Tages-Anzeiger Zürich vom 17.02.1995 Wider die Betonköpfe Gottes Gerhard Stremingers Rückblick auf Leben und Werk des schottischen Philosophen David Hume
Vielleicht wäre die deutsche Philosophie heute tatsächlich besser dran, wenn sie sich eingehender mit David Hume (1711-1776) beschäftigt hätte. Zwischen Wissenschaft und Quacksalberei sah der schottische Skeptiker nur graduelle Unterschiede, seine Religionskritik brachte ihn auf die Abschusslisten aller Kirchen Grossbritanniens. Hume war, wie das die grosse Biographie von Gerhard Streminger verdeutlicht, ein Aufklärer, weil er der Aufklärung ihre Grenzen zeigte. VON ROGER KÖPPEL Mit der Wucht des Schicksals entlud sich noch im 18. Jahrhundert der Zorn des Herrn über jenen, die sich den Wahrheiten der Kanzel nicht mehr länger beugen mochten. Mündigen Denkern wurde mit dem Kirchenbann gedroht, ihre Bücher verschwanden auf den schwarzen Listen der christlichen Orthodoxie. Niemand war vor den Bluthunden Gottes sicher, schon gar nicht die Philosophen und am wenigsten die schöne Kunst. «Schauspieler», meinte ein Prediger, der es wissen musste, um 1760, «sind die verworfensten Lumpen und das niederträchtigste Ungeziefer, das die Hölle jemals ausgespien hat, der Schmutz und Abfall der Erde, die Exkremente und der Dreck der gesamten Menschheit, die verworfensten Bösewichter, die jemals von der Sonne beschienen wurden.» Nur selten fand Reverend John Haldane in seiner seelsorgerischen Lebenspraxis zu solch erschütternder Offenheit. Sein Verdikt darf als repräsentativ angesehen werden für das eisige Klima, das der kritischen Intelligenz damals entgegenwehte. Wurzelbehandlungen Als David Hume am 7. Mai 1711 in Edinburgh zur Welt kam, hatte das neuzeitliche Europa das Schlimmste langsam hinter sich. Die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts hatten in manchen Gebieten 40 bis 70 Prozent der Bevölkerung ausradiert. Allein in Schottland. wurden innert 250 Jahren 17 000 Menschen umgebracht, weil man sie satanischer Praktiken verdächtigt, manchmal überführt, im Zweifelsfall (also immer) entwürdigt, gefoltert und verheizt hatte. Auf Anordnung staatlicher Gerichte sahen sich auch in Frankreich die Ketzer «vom Leben zum Tode befördert». Im schottischen Hochland verbrannte die letzte Hexe vier Jahre vor Humes Tod, während die calvinistische Landeskirche ihre- Kundschaft weiterhin mit der Aussicht auf ewige Verdammnis an der kurzen Leine hielt. Es bedarf keiner weitreichenden Kenntnis philosophischer Denkart, um die Wut zu verstehen, die einen selbstbewussten Geist angesichts dieses pseudoreligiösen Wahnsinns packen musste. Zeit seines Lebens bekämpfte David Hume die Giftmischer des Glaubens und der Schwärmerei, zeitlebens wurde er Opfer ihrer Anfeindungen. Noch in seinen letzten Lebensjahren bekam er es mit einem ganz eifrigen Gottesmann zu tun. Wie vor ihm William Warburton, der Bischof von Gloucester, wollte auch der Oxforder Professor James Beattie seinen Hume «bei den Wurzeln abschneiden». Machtmechanismen der Religion Was die Kirchenväter an Hume irritieren musste, war die unaufdringliche Schärfe seiner Argumentation. Schon seinem frühen Hauptwerk «Treatise of Human Nature» (1739/40) hatte er als Ziel die Absicht vorangestellt, das menschliche Wissen auf ein sicheres Fundament zu stellen, um Aberglaube, Religion und Metaphysik endlich aus der Welt zu schaffen. An der Religion störte ihn nicht so sehr ihre nützliche Funktion als Trostspender im Leben der Menschen. Hume kritisierte die Auswüchse, die jede Form institutionalisierter Glaubensausübung unvermeidlich nach sich zieht. Religiöser Eifer bereite Elend und sei ein Quell beständiger Sorge und anhaltenden Kummers, schrieb er im Aufsatz «Of Suicide» 1757. Nur die Philosophie, das methodische Denken, könne den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit herausführen. Hinter Humes Diagnosen formierte sich unverkennbar der wertfreie Blick des Soziologen: Im Grunde ging es dem Autor darum, die Mechanismen zu enttarnen, die die Pseudowissenschaften zu einem Instrument zynisch verübter Herrschaft werden liessen. Die Geburt der philosophischen Skepsis aus dem Fanatismus der andern – diesen Strang im Denken des für den angelsächsischen Pragmatismus entscheidenden Schriftstellers, hat der Grazer Hume-Experte Gerhard Streminger umfassend aufgearbeitet. Seine hervorragende Biographie, ein Standardwerk, verdichtet die Lebensdaten und Texte Humes zum Reliefbild einer Aufklärung, die, zu Hause verschmäht, auf ganz Europa ausstrahlte. Vor allem in den Salons von Paris regte sich frühe Anerkennung. Diderot gehörte zu den persönlichen Freunden und Förderern Humes ebenso wie d'Alembert und Turgot. Bei einer Frankreichreise wurde David Hume wie ein Bestsellerautor herumgereicht, wobei seine Beliebtheit in einer höchst romantischen Liaison mit einer Gräfin gipfelte, die sich dem Philosophen wiederholt «als schwaches Gewächs» zu erkennen gab. Die Beziehung endete unglücklich, da die Comtesse am Ende sich doch nicht von ihren andern beiden Männern trennen mochte. Existiert die Aussenwelt? So umschwärmt Hume in manchen Teilen Europas war, so umstritten blieb er wegen seiner radikalen Ansätze und der Gelassenheit. mit der er sie vortrug. Seine Philosophie beruhte auf der simplen Einsicht, dass man nicht erörtern sollte, worüber uns die Sinne keinen Aufschluss geben. Spekulationen über das Sein und das Absolute, das Wesen der Dinge und die Vernünftigkeit des Schöpfungsplans hielt er für verstiegen, da wir doch nicht einmal mit Sicherheit sagen können, ob die Aussenwelt tatsächlich existiert, also ein dem menschlichen Bewusstsein gegenüber unabhängiges Dasein aufweist. Humes Skeptizismus ging so weit, dass er sogar die Identität des Ich anzweifelte. Was man seit der deutschen Bewusstseinsphilosophie gemeinhin als Subjekt bezeichnet, ist für Hume nur ein Bündel wechselhafter Wahrnehmungen, unbeständig, flatterhaft, eine Fiktion, zwar lebensnotwendig, aber für die Wissenschaft, da unergründlich, nicht weiter von Bedeutung. Der Einblick in die Brüchigkeit unserer Erkenntnis führte Hume insgesamt zu einer Absage an die bornierten Vernünfteleien der Frühaufklärung. Im Haushalt des Lebens seien die Leidenschaften bestimmend und nicht die logischen Operationen des Verstandes, argumentierte er in der brillant geschriebenen «Enquiry Concerning Human Understanding» (1748). Damit stellte er die herrschenden Lehrmeinungen von Descartes bis Leibniz auf den Kopf – mit Folgen: Wer die Vernunft als Sklavin von Begehrlichkeiten fasste, musste, diesem Irrtum verfielen auch spätere Theoretiker, unter Verdacht geraten, einem schicksalsergebenen Irrationalismus das Wort zu reden. Bescheidenheit Es gehört zu den grössten Qualitäten von Stremingers Studie, dass sie diesen Trugschluss deutlich von sich weist. Hinter Humes Attacken auf die Selbstüberschätzung der menschlichen Vernunft, die im Grunde nur ein Pendant zum mittelalterlichen Aberglauben darstellt, steckt nicht die Lust an der Demontage, sondern der Anspruch, bescheidenere Gewissheiten dingfest zu machen. Als Ursprung dieser Gewissheiten freilich kann laut Hume niemals die unbefleckte Vernunft in Frage kommen, weil unsere Überzeugungen immer schon durch Sinneserfahrung und Gewohnheit, nicht aber durch rationale Schlüsse erzeugt werden. Der Mensch, so seine These, geht mit einer Reihe von natürlichen Alltagsweisheiten durchs Leben, weil die Wahrheit höchstens als Wahrscheinlichkeit zu haben ist. Humes Philosophieren lässt sich so gesehen auch auf der Ebene seiner Erkenntnispsychologie als Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus in all seinen Spielarten verstehen. Bis in die hintersten Winkel seiner Ethik trieb der begnadete Schriftsteller diesen Ansatz; natürlich wären ihm Transzendentalhygieniker wie Kant oder Weltgeistliche im Stile Hegels von vorneherein suspekt gewesen. Hume war ein früher Vorbote der Postmoderne, weil er es schon im 18. Jahrhundert vorzog, die Welt angemessen zu beschreiben, statt überspannte Forderungen an sie heranzutragen. Dem grenzenlosen Geschichtsoptimismus eines Hegel setzte er vorwegnehmend die bescheidene Hoffnung auf eine allmähliche Verfeinerung der menschlichen Empfindsamkeit entgegen. Niemals konnte David Hume einsehen, weshalb es für all die Übel in der Weit eine theologische Rechtfertigung geben sollte. Die Philosophie als Tranquilizer – das war das Feindbild, an dem sich sein literarischer Ehrgeiz entfachte. Gerhard Streminger. David Hume. Sein Leben und sein Werk. Schöningh-Verlag, Paderborn, 1994. 715 S.. 98 Franken. |