies in einer Sprache, die auch dem philosophisch nicht übermäßig vorgebildeten Leser einsichtig klarlegt, um welche Probleme es geht.

Wie überhaupt die Sprache, in dem diese voluminöse Biographie verfaßt ist, überrascht und erfreut. Denn das Buch liest sich wie ein Roman, es ist von unprätentiöser Erdennähe, beschreibt das Leben und die Lebenswelt, vermittelt schwierige philosophische Fragen auf eine Art, daß es Spaß macht, sich damit zu beschäftigen. Und es ist in einem Stil gehalten, der Hume als gleichsam lebenden Zeitgenossen präsentiert: seine Philosophie, vor allem seine Religionskritik versteht der Verfasser als nach wie vor aktuell, und indem er das Werk Humes aus dessen Leben herauswachsen läßt, die biographischen Motive des Denkens offenlegt, läßt er in jeder Zeile spüren, wie sehr ihn diese Verbindung selbst berührt. So ist dieser Biographie durchgängig anzumerken, daß der Verfasser sich mit dem, was er beschreibt und vorträgt, in hohem Grade identifiziert, daß ihm Hume menschlich wie philosophisch ein Vorbild ist. Es ist ein ungewöhnlich engagiertes Buch, das da entstanden ist, und doch keines, das unter ärgerlichem Distanzverlust leidet. Aber der Autor nimmt Partei für seinen Gegenstand und das berührt sympathisch.

Ein großes Buch gewiß, aber zugleich auch ein Buch mit Schwächen. Streminger verzichtet auf manches, was man bei einer so umfangreichen Biographie dann doch erwarten würde: auf die Kontexteinbettung von Hume, auf philosophisch-geschichtliche Verweisungen und schließlich auch auf stärkere Systematisierung bei der Wiedergabe und Auseinandersetzung mit den Werken. So werden, um ein Beispiel zu geben, die Essays, Moral and Political einzeln inhaltlich wiedergegeben (226 ff.), aber es wird keinerlei Versuch unternommen, die zentralen konzeptionellen Überlegungen, die in diesen Essays impliziert sind, an irgend einer Stelle des Buches zusammenzufassen. Geschrieben von jemandem, der – wie Streminger meint – "sich mit den wichtigsten Ideen seiner Zeit unparteiisch und doch nicht unbeteiligt; wohlausgewogen und doch nicht unverbindlich beschäftigt hat" (227), erfährt der Leser nichts über den inneren Zusammenhang dieser Essays, sie erscheinen ihm als eine Sammlung von Überlegungen und Gedanken zu unterschiedlichen, miteinander nicht unbedingt verbundenen Themen. Und dieses Defizit ist unter systematischen Gesichtspunkten – in mancherlei Hinsicht leider spürbar. So etwa dann, wenn trotz der genauen und detailreichen Schilderung schottischer Zustände nicht eigentlich klar wird, was denn die Leistungen der 'schottischen Moralphilosophen', allen voran die Leistungen eines Hume, für die Modernisierung des Landes im 18. Jahrhundert bedeuteten. Hier hätte man sich einen stärkeren systematischen Zugriff gewünscht, der den Stellenwert Humes sowohl für die Philosophiegeschichte wie für die Geschichte des politischen Denkens genauer bezeichnet, der klarlegt, wie stark Hume darauf bedacht war, in seinem Denken gegen alle Extreme und für eine sich evolutionär entwickelnde 'Normallage' der Gesellschaft und der Politik zu votieren. Aber gleichwohl bleibt die Leistung Stremingers bewundernswert.