Rezension zu:

Gerhard Streminger: "Gottes Güte und die Übel der Weit". Das Theodizeeproblem.
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1992. 442 S., br.

Und Gott sah, daß es böse war
Faszinosum Theodizee: Gerhard Stremingers Gegenrechnung

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 200 vom 30.08.1993, S. 26

Das Zeitalter, dessen Selbstverständnis an der Menge der Buchtitel abgelesen werden kann, die "vernünftige Gedancken über Gott" oder die Welt ankündigten, gilt auch als Jahrhundert der Theodizeen. Die vernünftige Rechtfertigung der Güte des Schöpfers trotz der Leiden der Kreatur war immer auch der Versuch, das Prinzip des zureichenden Grundes in den Abgründen menschlicher Erfahrungen zu bewähren. Diese Aufgabe hatte sich der theologische Rationalismus zugetraut, und an ihr hat er sich schließlich übernommen.

Noch vor dem Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts notierte der junge Hegel, man habe "einen solchen Haufen von Trostgründen, im Unglück zu gebrauchen, herbeigeschafft, daß es einem am Ende leid tun könnte, daß man nicht alle acht Tage einen Vater oder Mutter zu verlieren hat". Das theoretische Glück, das die rationale Erklärung gewährt, war dem Unglück nicht gewachsen und vermehrte mit den Begründungen noch einmal die Leiden.

Der Rationalismus hat sich seitdem gewandelt. Doch er ist dem achtzehnten Jahrhundert noch immer verpflichtet, wenn er die Sprache der Religion als eine Quasitheorie versteht, von der vor allem "eine zufriedenstellende Antwort" auf die Frage nach der Vereinbarkeit ihrer Grundannahmen zu verlangen ist. Gerhard Streminger fordert einen solchen Nachweis und zeigt zugleich, daß er nicht gelingen kann. Das Gottesbild des traditionellen Theismus, die Tatsache des Leides und die moralische Gewißheit, daß "gut" nur zu heißen verdient, wer vermeidbare Übel verhindert, sind unvereinbar.

Für den Gott, der Eisen wachsen ließ, mag es logisch unmöglich gewesen sein, ein hölzernes Eisen zu schaffen, doch hätte man von einem gütigen und weisen Schöpfer wenigstens ein rostfreies Eisen erwarten dürfen, um den Einsturz von Eisenbahnbrücken zu verhindern. Wenn sich Allmacht, Güte und Weisheit nicht vereinbaren lassen, so ist der Schöpfer der Welt "ein grausames, rachedürstiges und blutgieriges Wesen", demgegenüber der Atheismus zur moralischen Pflicht wird.

Bevor Gerhard Streminger diesen Schluß zieht, analysiert er die unterschiedlichen Formen der Theodizeen als ebenso viele Versuche, den Widerspruch der genannten Grundannahmen zu vermeiden. Dabei unterscheidet er Brückenannahmen und Umgehungsversuche. Brückenannahmen verhindern den Widerspruch durch zusätzliche Prämissen: "Trotz des Leides ist diese Welt die beste aller möglichen Welten" oder "Die Freiheit des Menschen ist ein großes Gut, angesichts dessen die Konsequenzen ihres Mißbrauchs in Kauf genommen werden müssen". Umgehungsversuche erreichen dieselbe Absicht durch Uminterpretation der Prämissen: "Es gibt kein Leid, sondern nur einen Mangel an Gutem."

Doch die Zulässigkeit dieser Lösungen muß nach Streminger einem wissenschaftstheoretischen Kriterium genügen. Neue Annahmen sind nur dann erlaubt, wenn externe Begründungen und zusätzliche Plausibilitäten für sie sprechen, wenn sie also nicht nur als Ad-hoc-Hypothesen zur Stützung einer sonst widersprüchlichen Theorie eingeführt werden. An diesem Kriterium scheitern nach Streminger alle Varianten des traditionellen Theismus, auch dessen jüngste Erneuerung im Werk des Oxforder Religionsphilosophen Richard Swinburne.

Stremingers Kritik der Theologie bringt gelegentlich problematische Überzeugungen ins Spiel. So enthält das Buch auch eine anthropologische These, nach der dem Menschen zwar Handlungs-, nicht aber Willensfreiheit zuzuschreiben ist. Unsere Handlungen sind frei, insofern sie ungehindert unserer eigenen Natur entspringen, sie sind aber keineswegs unverursacht. Folglich lasse sich aus der menschlichen Freiheit keine Entlastung Gottes folgern, da dieser als Schöpfer für die menschliche Natur verantwortlich zeichnet.

Als Theodizee könnte der Verweis auf die menschliche Freiheit nur dienen, wenn eine kontrakausale Willensfreiheit, ein liberum arbitrium indifferentiae, unterstellt würde. Eine solche Annahme nennt Streminger einen bloßen Mythos. Der Autor vertritt also einen gemäßigten Determinismus, nach dem es zwar sinnvoll sein soll, "Handlungen unter Hypnose" von "freien Handlungen" zu unterscheiden, nach dem aber das Selbstverständnis eines zwischen unbestimmten Alternativen wählenden Subjektes auf der Illusion beruht, die Ursachen der faktischen Wahl nicht zu durchschauen. Die Kategorie der Freiheit scheint damit allein auf ihre rechtsphilosophische Verwendung eingeengt.

Der polemischste Teil des mit Polemik nicht geizenden Buches gilt dem leidenden Gott. Der biblische Befund wird nach Maßgabe des skizzierten Grunddilemmas interpretiert. Die Rede vom leidenden Gottesknecht, deren Verankerung in jüdischer Theologie (Cohen) Streminger nicht erwähnt, erhält daher die folgende Gestalt: nimmt Gott Anteil am Leid, so verbindet uns das Leid mit ihm, folglich kann es kein Übel sein.

Die christlich als Wort vom Kreuz verstandene Rede vom Leiden Gottes wird in Stremingers Einschätzung zu einem Umgehungsversuch, der die Wirklichkeit des Leidens marginalisiert. Damit wird der theologischen Explikation der biblischen Passionsgeschichte ihre antidoketische Ausrichtung, ihre Verteidigung der Realität des Todes Christi, ungeprüft abgesprochen. Doch Streminger interessiert sich ohnehin nicht für eine präzisere Fassung dieser Vorstellung, wie er auch einer prozeßtheologischen Aufnahme seiner Fragestellung keine Aufmerksamkeit schenkt.

Vielmehr wirft er die Frage auf, wie zuverlässig das biblische Zeugnis denn überhaupt sei. Diese Frage bietet dem Kenner des achtzehnten Jahrhunderts die Gelegenheit, auch die Perspektiven der aufklärerischen Bibelkritik zu nutzen. Ein historisches Verständnis der Texte darf man dabei nicht erwarten, wohl aber eine "Illustration der Quellenlage, von der sich die christliche Frühbotschaft herleitet": Die biblischen Autoren sind nach Streminger so zuverlässig wie Gebrauchtwagenhändler, "nur daß es in dem, wovon sie berichten, um ungleich Wichtigeres als um den Kauf eines Autos geht".

Damit erübrigt sich offenbar die christliche Theologie, und Stremingers Buch wandelt sich von einer präzisen Analyse religionsphilosophischer Argumente zu einer Sentenzensammlung des Einspruchs gegen das Christentum, in dem Schopenhauer und Nietzsche, Moser und d’Holbach, Hume und Deschner ihr Echo finden. Gezielt wird auf eine Umkehrung der Beweislast: nicht wie die Güte Gottes zu behaupten, sondern "wie die Vermutung seiner Bösartigkeit zu widerlegen" sei, wird zur Aufgabe erklärt. Ohne ihre Bewältigung bleibe ein Vertrauen in Gott, ein religiöser Glaube, unmöglich. Denn "Vertrauen kann es nur zu jemandem geben, den man sehr gut kennt, ein begründetes Vertrauen in die Güte von Fremden ist unmöglich." Die phänomenologische Überprüfung dieser Behauptung könnte das Buch dem theologischen Diskurs vielleicht wieder näherbringen, den ad absurdum zu führen es sich verschrieben hat.

MICHAEL MOXTER