Rezension zu:

Adam Smith. Rowohlts Bildmonographie
von Gerhard Streminger
Bd. 440, 158 S. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Schrifttumsspiegel Heft 2, Wien 1990

Anläßlich der 200. Wiederkehr von Adam Smithens Todestag am 17. Juli 1990 ließ sich wohl kaum eine auf sich haltende Zeitung die Gelegenheit eines wohlwollenden Nachrufs auf den Klassiker der Nationalökonomie par exellence entgehen. Der geistige Schöpfer der wirtschaftlichen Ordnungskonzeption des "einfachen Systems der natürlichen Freiheit" und der wohl berühmtesten Metapher der Wirtschaftswissenschaften (J. K. Galbraith), der von der invisible hand, feiert heute weltweit angesichts des Zusammenbruchs planwirtschaftlicher Systeme eine glorreiche Renaissance.

Daß Adam Smith nicht nur ein bedeutender Wirtschaftstheoretiker, sondern vor allem ein Philosoph war, und sein "Wohlstand der Nationen" nur vor dem Hintergrund von Smithens philosophischer Position richtig eingeordnet und gedeutet werden kann, ist hingegen einer breiten Öffentlichkeit kaum bewußt.

Im vorliegenden Band ist es das Bemühen Stremingers, das gesamte geistige Schaffen von A. Smith in seinem zeitgeschichtlichen Zusammenhang dem Leser näherzubringen. Dabei stehen weniger private Aspekte in A. Smithens Leben, die (mangels Quellen?) sich hauptsächlich auf die persönlichen Beziehungen zu führenden Intellektuellen seiner Zeit beschränken, als vielmehr sein geistiger Lebensweg und sein intellektuelles Schaffen im Vordergrund. Dies ist auch das Kriterium, dem Streminger bei der Gliederung des vorliegenden Buches den Vorrang einräumt.

In der Schottischen Aufklärung, einer für die Geistes- und Kulturgeschichte Schottlands einzigartigen und für die Welt insgesamt richtungsweisenden Periode, die mit den Namen von David Hume, Francis Hutcheson und Jeremy Bentham verbunden ist, findet der junge A. Smith den geistigen Nährboden, in der in Schottland ihren Ausgangspunkt nehmenden Industriellen Revolution – Smith war mit J. Watt persönlich bekannt – den plastischen Anschauungsunterricht, beide prägend für sein späteres Schaffen.

So führt der Weg von Stremingers Ausführungen über "Der junge Gelehrte" (7f.), der A. Smithens Ausbildung nachzeichnet, zunächst zum ersten Schwerpunkt von dessen Schaffen: "Der Moralphilosoph" (27 f.) – Smith folgte bereits 1751 einem Ruf an die Universität Glasgow als Professor für Logik und veröffentlichte 1759 seine "Theorie der ethischen Gefühle"1), "ein Betrag zur Wiederbelebung der alten (i.e. antiken, Anm. d. Rez.) Moralphilosophie" (38). In diesem Werk sucht A. Smith die Antwort auf die – nie explizit gestellte – Frage nach der Möglichkeit diesseitigen Glücks (38). Zentraler Ansatzpunkt zur Lösung dieser Frage ist A. Smithens Überzeugung, daß "die Moralität nicht von den Naturtrieben loszulösen" (38) sei, gleichsam eine "ursprüngliche Einrichtung der Menschennatur" (38) für ethische Gefühle vorhanden sei. Zentraler Begriff ist dabei jener der Sympathie. Mag man den Menschen "für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in der Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen. So freuen wir uns, wenn andere sich freuen, und sind betrübt, weil andere von Kummer erfüllt sind" (T 1). Smith geht somit von einer grundsätzlich positiven Sicht der "Natur des Menschen" aus und kontrastiert damit die Anthropologie des orthodoxen Christentums sowie diejenige von Hobbes.

Im Hinblick auf die natürliche Einhaltung von Gerechtigkeitsüberlegungen in einer Gesellschaft zählt A Smith als notwendiges und natürliches Korrektiv zu den ethischen Gefühlen des Menschen auch jenes der Vergeltung, das uns motiviert, "die Schwachen zu schützen, die Ungestümen zu zähmen und die Schuldigen zu züchtigen." (T 129.)

In bezug auf das Wirtschaftsleben begründeten diese Überlegungen wohl staatliche Eingriffe zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs sowie zum Schutz von wirtschaftlich Unterlegenen (Arbeiterschutz, Konsumentenschutz).

Indes wendet sich das Vergeltungsgefühl auch gegen uns selbst, dann nämlich, wenn wir Unrecht getan haben. Streminger wählt ein treffliches Beispiel Smithens aus dem Wirtschaftsleben, das den Fairneßaspekt besonders hervorstreicht: "In dem Wettlauf um Reichtum und Ehre mögen Menschen laufen, so schnell sie können, und jeden Nerv und jeden Muskel anspannen, um all ihre Mitbewerber zu überholen. Sollten sie aber andere niederrennen oder zu Boden werfen, wäre es mit der Nachsicht der Zuschauer ganz und gar zu Ende" (T 124). "Geben wir das Verhalten eines fairen Sportlers auf, plagen uns Gewissensbisse" (44), "die fürchterlichsten von allen Gefühlen", die von einem Menschen "Besitz ergreifen können" (T 126).

Diese kurzen Ausführungen zur "Theorie der ethischen Gefühle" machen jedenfalls klar, daß A. Smith seine wirtschaftliche Ordnungskonzeption, das "einfache System der natürlichen Freiheit", zweifelsfrei unter die Bedingung einer allgemein praktizierten und verbindlichen Fairneß gestellt sehen will. Eine entscheidende Bedingung, die viele Epigonen lange Zeit übersehen oder unterschlagen haben.

Nach Zeugnissen über A Smithens wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität Glasgow (51 f.) – er wechselte schließlich auf den Lehrstuhl für Moralphilosophie, den früher F. Hutcheson innehatte, und hielt Vorlesungen über Rhetorik und Jurisprudenz – führt uns Streminger zu A. Smithens wirtschaftswissenschaftlichem Schaffen ("Der Ökonom", 69f.), das nach einer mehrjährigen Studienreise in Frankreich nach umfangreichen Vorarbeiten schließlich im Erscheinen des "Wohlstands der Nationen" am 9. März 1776 in London gipfelte2.

Streminger gibt einen konzisen Überblick über die Problemstellungen und die tragende Idee des "Wohlstandes", der bereits in der "Theorie der ethischen Gefühle" grundgelegten sozialphilosophischen These der "natürlichen Ordnung". In seiner Beurteilung zählt Streminger A. Smithens "einfaches System der natürlichen Freiheit" zu den interessantesten Entwürfen der Sozialphilosophie, konnte man sich doch bis ins 17. Jahrhundert "eine soziale Ordnung nur als eine von oben eingesetzte und immer wieder durch steuernde und regulierende Eingriffe herzustellende Ordnung vorstellen" (104). Allerdings – so Streminger – irrte A. Smith in einer wesentlichen Annahme: "Das Gerechtigkeitsempfinden ist nicht so stark in der menschlichen Natur verankert, wie Smith angenommen hat" (104), Es ist Stremingers Verdienst, nachdrücklich auch auf jene sichtbaren Eingriffe des Staates in die unsichtbaren Mechanismen des Marktes hinzuweisen, auf die A. Smith selbst, in weiser Voraussicht der negativen Begleiterscheinungen der Arbeitsteilung, der drohenden "weitgehenden Verkümmerung der höheren Anlagen" (101), Betonung legte. Denn: "Jemand, der tagtäglich nur wenige einfache Handgriffe ausführt, die zudem immer das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis haben, verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen. Er wird stumpfsinnig und einfältig, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann. ... In diese Lage gerät die Masse des Volkes in jeder entwickelten und zivilisierten Gesellschaft unweigerlich, wenn der Staat nichts unternimmt, sie zu verhindern" (W 662 f.).

Daraus folgert A. Smith, daß erst dann von einer gerechten Gesellschaft gesprochen werden könne, wenn allen Mitgliedern des Staates das gleiche Recht auf Bildung garantiert ist und damit das nötige Korrektiv gegeben sei.

Nach der Veröffentlichung des "Wohlstandes", der beim Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen wurde – bereits 1778 erschien eine zweite, überarbeitete Auflage – widmete sich A. Smith der kritischen Durchsicht und posthumen Herausgabe der Werke seines 1776 verstorbenen Freundes David Hutne. Den letzten Lebensabschnitt von A. Smith betitelt Streminger etwas unglücklich mit "Der Zollrevisor" (l00f.). Dies deshalb, weil A. Smith zum Mitglied der Königlichen Zollkommission für Schottland ernannt wurde. Er bezog gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Cousine ein Haus in Edinburgh, wurde von dieser Tätigkeit sehr in Anspruch genommen und widmete sich auch dem dortigen intellektuellen Leben mit großer Hingabe.

Schließlich wird A. Smith noch eine große Ehre zuteil: Er wird 1787 zum Lord Rektor der Universität Glasgow berufen. Im bereits von Krankheit gezeichneten Alter widmet sich A. Smith der Überarbeitung seiner "Theorie der ethischen Gefühle" und arbeitet noch an anderen philosophischen Essays. Er stirbt am 17. Juli 1790 in Edinburgh.

Den Abschluß des Bandes bilden eine Zeittafel, Zeugnisse bedeutender Ökonomen sowie eine Bibliographie. Die Lektüre des Bandes gestaltet sich auch für Ökonomen gewinnbringend, denen – in Kenntnis der wirtschaftswissenschaftlichen Bedeutung sowie insbesondere auch der dogmengeschichtlichen Stellung des "Wohlstandes" – durch die primär vom geistesgeschichtlichen und philosophischen Standpunkt erfolgende Darlegung des Gesamtwerks von A. Smith ein tieferer Einblick erschlossen wird.

F. Stocker

Anmerkungen:

1 Von Streminger übernommene Zitate aus diesem Werk werden mit T und der zugehörigen Seitenangabe bezeichnet.
2 Aus dem "Wohlstand" übernommene Zitate sind mit W und der zugehörigen Seitenangabe gekennzeichnet.