Rezension


David Hume. Sein leben und sein Werk. Von Gerhard Streminger. Schöningh-Verlag, Paderborn 1994. 715 Seiten und 16 Farbtafeln. Gebunden. ISBN: 3-506-78851-5.

in "Universitas" Nr. 7, Stuttgart Juli 1995

Rezensiert von Dr. Michael Szczekalla




"Je tiens Jean Jacques Rousseau, ich hab' ihn …" – so soll der beleibte und gutmütige Philosoph David Hume in einer finsteren Januarnacht des Jahres 1766 mehrfach laut geschrien haben, als er den nervenschwachen, verfolgten und – mehr noch – unter Verfolgungswahn leidenden Verfasser des "Emile" nach Großbritannien begleitete. Der einzige Ohrenzeuge für diesen Akt unverfrorener Besitzergreifung war freilich das vermeintliche Opfer selbst. Hume, den die Furcht vor negativer Publizität zu einer brieflichen Stellungnahme veranlaßte, wusste sich zu verteidigen: "Ich kann nicht für alles bürgen, was ich in meinem Schlaf sagen könnte, und noch viel weniger bin ich mir bewußt, daß ich auf französisch träume. Aber bitte, da Herr Rousseau nicht wußte, ob ich schlief oder wach war, als ich diese schrecklichen Worte mit einer solch schrecklichen Stimme äußerte, warum ist eigentlich er sicher, daß er selber wach war, als er sie hörte?" Die intellektuelle Schickeria Frankreichs und Englands hat diesen bizarren Konflikt seinerzeit mit großer Anteilnahme verfolgt. Wer sich heute über ihn informieren will, mag nun zu Gerhard Stremingers monumentaler Hume-Biographie greifen. Dieses Werk, in dem zehn Jahre intensiver Forschungsarbeit stecken und das mit Unterstützung der Humboldt-Stiftung im Schöningh-Verlag erscheinen konnte, ist zugleich gut recherchierte Biographie, Werkbeschreibung und Abriß der Kulturgeschichte Schottlands. Letzteres sollten vor allem deutsche Leser mit Dankbarkeit aufnehmen. Sie erfahren so nicht nur einiges über die schottische Aufklärung, deren herausragendster Repräsentant Hume unbestritten war, sondern auch über den Calvinismus, wie er nördlich des Tweed heimisch wurde und dessen düsteres Menschenbild Denker wie der Moralphilosoph Francis Hutcheson, der Historiker William Robertson, der Ökonom Adam Smith und nicht zuletzt David Hume zu überwinden trachteten. Humes Leben und Werk bezeugen auf vielfältigste Art die Auseinandersetzung mit den Nachfahren John Knox', jenes selbstgerechten, blutrünstigen Fanatikers, der ein veritabler "killer of joy" war.

Wie es um das geistige Klima in jener Zeit bestellt war, zeigt ein grausiges Vorkommnis. 1722 im selben Jahr, als Hume noch nicht zwölfjährig an die Universität von Edinburgh ging, wurde dort die letzte Hexe Schottlands verbrannt. Wer heute Humes religionskritische Schriften liest, vor allem seine "Naturgeschichte der Religion" und die aus gutem Grund posthum erschienenen "Dialoge über die natürliche Religion", die mit einigem Recht das Hauptwerk der Aufklärung genannt werden können, darf den Zeithintergrund nicht ausblenden, wie es die allzu textimmanent verfahrende moderne Hume-Forschung ohne Zweifel tut. Streminger hat das für einen Philosophen ungewöhnlich ereignisreiche Leben Humes liebevoll nachgezeichnet. Der Leser erfährt nicht nur, wie calvinistische Hardliner zweimal seine Berufung auf einen Lehrstuhl verhinderten und ihm schließlich sogar den Posten eines Bibliothekars der Edinburgher Juristenfakultät verleideten, wo der an seiner "Geschichte Englands" arbeitende Hume als Herr über 30000 Bücher hervorragende Forschungsmöglichkeiten besaß. Wir erleben Hume als glücklosen Gehilfen eines reichen Kaufmanns in Bristol, in der prekären Situation als gutbezahlter Privatlehrer des verrückten Marquis von Annandale, als Kriegsgerichtsrat, als Botschaftssekretär und – trotz seiner etwas ungeschliffenen Manieren und seines schlechten Französisch – als Liebling der Pariser Salondamen. Die große Salonière Comtesse de Boufflers, Mätresse des Prinzen Conti, ist ihm gar nach England nachgereist, wo sie dann erleben mußte, daß sich der auf seine Unabhängigkeit bedachte Philosoph in Schottland versteckt hielt und partout nicht nach London kommen wollte. Schließlich wurde Hume auch noch für kurze Zeit Unterstaatssekretär im Northern Department der britischen Regierung mit Zuständigkeit für die Verwaltung der Kirk! Dieses Amt nutzte der Skeptiker zur Stärkung der "liberalen" Richtung innerhalb der Kirche seines Heimatlandes.

Als Philosoph hatte Hume gelehrt, daß der Skeptizismus allein durch die Tat zu überwinden sei – "the great subverter of Pyrrhonism is action!" In dieser Einsicht kann man den Schlüssel zu seiner farbigen Biographie sehen. Und doch war und blieb er ein "man of letters" mit einer erstaunlichen Produktivität, in der sich ein genuin philosophischer mit einem ausgeprägten literarischen Ehrgeiz verband. Der beste Beleg für diese These sind die 1779 erschienenen "Dialoge über die natürliche Religion", die in großen Teilen bereits in den kreativen Jahren von 1749 bis 1751 entstanden waren und von Hume in der Folgezeit immer wieder überarbeitet worden sind. Sie haben ein großes Vorbild in der antiken Literatur: Ciceros "De natura deorum" – religionsphilosophische Gespräche zwischen einem Stoiker, einem Epikureer und einem Skeptiker. Sich an den "Alten" zu messen und sie zu übertreffen, war im 18. Jahrhundert eine gängige Zielvorstellung. Hume hat sie verwirklicht. Will man das Erfolgskonzept der "Dialoge" auf eine einfache Formel bringen, könnte man sagen "Cicero plus moderne Erkenntnistheorie". So begegnet uns in dieser Schrift, deren Gedankenreichtum keine Zusammenfassung auch nur andeuten kann, die aber allein schon wegen ihrer literarischen Qualitäten jedem Hume-Interessierten zum Einstieg empfohlen sei, die erstmals im Jugend- und Hauptwerk, dem "Treatise of Human Nature", formulierte Kausalanalyse, die hier vom Skeptiker Philo bemüht wird, um den teleologischen Gottesbeweis des Deismus zu widerlegen, dem übrigens Humes Freunde unter den schottischen Aufklärern ausnahmslos anhingen. Zugleich scheint in der Argumentation Philos bereits eine Art Sinnkriterium auf, was Hume in unserem Jahrhundert (in der Rezeption durch die sogenannte erste "Enquiry") zum Ahnherren des logischen Positivismus werden ließ.

Die Hume-Forschung hat über dem Werk des Schotten eine Vielzahl von Interpretationskontroversen entfacht. Streminger, dessen Belesenheit außer Frage steht, konnte diesem Treiben keine allzu große Beachtung schenken. Zwischen Empathie und distanzierender Reflexion oszillierend, aber auf keiner Seite seine Bewunderung leugnend, hat es dieser Biograph verstanden, deutlich zu machen, wie sich Leben und Werk Humes gegenseitig erhellen. Obwohl Hume in seinem Essay über den Skeptiker die gegenteilige Auffassung zu vertreten scheint, war ihm die Philosophie eine "Magistra vitae". Anders als noch der Hume-Biograph Ernest Campbell Mossner verschweigt Streminger nicht, daß die Gemütsruhe Philo-Humes, also die Ataraxie des skeptischen Philosophen, die Frucht von gelehrter Anstrengung und Lebensklugheit ist. So litt der junge Hume zeitweilig unter psychosomatischen Störungen, wie der vermutlich nie abgeschickte "Brief an einen Arzt" eindrucksvoll dokumentiert. Das calvinistische Erbe sowie das hypertrophe Tugendideal der Stoiker hatten dem lesewütigen Studenten empfindlich zugesetzt. So hat auch die Erkenntnistheorie ihren Sitz im Leben. Sie dient der Abwehr seinsvermiesender Lehren. Daß der Denker und Antimetaphysiker Hume wiederum andere existentiell verunsichern konnte, zeigt nicht nur das Beispiel Rousseaus, sondern auch Hegels, der mit verkrampfter Ironie über Humes Werk schrieb: "Tiefer kann man beim Denken nicht herunterkommen."

Dr. Michael Szczekalla
Delmenhorst