Rezension


GERHARD STREMINGER: David Hume: 'Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand'. Ein einführender Kommentar. 253 S., Schöningh, Paderborn 1994
ISBN 3-506-99448-4

in "Philosophischer Literaturanzeiger", herausgegeben von G. Wolandt, R. Lüthe und S. Nachtsheim
Band 48, Heft 3, Juli - September 1995, S. 239-240

Rezensiert von Rudolf Lüthe




Dieser in der Reihe "Studienkommentare zur Philosophie" als vierter Band (nach Kommentaren zu Texten von Mill, Kant und Hegel) erschienene Kommentar zu Humes kurzer erkenntnistheoretischer Schrift wendet sich sichtlich vor allem an Studierende. Entsprechend hat der Autor großen Wert auf die didaktische Aufbereitung des Kommentars gelegt. Der Text ist streng schematisch gegliedert und liefert im sukzessiven Durchgang durch die zwölf Abschnitte der ,Untersuchung' jeweils zunächst eine "Vorbemerkung", dann eine Darstellung der "Textgrundlage" und schließlich einen "Kommentar".

In den "Vorbemerkungen" wird das thematische Textstück zu anderen Arbeiten Humes (insbesondere zu den entsprechenden Passagen des "Treatise") in Beziehung gesetzt und seine Funktion im Rahmen der Gesamtanlage der Schrift erläutert. In den jeweils als "Textgrundlage" betitelten Abschnitten beschreibt Streminger die innere Struktur der einzelnen Lehrstücke und hebt die zentralen Gedanken heraus. Dabei zitiert er sehr viel, immer in deutscher Übersetzung, wobei gelegentlich die englischen Originalbegriffe erläuternd hinzugesetzt werden. Die "Kommentare" dienen der Erklärung wichtiger Argumentationsgänge sowie der philosophischen Würdigung der Gedankenführung.

Die "Vorbemerkungen" sind für Studierende immer sehr hilfreich; dagegen wird in den Abschnitten zu den "Textgrundlagen" das Zitieren häufig übertrieben. Der Nutzen der "Kommentare" ist unterschiedlich. Ganz überwiegend geben sie wichtige Interpretationshilfen, manchmal jedoch stiften sie eher Verwirrung, als daß sie das Verständnis Humes erläutern. Dies ist zum Beispiel in Abschnitt IV der Fall, wo Streminger mit einigem Aufwand eine Hume unterstellte absurde These widerlegt, um anschließend festzustellen, daß es Hume wahrscheinlich um eine ganz andere Lehre ging (70). Das ist so offensichtlich richtig, daß der Umweg nicht nur nutzlos, sondern auch schlecht motiviert erscheint. Stremingers Kommentare zu den Grundlagen von Humes Erkenntnistheorie, insbesondere zu seinem sogenannten "Atomismus" sind sehr kritisch. Dabei fällt auf, daß er Humes Philosophie häufig aus der Perspektive einer Wittgensteinschen sprachanalytischen Philosophie in den Blick nimmt. Dies führt zu sehr spezifischen Akzentsetzungen, die diesem "einführenden" Kommentar gelegentlich den Charakter einer recht eigenwilligen Interpretation geben.

Den dreigeteilten Besprechungen der einzelnen Abschnitte der ,Untersuchung' ist eine zwei ausführliche Kapitel umfassende Einführung zu dem kommentierten Werk vorangestellt. Der einleitenden Einschätzung, daß Humes Text "vielleicht der beste klassische Einführungstext in die Philosophie" (11) ist, ist sicherlich zuzustimmen, und auch die meisten der von Streminger für diese These vorgebrachten Argumente scheinen mir sinnvoll. Ein wenig bizarr aber ist Stremingers Argumentation, auch die von ihm selber immer wieder kritisierte

Neigung Humes zu "schlampigen" Formulierungen sei unter dieser Perspektive ein Vorteil, weil sie "zum Widerspruch reizt" (14).

Der größere Teil der Einführung ist der "Entstehungsgeschichte" und der Beschreibung der Bedeutung der Schrift gewidmet. Dabei geht Streminger von der nicht unumstrittenen Einschätzung aus, der "Treatise" sei in Humes Sicht nicht nur wegen seines mangelnden Publizitätserfolges eine Enttäuschung, sondern auch ein "intellektueller Fehlschlag" (27) gewesen. Aus dieser Interpretation ergibt sich eine Lesart der ,Untersuchung', in welcher diese eine Korrektur fundamentaler Irrtümer des "Treatise" darstellt. Für die den Studierenden nahegelegte Einschätzung dieses frühen Meisterwerkes Humes bedeutet dies: Die umfangreiche erste Schrift ist vergleichsweise unwichtig, weil sie bereits von Hume selber als überholt eingestuft wurde. Diese in der Hume-Forschung keineswegs unumstrittene Lesart wird von Streminger mit der These begründet, im Laufe seiner Analysen im "Treatise" habe Hume eine ganze Reihe von Problemen entdeckt, "die das Unternehmen zum Scheitern bringen. In aller Kürze lautet seine große Entdeckung, daß demonstrative reasoning und general operations NICHT imstande sind, eine science of man zu begründen." (41)

Immerhin räumt Streminger später etwas milder ein, der "Treatise" sei "bestenfalls ein Teilerfolg" (51). Dennoch bleibt die emphatische Herausstellung der Bedeutung der Untersuchung' zu Lasten des "Treatise" nicht nur aus didaktischen, sondern auch aus sachlichen Gründen problematisch. Sie ist außerdem auch nur durch eine sehr spezifische Interpretation des "Advertisement" als Humes eigene Einschätzung zu erweisen, durch eine Interpretation nämlich, die Humes Distanzierung vom "Treatise" in jeder Hinsicht ernst nimmt und also unterstellt, daß Hume die Lehrmeinungen des frühen Meisterwerkes insgesamt nicht mehr als die seinen anerkennen will. Diese Interpretation ist durch den Wortlaut des "Advertisement" nicht eindeutig gedeckt. Dieser erlaubt wegen Formulierungen, die im "Treatise" hauptsächlich "einige Nachlässigkeiten seines früheren Gedankenganges und mehr noch des Ausdrucks" kritisieren, eine sehr viel reserviertere Deutung, als Streminger sie vornimmt (19 ff.).

Sehr treffend ist dagegen Stremingers Einschätzung, die Hauptaufgabe der ,Untersuchung' liege in der Beantwortung der Frage: "Wie läßt sich ein gemäßigter, akademischer Skeptizismus rechtfertigen?" (52) Streminger interpretiert diese Aufgabe allerdings so, daß sie nicht nur die Grundlegung einer "science of man", sondern gleichrangig auch eine Kritik des Aberglaubens erfordert. Darin zeigt sich ein weiterer sehr pointierter Akzent von Stremingers Hume-Deutung: In seiner "ideologiekritischen" Sicht erscheint Hume vor allem als ein Vertreter der aufklärerischen Religionskritik. Das ist zweifellos nicht falsch, ebenso zweifelsfrei jedoch einseitig.

Diese kritischen Bemerkungen sollen aber nicht das Verdienst des Autors schmälern. Man kann davon ausgehen, daß dieser Kommentar den Zugang von Studierenden zu Humes Schrift erleichtern wird.

Rudolf Lüthe, Schaan/Aachen