Rezension zu:

STREMINGER, GERHARD, David Hume. Sein Leben und sein Werk.
Paderborn-München-Wien-Zürich, Schöningh 21994, 715 S.

von S. Bonk
Theologie und Philosophie, Freiburg 1/1995

Mit diesem voluminösen Werk dürfte der Grazer Universitätsdozent Streminger (S.) seinen Ruf als ausgezeichneter Kenner David Humes endgültig gefestigt haben. Die Monographie umfaßt 28 Kapitel, enthält 39 SW- und 16 Farbabbildungen, ein Literatur- und Personenverzeichnis sowie einen interessanten Anhang, darin sämtliche Schriften Humes in chronologischer Reihe aufgelistet sowie drei neue Schriftstücke nebst Kommentar abgedruckt sind. S. hat diese selbst entdeckt. Es handelt sich dabei zum einen um zwei private Briefe aus Humes letztem Lebensjahr (1776) zum anderen um eine – laut S. – von Hume zusammen mit Gibbon verfaßte anonyme Rezension eines Buches über König Richard III. von H. Walpole, die 1769 in London erschienen ist. – In dem Wort V. C. Chappells, der Geist der modernen (analytischen) Philosophie sei in hohem Maße der Geist David Humes, liegt sicherlich ein gutes Stück Wahrheit, haben sich doch seit Russell, Ayer und den Mitgliedern des Wiener Kreises Philosophen dieser (aber auch anderer) Provenienz auf Hume als auf ihren geistigen Ahnherren bezogen. So gesehen ist Arbeit an diesem Weichensteller der Moderne (Russell) sicherlich nicht vergeudet; und dies desto weniger, wenn sich das Ergebnis in so optisch gefälliger (Schriftbild, Auswahl und Art der zum Teil selten bis nie zuvor reproduzierten Abbildungen sind vorzüglich) und stilistisch befriedigender Weise präsentiert. Das Buch ist über große Strecken hinweg geradezu spannend zu lesen; S.s Stil ist zudem flüssig, von einer gewissen erzählerisch-literarischen Qualität, womit der Leser für die auf Dauer etwas ermüdende Kirchen- und Religionskritik (in ideologiekritischer Absicht) genugsam schadlos gehalten wird. Die Apologia pro vita sua für den berühmten Skeptiker(?) und Atheisten (?) – beide Bezeichnungen sind in jüngerer Vergangenheit angezweifelt worden – unterscheidet sich allerdings nicht wesentlich von dem ähnlich umfangreichen (und ähnlich strukturierten) Werk E. C. Mossners "The Life of David Hume", welches vor genau 40 Jahren in London erschienen ist und seitdem als "definitive" Hume-Monographie gegolten hatte. Allerdings ist S., unter Weglassung einiger biographischer Details, mehr an einer ausgewogenen Darstellung von Leben und Werk interessiert und seine auf das Wesentliche bedachten Zusammenfassungen sowie Charakterisierungen der Humeschen Lehren sind ausnehmend prägnant und scharfsichtig. (So, wenn beispielsweise S. 343 über Humes Gedanken zum Ursprung von Sittlichkeit und Recht bemerkt wird: "Während also Hume für den Nahbereich das von Shaftesbury vertretene Menschenbild überzeugend fand, erschien ihm für den Fernbereich die Hobbessche Position als richtig.")

Die Darstellung beginnt mit der "Frühgeschichte Schottlands" und endet mit dem "Problem des Übels" und den vorgeblichen atheistischen Konsequenzen daraus (eine idée maîtresse S.s, vgl. dazu auch sein Buch "Gottes Güte und die Übel der Welt", Tübingen 1992). Humes Kindheit unter dem Einfluß des "todernsten" Calvinisten John Knox, dem "killer of joy", wird in so düsteren Farben gemalt, daß der These von einer biographisch-psychologisch motivierten Religionsfeindlichkeit des späteren Philosophen (wohl unbeabsichtigte) neue Plausibilität verliehen wird. Ein wenig zu ernst nimmt S. dann selbst aber möglicherweise die diversen Leiden und Seelenqualen des erwachsen werdenden Hume. Die psychosomatischen Erkrankungen während der etwa fünf Lebensjahre vor dem Februar 1734 (zu welcher Zeit der 22-jährige Hume fluchtartig die schottische Heimat verläßt) führt S. auf ein intellektuelles Hinauswachsen über die jüdisch-christliche und die römisch-stoische Lehre zurück. Schmerzhaft seien ihm im Laufe dieser Jahre "die angeblich wahren Welten der Metaphysiker zur Fabel geworden" (116). Mehr "Common sense" und Realismus zeigt nach Ansicht des Rez. in diesem Punkt der ältere Biograph J. Y. T. Greig ("David Hume", New York 1931), der über seinen jungen Helden schreibt: "As young men will, he took his varying moods and trivial ills with deadly earnestness. At one time he suffered from scurvy spots an the Fingers (...) at another time, from ‚a pytalism or wateryness in the month’; at yet another, from a very ravenous appetite, quick digestion, wind in the intestines, and palpilation of the heart (...) It is easy to make fun of David at this stage. He was very young, earnest and self-conscious" (78f.). – Hume bleibt auch später sowohl in seinen Äußerungen, Lebensentscheidungen als auch in seinen philosophischen Thesen von Kritik seitens Verf. grundsätzlich unangefochten, was sogar für so extreme Positionen wie die Außenweltskepsis ("Der Glaube an eine bewußtseinstranszendente Welt ist unvernünftig") und die sog. Bündeltheorie des Ich gilt, ("Wenn ich (!) in mich hineinsehe, vermag ich dort nichts als Perzeptionen zu finden"). Hieraus würde freilich folgen (was E. Mach erkannt hat), daß – pace Hume und S. – die Befürchtung einer persönlichen Sterblichkeit unsinnig wäre...

In einem einzigen Punkt allerdings verweigert S. Hume doch die Gefolgschaft, nämlich dort, wo dieser in dem Essay "Of National Characrers" u.a. schreibt: "I am apt to suspect the negroes, and in general all other species of men (...) to be naturally inferior to the whites. There never was a civilized nation of any other complexion than white, nor even any individual eminent either in action or speculation" (zit. nach S., 598, Anm.). S. beeilt sich freilich, diese schlimmen Äußerungen als "gänzlich untypisch" für Hume zu befinden, aber ein gewisser Zweifel an der Zufälligkeit der Aussage bleibt, wo doch Hume, in einem allgemein rassistischen Klima lebend, rationale Moralbegründungen (dennoch) bewußt abgelehnt hat, um seine Wertungen im subjektiven Gefühl und den allgemeinen Meinungen zu suchen. Nicht in einem opusculum, sondern im "Treatise of Human Nature" findet sich die Aussage: "The general opinion of mankind has some authority in all cases, but in this of morals, ‘tis perfectly infallible" (Works, hg. von Green and Grose, vol. 2, 316). Obwohl S. also auch Humes theoretische Philosophie grundsätzlich positiv beurteilt, legt er den Schwerpunkt seiner Darstellung doch auf die praktische und insbesondere auf die Religionskritik. Und dies offenbar ganz zu Recht, da Humes empiristisches Sinnkriterium ("ideas" müssen auf "impressions" zurückgeführt werden können) heute nicht einmal mehr von "harten" empirischen Wissenschaftlern anerkannt werden würde; da weiterhin seine Assoziationspsychologie völlig obsolet geworden und die Kausalitätsanalyse größtenteils realistischer Wissenschaftsphilosophie zum Opfer gefallen ist. Lassen wir die Humesche irrationalistische Moralphilosophie mit ihren möglichen inhumanen Konsequenzen einmal beiseite und fragen wir: Ist die Religionskritik wirklich so schlüssig wie S. meint? Dazu nur ein Beispiel: 319-326 wird das berühmte Argument Humes gegen den Wunderglauben angeführt. Diesem Gedanken zufolge könne es niemals vernünftig sein, einen Wunderbericht für wahr zu halten, da ein Wunder eine Verletzung eines Naturgesetzes bedeute und der "Bestätigungsgrad" eines Naturgesetzes stets größer sei als der eines Wundergeschehens. Aber offenbar müßte – sollte dem Argument wirklich Schlüssigkeit eignen – nicht das Naturgesetz, sondern die Unverletzlichkeit oder ausnahmslose Geltung desselben besser als das Wunder bestätigt sein. Und diese Geltung läßt sich prinzipiell niemals beobachten (also weder selten noch häufig). Und schlimmer noch für Hume: Dessen eigene Analyse des Induktionsschlusses führte zu dem Ergebnis, daß eine strenge Gleichförmigkeit in der Natur (in der Art eines determiniert-mechanistischen Weltbildes) weder rational ("apriorisch") noch durch empirische Wahrscheinlichkeitsargumente ("aposteriorisch") bewiesen werden kann: Apriorisch deswegen nicht, weil die gegenteilige Annahme nicht selbstwidersprüchlich sei, und aposteriorisch nicht aufgrund des unausweichlich zirkulären Charakters einer solchen Begründung. (Das Wunder-Argument entstammt offensichtlich den ersten Anfängen des Humeschen Philosophierens, in welche Richtung auch die verfügbaren Quellen weisen). Aber selbstverständlich kann eine philosophische Auseinandersetzung mit Hume nicht Gegenstand einer Rezension sein. – Möglicherweise auch nicht Gegenstand einer Monographie über Leben und Werk eines historisch bedeutsamen Philosophen: In diesem letzteren Falle könnte S.s Buch nach Ansicht des Rez. als rundum gelungen bezeichnet werden.

S. BONK