Rezension zu:

Adam Smith. Rowohlts Bildmonographie
von Gerhard Streminger
Bd. 440, 158 S. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

ARSP (Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie), Bd. LXXVII/2 (1991), Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart

Es ist erfreulich, daß nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Öffentlichkeit wieder häufiger über Adam Smith gesprochen wird. Trotz engagierter Bemühungen zahlreicher Wissenschaftler (Sozialökonomen, Soziologen und Politologen), das Werk von Adam Smith in seiner Grundsätzlichkeit zu erkennen und damit die Bedeutung des Smithschen Denkansatzes selbst für gegenwärtig zu lösende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Fragen zu betonen, grassieren weiterhin viele Mißverständnisse oder gar grobe Verfälschungen seiner Auffassungen. Bei vielen Wortführern im Bereich der Tagespolitik und medienwirksamen Kommunikation wird vor allem die Einsicht verfehlt, daß es diesem Autor sehr entscheidend um eine "Lehre für den Staatsmann und Gesetzgeber" ging. Dabei wird sein Werk von der Auffassung durchdrungen, menschlicher Absicht und menschlichem Handeln sei es möglich, Individualität und Solidarität, Ordnung und Freiheit, Wohlstand und Sicherheit in einer Gesellschaftsform zu verwirklichen, in der alle Grundwerte den Test individueller Verantwortlichkeit für den Mitmenschen bestehen müssen. Durch die Betonung der geschichtlichen Gebundenheit jeglicher Variante von Gesellschaft enthebt sich Smith zudem völlig allen (sachlich unbegründeten) Dogmatismus-Vorwürfen und erlangt deshalb einen besonderen Rang als Ratgeber für eine "kluge" (nicht etwa: vorgeblich rationale) Politik, in einer Zeit, in der "gesellschaftliche Revolutionen" der Gestaltung durch einen ordnungspolitischen Rahmen bedürfen. Es ist deshalb zu wünschen, daß jegliches Bemühen, das Werk von Adam Smith in einer derartigen gesellschaftspolitischen Perspektive zu präsentieren, hinreichend Aufmerksamkeit findet.

Soweit dazu eine Rezension beitragen kann, mag die hier vorliegende dafür werben.

Schließlich ist das Smithsche Werk auf die Ableitung fundamentaler gesellschaftlicher Prinzipien ausgelegt. Es will Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit gleichrangig zueinander verwirklichen helfen und ist damit hochrangig aktuell. Tatsächlich gelingt es dem Verfasser – in seiner Bericht erstattenden Form –, vieles davon deutlich zu machen. Gleichwohl wird dem Leser die hier genannte (S. 153 f.) ergänzende Lektüre dringend empfohlen, im deutschen Sprachbereich etwa die Texte von Recktenwald und Kaufmann/ Krüsselberg.

Wie kann aus einem Ort des Mangels ein Reservoir für Wohlstand werden? Die erste und zugleich umfassendste Antwort des anzuzeigenden Buches lautet: durch ein Vertrauen auf das an Aufklärungszielen orientierte Gestaltungspotential der Menschen, wesentlich fundiert durch ein vorzügliches, von geistlicher Vormundschaft und politischer Privilegierung befreites Schul- und Wissenschaftssystem in einem Staat, der den Menschen Handlungsfreiheiten garantiert. Die Fähigkeit des Menschen, komplexe Phänomene gedanklich zu ordnen, ist nämlich erfahrungsabhängig, d.h. auf empirische Tatbestände bezogen, und somit sowohl Ergebnis von Lernprozessen als auch Voraussetzung für gesellschaftliches Lernen. Wissen ist wichtig, seine gesellschaftliche Umsetzung bedarf jedoch stets der Ausrichtung auf grundlegende Prinzipien.

Daß wirtschaftliche Entwicklung Wege zu diesseitigem Glück zu öffnen vermag, ist für Smith nicht zweifelhaft. Gleichwohl bleibt alles menschliche Handeln in dem Sinne moralisches Handeln, als es sich – der menschlichen Natur gemäß – einer unvoreingenommenen, unparteiischen (und deshalb gerechten) Beurteilung unterwirft. Es ist dem Menschen möglich zu erkennen, ob ein Handeln den Einzelnen hassenswert, verächtlich und straffällig macht – oder nicht. Tugendhaft ist ein Handeln, das einmal am Schicksal anderer Anteil nimmt und dem zum anderen die Mitmenschen mit Wohlwollen begegnen ("Theorie der ethischen Gefühle").

Für G. Streminger ist die Frage, ob zwischen der ethischen und ökonomischen Theorie von Smith Überbrückungsschwierigkeiten bestehen, kein Thema. Anknüpfend an dessen Feststellung über die menschliche Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit allgemeiner Regeln und die umfassende Bedeutung der Gerechtigkeit für gesellschaftliche Systeme erwähnt er die konstitutive Rolle des Staates auf dem Weg "vom Pomp der Paläste über den Reichtum der Manufakturen zum Wohlstand der Nationen". Fairneßregeln müssen auch für die Staatstätigkeit gelten, die stets gleichfalls der Unparteilichkeit verpflichtet sein muß. Smith mißtraut jeglicher Variante von Macht. Die Reichen und Mächtigen zu bewundern, sei die größte und allgemeine Ursache der Verfälschung der ethischen Gefühle des Menschen. Das Prinzip der Skepsis gegenüber Machtpotentialen führt Smith zum Prinzip des Tauschs als Idealtypus einer Sozialbeziehung, die wechselseitige Vorteile begründet. Für Smith ist die Korrespondenz zwischen "natürlicher" Freiheit und "natürlicher" Gerechtigkeit unkündbar!

Ich finde, mit dieser Studie stellt Gerhard Streminger Adam Smith recht unvoreingenommen vor. Er informiert sachgerecht über wesentliche Anliegen des Smithschen Werkes und beleuchtet zudem äußerst anschaulich und einfühlsam die Person und den Lebensablauf von Adam Smith. Störend (weil m.E. nicht werkgerecht und auch nicht stimmig) ist der Utopie-Vermerk, den der Autor an einige ,,Diskussionspunkte" (S. 104-107) knüpft. Treffend ist gleichwohl ein anderes Urteil des Verfassers: "Der Autor des Wohlstands der Nationen überzeugte (zwar) nur wenige seiner Generation, ... einige seiner Ideen leiteten (jedoch) die kommenden" (S. 133). Gemeint sind gewiß diejenigen, die die Notwendigkeit einer Verfassung begründen wollten, in der Freiheit und Gerechtigkeit vereinbar werden.

Marburg

Hans-Günter Krüsselberg