Rezension: Ohne ihn schlummerte dogmatisch ich dahin
(Geständnis aus Königsberg, 1783)

Als David Hume sich als Mitglied einer britischen Gesandtschaft in Österreich aufhielt, wurde im Frühjahr 1748 in London ein Buch veröffentlicht, das allein schon seinem Autor einen Ehrenplatz unter den Großen der Philosophie gesichert hätte: An Enquiry concerning Human Understanding, also >Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand<.

Im englischen Sprachraum gilt diese kleine Schrift schon lange als der klassische Einführungstext in die Philosophie. Im deutschen Sprachraum ist dies anders. Für Metaphysiker hierzulande war (und ist) der schottische Aufklärer, wie Gilbert Ryle einmal treffend bemerkte, nicht viel mehr als eine "lästige Fliege".

Aber die (vergebliche) Abwehr mit der Fliegenklatsche ist in den letzten Jahrzehnten doch einer weitgehenden Wertschätzung gewichen. Möglicherweise spiegelt sich in dieser Anerkennung der aufgeklärten Denkweise Humes eine Verschiebung des intellektuellen Interesses wider, nämlich weg von der metaphysischen Beschäftigung mit Erstursachen und hin zur empirischen Betrachtung des Diesseits. Wäre dem so, so wäre die Lektüre von Humes >Untersuchung< nicht bloß von fachspezifischem, sondern auch von allgemeinem, (zeit-)geschichlichem Interesse.

Vor allem ist die Lektüre jedoch ein intellektueller und ästhetischer Genuß. Mit untrüglichem Blick für das Wesentliche gelingt es Hume leichtfüßig, mit wenigen Gedankenschritten fundamentale Probleme am scheinbar Selbstverständlichsten aufzuzeigen. Zurecht spricht Hans Georg Gadamer deshalb von einer "Humeschen Argumentationskunst", deren Reiz man sich nur "schwer" entziehen könne.

Aber ist auch die Lektüre ein intellektueller Genuß, so ist die Schrift doch keineswegs einfach zu verstehen. Raoul Richter, einer der Übersetzer, spricht deshalb treffenderweise von einem Werk mit "glatter Oberfläche und rätselhafter Tiefe", das in "erster Linie ein klassischer Gegenstand des philosophischen Studiums" ist.

In der >Untersuchung< werden Probleme der theoretischen und praktischen Philosophie behandelt. Zu ersterer gehören die erkenntnistheoretischen Erörterungen, nämlich die Grundlegung des Empirismus sowie die Kausal- und Induktionsanalyse; und zur praktischen Philosophie gehören die Ausführungen zur Willensfreiheit (Determinismus oder Indeterminismus), die Diskussion des physiko-theologischen Gottesbeweises sowie die Analyse der Vertrauenswürdigkeit von Wunderberichten.

Wie kaum ein anderes Werk der philosophischen Klassik enthält Humes >Untersuchung< zudem umfangreiche Erörterungen über die Funktion der Philosophie und insbesondere über die Rolle der Skepsis in der Philosophie. Vor allem der Rahmen des Werks, also der erste und der letzte Abschnitt, ist wohl am ehesten zur Metaphilosophie zu zählen. Hume urteilt hier aus der Perspektive des unparteiischen Intellektuellen, der sich Gedanken macht über die Wirkung philosophischer Analysen auf den Denkenden selbst und auf die Gesellschaft.

Neben diesen großen Themen finden sich in der >Untersuchung< noch kurze ontologische Überlegungen zur Existenz der Außenwelt sowie knappe Analysen zum Theodizeeproblem, zur Anthropologie, zur Frage nach der Verantwortlichkeit des Menschen, zur Methode in der Geschichtsschreibung und zur Rolle von Ideenassoziationen in der Dichtkunst.

Bemerkenswert ist die Konstanz der Wertschätzung im englischen Sprachraum, von der Erstveröffentlichung an bis zur Gegenwart. Noch zu Lebzeiten Humes wurde die >Untersuchung< immerhin zwölfmal neu aufgelegt - entweder als Einzelband oder als Teil der vom Autor selbst besorgten Gesamtausgabe seines philosophischen Werks.

Humes >Untersuchung über den menschlichen Verstand< hat, über die Jahrhunderte hinweg, Generationen von Gelehrten beeinflusst, so auch den deutschen Meisterdenker des 18. Jahrhunderts und den herausragenden Naturphilosophen des vergangenen:

"Ich gestehe frei: die Erinnerung des D a v i d H u m e", so Immanuel Kant, "war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach und meinen Untersuchungen im Felde der speculativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab."

Und: "Wenn man seine [d.i. Humes] Bücher liest", so Albert Einstein, "wundert man sich, daß nach ihm viele und zum Teil hochgeachtete Philosophen so viel Verschwommenes haben schreiben und dankbare Leser finden können. Er hat die Entwicklung der Besten nach ihm nachhaltig beeinflußt."



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