Rezension zu:

GERHARD STREMINGER

Gottes Güte und die Übel der Welt. Das Theodizeeproblem.

Mohr, Tübingen 1992. (V, 442 Seiten).
Besprechung in: Theologische-Praktische Quartalschrift
Ausgabe: 3 (1994) Jg. 142, Seite: 329-330

Der Grazer Philosoph Gerhard Streminger hat das umfassendste Buch der letzten Zeit über das Theodizeeproblem vorgelegt. Es geht um die Frage: Wie kann ein guter Gott (summum bonum) das Böse in der Menschenwelt zulassen, wenn er ihr Schöpfer und allmächtig ist? Es werden die wichtigsten Antwortversuche aus der Philosophie und der Theologie umfassend dargestellt und diskutiert; zunächst wird abgegrenzt, was unter "Übel" zu verstehen sei. Wo das Böse als "Mangel" (privatio) an Gutem gedeutet werde, handle es sich um einen zirkulären Schluß (183f). Auch die Vorstellung von einem "leidenden Gott" sei ein Umgehungsversuch des Problems, denn damit werde unter Menschen nicht nur Trost gespendet, es werde immer auch Leiden gerechtfertigt (192f).

Dann geht der Autor breit auf die theologische Diskussion ein: Die Ethik Jesu sei für die Menschen keineswegs vorbildlich, denn sie enthalte zuviele destruktive Anteile (233f). Die Begründung dieser Gebote durch ewigen Lohn beziehungsweise Strafe sei problematisch. Jesu Gottesbild sei autoritär und patriarchal, einen solchen Gott könne man nicht lieben (245f). So hätte die christliche Moral auch fatale Auswirkungen gezeigt, in der Bewertung der Frauen, der Verfolgung von Hexen und Ketzern, der Festschreibung von Unwissenheit, der fanatischen Intoleranz, der leibfeindlichen Sexualmoral u.a. Diesem Gottesbild entspreche eine repressive Leidensmystik (278f). Doch wie einst Hiob, so habe der Mensch der Neuzeit seinen Schöpfer moralisch überholt (287). Auch die Lehre von einer ausgleichenden Gerechtigkeit im Jenseits und der Unsterblichkeitsglaube seien moralisch bedenklich (312f).

Ein Dialog zwischen einem Theisten und einem Skeptiker zeigt das Spannungsverhältnis zwischen Religion und Vernunft. Die wichtigsten Eigenschaften des christlichen Gottes seien unter sich unverträglich, göttliche Existenz sei nicht zu beweisen. Daher solle sich religiöser Glaube konsequent der Vernunft unterordnen (355f). Der Autor fragt, ob nicht ein ambivalenter ("dualistischer") Gott, der zugleich gut und böse ist, der menschlichen Lebenswirklichkeit gerechter werde (357)? Aktive Leidensverminderung sei auch ohne Religion möglich, die Menschen müßten der Erde treu bleiben, unzulässige Illusionen sollten verabschiedet werden. Das menschliche Scheitern könne durch die griechische Tragödie besser ausgedrückt und bestanden werden (407ff).

Dieses gewichtige Werk ist eine dringliche Anfrage an die christliche Theologie, die zu nötigen Lernprozessen geradezu herausfordert. Tatsächlich haben die gelebten Volksreligionen das Theodizeeproblem nicht, denn für sie ist "Gott' immer ambivalent wie das Leben selbst. Dieses Problem haben die Philosophen geschaffen, die Gott zum "höchsten Guten" machten – d.h. der absolute Herrscher bestimmt allein, was für seine Untertanen gut oder böse ist (kulturanthropologische Deutung). Zu wenig verfolgt wird in dem Buch die Vorstellung von einem "leidenden Gott", wie sie von evangelischen Theologen (Moltmann, Pannenberg, Sölle) gezeichnet wird. Denn dieser Gott ist im Werden, nicht allmächtig, nicht Herrscher, sondern auf der Seite der Schwächeren. Das sind auch die Vorstellungen einer mystischen, einer feministischen und der Befreiungstheologie. Für sie ist die Erfahrung des Unverfügbaren, des Geborgenseins, des Liebenkönnens, des Sinnfindens, der Leidensverminderung, des Tröstens und des Freiwerdens eine Spur des "Göttlichen", über das zu reden immer schwieriger wird.

Das Buch gibt gewichtige Denkanstöße für Theologen aller Religionen. Doch weiß es genügend um die Grenzen der Vernunft, wenn sich Religion ihr gänzlich unterordnen soll? Von wo kämen dann die nötigen Korrekturen einer destruktiv agierenden Vernunft? Und könnte Vernunft tatsächlich all das ersetzen, was Religion für die Menschen bedeutet?

Anton Grabner-Haider (Graz)