Rezension zu:

GERHARD STREMINGER
David Hume. Sein Leben und sein Werk
Paderborn, Schöningh 1994, 715 S.

Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 8/1996, Baden-Baden


Seit Friedrich August von Hayek ihn in seinem 1966 erschienenen Aufsatz The Legal and Political Philosophy of David Hume als einen seiner geistigen Vorläufer reklamierte, ist er endgültig nicht mehr aus der liberalen Ahnenreihe herauszudenken. Die Rede ist von David Hume, dem wohl berühmtesten aller schottischen Aufklärungsphilosophen. Ob Hume selbst eine solche eindeutige Klassifizierung geschätzt hätte, bleibt fraglich. Sein extremer Skeptizismus, der seine gesamte Philosophie wie ein roter Faden durchzieht, hätte ihn vielleicht daran gehindert. So finden wir in Humes Werk Dinge, die dem Bild des Liberalen kaum entsprechen. Die unverhohlene Sympathie gegenüber den absolutistischen Bestrebungen der Stuarts vor dem englischen Bürgerkrieg des 17. Jahrhunderts, die Hume in seiner Historv of England (1754 ff) an den Tag legt, ist ein Beispiel. Sie läßt ihn im konservativen Lichte erscheinen. Doch das vorschnelle Urteil ist unangebracht. Seine wirtschaftspolitischen Ansichten, die er nach 1741 in seinen Essays darlegt, machen ihn zu einem wichtigen Vorläufer des Liberalen Adam Smith, mit dem ihn übrigens eine enge Freundschaft verbindet. Es ist vielleicht Hayeks Verdienst, daß auch die übrige Sozialphilosophie Humes in ihrer Bedeutung für den Liberalismus erkannt wurde.

Es ist daher von Interesse, wenn eine umfassende Biographie und Würdigung Humes auf dem Buchmarkt erscheint. Gerhard Streuringer, der Verfasser des neuen Werkes David Hume. Sein Leben und sein Werk, ist wie kaum ein anderer Autor im deutschsprachigen Raum dafür prädestiniert, über den großen Schotten zu schreiben. Mit dem Buch hat Streminger, von dem schon eine Reihe bemerkenswerter kleinerer Biographien und Artikel über Hume und andere schottische Aufklärer erschienen sind, sein enormes Wissen zu einem großen Wurf zusammengefaßt. Nach Lektüre des Buches dürfte für die meisten Leser kaum noch eine Frage über Leben und Werk Humes unbeantwortet sein. Da wird das Privatleben beleuchtet, etwa die kurze und unglückliche Liebesaffäre des Junggesellen mit der Comtesse de Bouffers. Da wird aber auch das kulturelle und literarische Umfeld Humes und seiner Zeit eingehend geschildert, und da wird schließlich die Ideenwelt Humes selbst vorgestellt. Streminger hat dabei nicht mit Forschungsaufwand gegeizt. Seine Erkundungen in den verschiedensten Archiven haben ihn sogar mit neuem originären Quellenmaterial fündig werden lassen. Dazu gehört zum Beispiel eine von Hume anonym verfaßte Rezension über ein Werk seines Zeitgenossen Horace Walpole, die im Anhang vollständig wiedergegeben ist. Die Akribie mit der Streminger sein Werk über Hume verfaßt hat, läßt die Mängel nur gering erscheinen. Diese sind vor allem sprachlicher Natur, weil sich Streminger zeitweilig bemüht, seinem hochwissenschaftlichen Werk einen populären Anstrich zu geben. Da kommen unnötige Modernismen vor, etwa das Wort »Razzia« (von einer »Polizei« durchgeführt, die es in dieser Zeit eigentlich gar nicht gab). Oder er läßt Humes Widersacher Samuel Johnson sagen, daß der Teufel der erste Liberale gewesen wäre, wo dieser doch nachweislich von Whigs redete – und nur reden konnte, weil man vor dem 19. Jahrhundert keine Liberalen kannte. Auch geht Streminger manchmal ein wenig hart mit zeitgenössischen Gegnern Humes ins Gericht. Keine moderne englische Literaturgeschichte, die Wert darauf legt, ernstgenommen zu werden, würde heute Johnsons Biographen James Boswell einen »Parasiten« Johnsons bezeichnen. Derartiges ist aber nicht unüblich, daher vielleicht verzeihlich. Welcher Biograph neigt nicht nach einer gewissen Zeit zur Heldenverehrung? Den Wert von Streuringers Buch mindert dies alles nicht im Geringsten.

Im Gegenteil: Ein Aspekt erhebt das Buch weit über andere (selbst Streuringers frühere) Hume-Biographien. Die meisten Werke über Hume vermitteln einen guten Überblick über die theoretische Philosophie des Schotten. Sein Skeptizismus, der sich auf einer Zurückweisung des Induktionsschlusses gründet, ist stets gut dokumentiert worden, weil er gleichzeitig den Haß vieler religiöser Zeitgenossen und seinen Beitrag zur Überwindung des naiven aufklärerischen Vernunftglaubens erklärt. Dahinter zurück steht das wirtschaftspolitische Denken Humes, das, obschon seine Bedeutung unumstritten ist, kaum je das Interesse von Biographen und Deutern gefunden hat. Ein umfassendes modernes Werk über die ökonomischen Einsichten Humes fehlt in der großen Menge aktueller Sekundärliteratur über ihn noch immer. Streminger gleicht dieses Defizit dadurch aus, daß er erstmals ein längeres Kapitel diesem Thema widmet. Darin unterstreicht er nicht nur die unter Ökonomen bekannten Verdienste Humes als Kritiker des Merkantilismus, der die Ansicht, eine hohe Geldmenge sei die einzig entscheidende Grundlage des nationalen Wohlstands, widerlegte und den Freihandel pries. Er versucht auch bisher vernachlässigte Aspekte zu würdigen, etwa die wirtschaftspsychologischen Analysen, die an Klarheit manchmal sogar die Adam Smiths übertreffen.

Allein damit hat Streminger schon einen interessanten Beitrag zur Liberalismusforschung geleistet. Man kann getrost sagen, daß hier ein neues Standardwerk über Hume geschaffen wurde.

Köln/Bonn

Detmar Doering