Rezension


Gerhard Streminger:

David Hume. Sein Leben und sein Werk

2. unveränd. Aufl. Paderborn, München, Wien, Zürich
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1994; ISBN 3-506-78851-5

in "Philosophischer Literaturanzeiger", herausgegeben von G. Wolandt, R. Lüthe und S. Nachtsheim
Band 48, Heft 3, Juli - September 1995, S. 236-238

Rezensiert von Rudolf Lüthe




Der Grazer Hume-Forscher Streminger legt hier das Ergebnis einer zehnjährigen Forschungsarbeit vor: eine detailgenaue Beschreibung des Lebenswegs des schottischen Philosophen und eine Einführung in seine Gedankenwelt. Die die Arbeit prägenden biographischen Teile zeugen nicht nur von großer Sachkenntnis, sondern auch von viel Sympathie für die dargestellte Person; die Einführung in Humes Gedankenwelt vollzieht sich in interpretierenden Inhaltsanalysen aller seiner Schriften.

Das erste von insgesamt 28 Kapiteln schildert ausführlich den "historischen Hintergrund": Schottlands Geschichte von den Frühzeiten bis ins 18. Jahrhundert. Hier wie in der gesamten Darstellung legt Streminger großen Wert auf die Herausarbeitung der besonderen Rolle, die die Religion im Leben und Denken Humes gespielt hat. In äußerst düsteren Farben schildert er das freudlose, calvinistisch geprägte Leben in Humes Heimatort Chimside und den Einfluß von "The Whole Duty of Man" auf den Verlauf der moralischen Selbsterforschung des jungen David.

Vor dem erschreckenden Hintergrund des real existierenden Calvinismus wird verständlich, wieso sich Hume schon früh von dessen Dogmen löste (77). Die Schilderung der Jugend- und Studienzeit liefert nicht nur ein einprägsames Bild der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Edinburgh des frühen 18. Jahrhunderts, sondern auch einen Einblick in die weiteren prägenden Einflüsse: neben einigen Professoren der Universität Edinburgh sind hier vor allem Autoren der (römischen) Antike zu nennen, insbesondere Cicero, Vergil, Horaz und Tacitus (98). Aber auch die entscheidende Vorbildrolle Newtons wird genau beschrieben; ebenso der Beginn lebenslanger Freundschaften mit Allan Ramsay, Henry Home und Michael Ramsay.

Auf der Basis einer eingehenden Analyse des "Letter to a Physician" entwickelt Streminger seine Darstellung des Beginns von Humes eigenständiger Philosophie: Als wesentliche Motive hierfür hebt er die Einsichten hervor, "daß das Bemühen, den eigenen Chrakter nach falschen Tugendidealen zu verformen, die Hauptursache seiner physischen und psychischen Erkrankung war" (114) und daß die Affekte im menschlichen Leben eine wichtigere Rolle spielen als Christen, Stoiker und Rationalisten dies wahrhaben wollen (117).

Es folgen die Beschreibungen des ersten Aufenthalts Humes in Frankreich und der Entstehungsgeschichte des "Treatise". Die Kapitel 6-8 unterbrechen dann die biographische Darstellung und geben auf insgesamt 108 Seiten detaillierte Inhaltsbeschreibungen der drei Bücher des "Treatise" und der "Essays Moral und Political". Diese werden eingeleitet von genauen Berichten zu den Publikationsumständen dieser ersten (anonym erschienenen) Schriften Humes.

In den nächsten Jahren (Kapitel 9-11) verläuft Humes Leben unruhig: Seine Bewerbung um einen Lehrstuhl in Edinburgh scheitert trotz seiner Selbstverleugnung in "A Letter from a Gentleman" an Einsprüchen klerikaler Kreise; seine Mutter stirbt; er durchlebt eine unruhige und frustrierende Zeit als Hauslehrer des geistig umnachteten Marquis of Annandale; er nimmt an einer tragikomischen militärischen Operation im Rahmen des Österreichischen Erbfolgekrieges teil, um schließlich wieder auf dem von seinem Bruder geführten elterlichen Hof "Ninewells" zu landen.

Das elfte Kapitel schildert dann eine weitere Reise Humes, die Gesandtschaftsreise an die Höfe in Wien und Turin. Hier zitiert Streminger ausführlich Humes "Reisejournal" für seinen Bruder John und gibt so einen lebendigen Eindruck von Humes Begegnung mit den Niederlanden, Deutschland und Österreich (291-309).

Inhaltsanalysen der beiden "Enquiries" und der "Three Essays" folgen in den Kapiteln 12-14, entsprechende Darstellungen der "Political Discourses", der "History of England" und der "Four Dissertations" in den Kapiteln 16, 18, 19 und 21. Die Kapitel 15, 17, 20 und 22 schildern dagegen Humes Leben in Edinburgh in den Jahren 1751 bis 1763: Bevor Hume im Jahre 1752 die (schlecht bezahlte) Position eines Bibliothekars am Juristenkolleg in Edinburgh erhält, scheitert seine zweite Bewerbung um eine Professur für Philosophie – diesmal in Glasgow – erneut an klerikalen Einsprüchen. Während seiner Tätigkeit als Bibliothekar arbeitet Hume an seiner "History of England". Er ist aktives Mitglied mehrerer akademischer Gesellschaften in Edinburgh und pflegt enge persönliche Kontakte zu verschiedenen Vertretern der schottischen Aufklärung. In dieser Zeit entwickelt er, wie Streminger im Detail zeigt, ein großes Interesse an den kulturellen Entwicklungen in seinem Heimatland und fördert diese nach Kräften. Dabei ist er nicht immer frei von nationalistischer Blickverengung (467-470).

Eine neue Phase in Humes Leben beginnt mit der Übernahme der Position des Botschaftssekretärs in Paris. Hume erlebt sich – teils mit ungläubigem Staunen – als gesellschaftlicher Mittelpunkt wichtiger Salons in Frankreich und als begehrter Freund einflußreicher Damen der Gesellschaft. Sehr einfühlsam schildert Streminger Humes komplizierte Beziehung zu Mme. de Boufflers (503-509, 522-530) und seine Freundschaften mit d'Alembert, Turgot und Diderot (530-535).

Als Hume 1766 nach England und Schottland zurückkehrt, ist er in Begleitung von Rousseau. Streminger schildert ausführlich den berüchtigten Streit zwischen den beiden berühmten (und gegensätzlichen) Philosophen in Kapitel 27 seiner Biographie. Dabei nimmt er trotz milder Kritik an Humes Verhalten in der Endphase des Konflikts verständlicherweise deutlich Stellung zugunsten Humes.

Die drei vorletzten Kapitel des umfangreichen Buches schildern Humes Tätigkeit als Unterstaatssekretär des Außenministeriums in London, seinen (im wesentlichen ruhigen) Lebensabend in Edinburgh sowie den "Tod eines Philosophen". Das abschließende Kapitel bringt wieder eine Inhaltsanalyse: Es behandelt die "Dialogues conceming Natural Religion", sowie die Essays "Of Suicide" und "Of the Immortality of the Soul".

Einprägsam sind hier vor allem Stremingers Schilderungen von Humes leidvoller Beziehung zu Samuel Johnson und dessen "Parasit" Boswell, die ihm beide mit Mißtrauen und Unbehagen begegneten (600-604), sowie die Analyse der Kritiken von Humes Philosophie aus den Federn von Thomas Reid und James Beattie (589-600). Besonders eindrucksvoll ist aber auch Stremingers Bericht über Humes stoische Gelassenheit angesichts seines nahenden Todes (605-627).

Der Anhang enthält neben dem Siglenverzeichnis "Schriften Humes in chronologischer Reihenfolge", "Zwei neue Briefe Humes" und eine "neu aufgefundene Rezension Humes" in deutscher Übersetzung und französischer (Original)Fassung. Den Abschluß bilden Literaturverzeichnis, Personenregister und Bildnachweise. Der Band ist großzügig mit 39 Schwarz-Weiß-Abbildungen und 16 Farbtafeln ausgestattet.

Stremingers Schilderung von Humes Leben ist detailgenau und facettenreich, dabei lebendig geschrieben und voll Sympathie für den großen Schotten. Die Werkbeschreibungen sind kompetent und hilfreich, wollen jedoch sicher nicht mehr sein als Anregungen zur Auseinandersetzung mit Humes Philosophie. Das Buch ist gelegentlich ein wenig detailverliebt, manchmal auch zu sehr "ideologiekritisch" im Verfolg von Humes religionskritischen Arbeiten und auch nicht ganz frei von unnötigen Abschweifungen (so etwa zu Voltaire). Dennoch ist es ein wesentlicher Beitrag zur neueren deutschsprachigen Hume-Forschung.

Rudolf Lüthe, Schaan/Aachen