Als Ökonom ist Smith in aller Munde; als Moralphilosoph interessiert er kaum; und als Sprachtheoretiker ist Smith praktisch völlig unbekannt, ein Umstand, der auch damit zusammenhängt, dass er nicht – wie geplant – ein großes Werk über die menschliche Sprache, sondern nur einen kleinen Artikel darüber veröffentlichte. Aber die Beschäftigung mit der Sprache zieht sich wie ein roter Faden durch das intellektuelle Leben des großen Philosophen. Hierzu einige Fakten: Adam Smith wurde 1723 in Kirkcaldy, einer Kleinstadt in Schottland, geboren. Nachdem er von 1737-40 in Glasgow (u.a. bei Francis Hutcheson) studiert hatte, erhielt er ein Stipendium, so daß er sechs Jahre an der University of Oxford verbringen konnte. Aufgrund einer extrem konservativen Einstellung war die englische Eliteuniversität damals allerdings intellektuell sehr unfruchtbar. Aber hatten auch Smiths Universitätslehrer, ausnahmslos Geistliche, philosophisch nichts zu bieten, so machten sie ihre Schüler doch mit der Schönheit der Sprache bekannt. Mit ihnen las Smith die Werke griechischer, lateinischer, italienischer und, vor allem, englischer Autoren. Den Rest der Zeit verbrachte er oft in den menschenleeren Bibliotheken Oxfords, wo er seinen Schreibstil durch das Übersetzen französischer Texte zu verbessern suchte. Nach Schottland zurückgekehrt, hielt Smith in Edinburgh, vermutlich in der dortigen Philosophical Society, an drei aufeinander folgenden Jahren (1748-51) einen Kurs über Rhetoric und Belles Lettres. Wahrscheinlich hatte sich Henry Home, der spätere Lord Kames, dem ein besonders scharfes Auge für ein kommendes Genie eigen war, für Smith eingesetzt (nachdem er zuvor bereits seinen Verwandten David Hume gefördert hatte). Aus den folgenden beiden Gründen war Smiths Vorlesung ein großer Erfolg – in Edinburgh geradezu ein gesellschaftliches Ereignis –, weshalb der Vortragende, der praktisch noch nichts veröffentlicht hatte, sogar mit einem Lehrstuhl bedacht wurde: (1) Es gab damals in Schottland, mit der Bevölkerung von knapp 1,5 Millionen Menschen, ein besonderes Interesse an der Sprache. In dem Land im Norden Englands wurden mindestens zwei Sprachen gesprochen (in den Highlands Gälisch, ein keltischer Dialekt, und in den Lowlands Scots bzw. Englisch. Da Scots, wahrscheinlich eine mittelalterliche Version des Englischen und die Sprache von Robert Burns, dem Englischen des 18. Jahrhunderts zum Teil nur entfernt ähnelte, war Schottland eigentlich dreisprachig: Gälisch, Scots und Englisch). Auf den schottischen Universitäten wurde zudem noch überwiegend auf Lateinisch gelehrt, weshalb das Erlernen dieser Sprache einen Hauptgegenstand in den Elementarschulen bildete. Und im Süden, im streng calvinistischen Teil Schottlands, wo das geoffenbarte Wort Gottes in allen Fragen als unbestrittene, letzte Autorität galt, waren nicht wenige außerdem der ‘biblischen Sprachen’ kundig, also des Hebräischen und des Griechischen. Dazu kam schließlich noch eine lange Tradition in der Beherrschung anderer Sprachen: So hatte es schottische Poeten gegeben, die französisch, und andere, die lateinisch gedichtet hatten. Das Interesse an der Sprache, an der Tätigkeit des Verwendens und Verstehens von Sprachzeichen als einer Grundform menschlichen Handelns, war also im Schottland zur Zeit der Aufklärung tief im Bewußtsein der Gesellschaft verankert. Es paßt vorzüglich in dieses Bild, daß am Höhepunkt der Aufklärung – 1760 – an der Universität von Edinburgh ein Lehrstuhl für Rhetorik eingerichtet worden war, der erste Lehrstuhl für englische Literatur überhaupt. Erster Lehrstuhlinhaber war im übrigen ein Freund Smiths und Humes, Hugh Blair. Diese Gründung eines Lehrstuhls war im übrigen nur die Folge einer jahrzehntelangen Entwicklung. Bereits seit etwa 1730 war ein Teil der Logikkurse an den schottischen Universitäten der Rhetorik gewidmet oder Professoren hielten über diesen Gegenstand überhaupt eine eigene Vorlesung. »This change in the curriculum was of considerable significance for it signalled ... the beginning of Scottish mastery of the English language«. (R. Emerson) (2) Seit 1707, seit der Union der Parlamente in London, durften Schotten mit Engländern auch offiziell Geschäfte treiben. Aber dieser Handel erwies sich oft als sehr schwierig, weil die Engländer ihre nördlichen Nachbarn nicht verstanden (oder nicht verstehen wollten). Die anglophilen Teile der schottischen Gesellschaft litten schon deshalb unter einem Minderwertigkeitsgefühl, und sie hofften, von einem jungen Gelehrten, der in Oxford studiert hatte, endlich ‘richtiges’ Englisch sprechen zu lernen. Smith teilte übrigens diese Bedenken der anglophilen Schotten, aber wies der menschlichen Sprache eine Bedeutung zu, die weit über ihre Rolle beim Handeln hinausgeht: »Zwei beträchtliche Hindernisse haben den Fortschritt der Wissenschaft lange Zeir behindert", meinte Smith. "Einer ist die Schwierigkeit, in einem Land, in dem es ... keine Sprachnorm gibt, einen angemessenen Ausdruck zu finden.« Das zweite Hindernis für den Fortschritt sei der schlechte Zustand des Buchdrucks. Ewa 30 Jahre nach dieser Bemerkung Smiths wurden in Edinburgh die ersten Bände der Encyclopaedia Britannica veröffentlicht – neben Edinburghs architektonisch überaus reizvoller New Town und neben dem gewichtigen Plädoyer für die Beachtung der Interessen des Individuums sowie der Marktstrukturen … abgesehen von diesen beiden Errungenschaften ist die Encyclopaedia Britannica die dritte, unmittelbar beeindruckende Pionierleistung der schottischen Aufklärung. In die Zeit seiner Edinburgher Vorträge fällt Smiths erste Publikation. Es ist dies keine Abhandlung über ein ökonomisches Thema, sondern ein kurzes Vorwort zu einem Gedichtband des schottischen Dichters William Hamilton. Aufgrund des großen Erfolgs seiner Vortragsreihen wurde Smith Anfang 1751 Professor für Logic and Rhetoric in Glasgow. Seine Antrittsvorlesung lautete: De origine idearum, also ‘Über den Ursprung der Ideen’. Leider ist über den Inhalt des Vortrags nichts Genaueres bekannt. Aber da Smith sehr ‘ökonomisch’ arbeitete, also auf Dinge, die er sich einmal erarbeitet hatte, immer wieder zurückgriff, dürften seine Ausführungen über den Ursprung der Sprache im Essay Considerations concerning the First Formation of Languages (siehe unten) sehr wahrscheinlich auf dem Inhalt von ‘De origine idearum’ aufbauen. John Stevenson, der seit etwa 1730 Professor für Logik und Metaphysik an der Universität Edinburgh war, »used Locke to show that all knowledge is derived from sense experience and must find its warrant [Rechtfertigung] in sensation, reflection, or the testimony [Zeugnis] of others. The rules of this ‘natural logic’, as Stevenson called it, were the rules of induction and the criteria of credibility [Glaubwürdigkeit] which Locke took from the lawyers. Knowledge gained in this fashion is, and must be, cumulative [anwachsend, kumulativ] ... As such it demonstrated the validity [Gültigkeit] of empiricism ... Among those who took his classes were to be found the Leaders of the Edinburgh literati for two generations. Outside Edinburgh this way of teaching logic and metaphysics had become standard by 1750.« (R.Emerson) Im April 1752 wechselte Smith auf den Lehrstuhl für Moralphilosophie, der durch den Tod des Lehrstuhlinhabers vakant geworden war. Bis Anfang 1764, bis zu seinem Abschied von der Universität, gab Smith in Glasgow jährlich zwei Kurse: Erstsemestrige unterrichtete er in Moralphilosophie, und drei Mal wöchentlich las er vor fortgeschrittenen Studenten. Für diese ‘Privatvorlesung’ wählte damals jeder Professor einen Gegenstand, der ihm besonders am Herzen lag: Francis Hutcheson hatte über griechische und stoische Autoren vorgetragen; Thomas Reid – Smiths Nachfolger – sollte über die menschlichen Verstandesvermögen lesen; und Adam Smith trug über Rhetoric and Belles Lettres vor. Von dieser Vorlesung Smiths existiert ein Augenzeugenbericht des später ebenfalls berühmten John Millar, einer der Mitbegründer der modernen Soziologie. Bemerkenswerterweise deckt sich Millars Bericht fast wortwörtlich mit dem, was Smith selbst in einem Brief geschrieben hatte: »Ich billige den Plan einer Rationalen Grammatik sehr und bin überzeugt, daß sich ein solches Werk ... nicht nur als das beste Grammatiksystem, sondern auch als das beste Logiksystem … und auch als die beste Geschichte des natürlichen Fortschritts des menschlichen Geistes [best history of the natural progress of the human Mind] beim Formen der wichtigsten Abstraktionen, von denen alles Denken abhängt, erweisen wird ... Sollte ich denselben Gegenstand behandeln, so würde ich versuchen, mit einer Betrachtung der Verben zu beginnen; denn diese sind meiner Auffassung nach die ursprünglichen Teile der Sprache, als erste erfunden, um in einem Wort ein vollständiges Ereignis auszudrücken. Ich würde dann zu zeigen versuchen, wie das Subjekt erstmals vom Attribut geteilt, und dann, wie das Objekt von beiden unterschieden wurde ...« Smith schrieb in diesem Brief vom 7. Februar 1763 auch, daß er den Plan einer Rationalen Grammatik dem 1747 erschienenen Buch von Abbe Girard, Les Vrais Principes de la langue francoise, ou la parole réduite en methode conformément aux lois de l’usage, verdanke und daraus mehr Belehrung als aus irgendeinem anderen Buch gezogen habe. Smith hatte von dieser Arbeit gelernt »to see ‘parts of speech’, not as dead terms in school grammar, but as operations of the human intellect, and ‘grammar’ itself as the image of logic.« (J.C. Bryce) Außer dem Werk von Girard hätten ihm, so Smith weiter, auch die »grammatischen Artikel in der französischen Encyclopédie ... ein großes Maß an Unterhaltung bereitet.« Interessant an Smiths Ausführungen ist nicht zuletzt, daß er hier, also in der Frage nach den Möglichkeiten einer Rationalen Grammatik, ausschließlich französische Quellen nannte. Innerhalb weniger Jahre war Smith weit über Schottlands Grenzen hinaus bekannt, und selbst aus dem fernen Rußland kamen Studenten, um den Autor der 1759 publizierten Theory of Moral Sentiments zu hören. Die Vorlesung über Rhetorik bestand aus 30 Vorträgen, wovon 29 in einer hervorragenden Mitschrift, die 1958 gefunden und 1963 erstmals veröffentlicht wurde, erhalten geblieben sind. Nimmt man die Zeit in Edinburgh hinzu, dann hat Smith seinen Kurs über Rhetorik und schöngeistige Literatur somit etwa 15 Mal gelesen. Die neu aufgefundene Mitschrift bezieht sich auf das Studienjahr 1762-3, also auf jenes Jahr, in dem Smith zum letzten Mal über Rhetoric and Belles Lettres unterrichtet hatte. Anfang 1764 beendete er, damals gerade 40 Jahre alt, seine akademische Laufbahn. Ehe Smiths außeruniversitäre Aktivitäten im Zusammenhang mit seinem Interesse an der Sprache kurz beleuchtet werden, rasch noch ein Wort zur vorliegenden Vorlesungsmitschrift: Es herrscht in der Gelehrtenwelt Einstimmigkeit darüber, daß das aufgefundene Manuskript nicht von Smith selbst stammt. Tatsächlich sprechen viele Gründe dafür, insbesondere der gut bezeugte Bericht, daß er knapp vor seinem Tod alle seine Aufzeichnungen verbrennen hatte lassen. Allerdings irritiert Folgendes: Der neue Herausgeber der Lectures on Rhetoric and Belles Lettres, J.C. Bryce, bemerkt über einen der Verfasser des Manuskripts, daß dieser an einem Augenleiden gelitten haben müsse, »an einer Art stenopia oder tunnel-vision«, was sich darin äußert, daß dieser immer wieder Wörter oder Silben, die den vorangehenden ähnelten, ausließ.<< Nun schrieb Jahrzehnte früher W.R. Scott über Manuskripte, die eindeutig von Smith stammen, daß dieser häufig nicht imstande war, an einer bestimmten Stelle ein Wort einzufügen, woraus man ebenfalls auf eine solche tunnel-vision schließen könnte. Da es nicht gerade wahrscheinlich ist, daß am gleichen Ort zur gleichen Zeit zwei Menschen an einer so seltenen Krankheit litten, stellt sich m.E. mit Nachdruck die Frage, ob Smith nicht doch in direkterer Weise, als dies üblicherweise angenommen wird, an der Niederschrift seiner Vorlesung beteiligt war. Für diese Vermutung spricht zudem die Tatsache, daß die Vorlesung III, die Smith überarbeitete und 1761 als Considerations concerning the First Formation of Languages, and the Different Genius of original and compounded Languages publizierte, eine Reihe von Formulierungen enthält, die mit den Sätzen in den Considerations wortwörtlich übereinstimmen. Aber nun zu Smiths außeruniversitärem Aktivitäten, die menschliche Sprache betreffend: 1752 gründete er mit anderen in Glasgow die Literary Society, in der er selbst Vorträge über taste, ‘Geschmack’, sowie über literary composition, ‘literarische Komposition’, hielt. Drei Jahre später war er an der Gründung der Edinburgh Review mitbeteiligt, dem Publikationsorgan der schottischen Aufklärer. Von dieser Zeitschrift erschienen im 18. Jahrhundert allerdings nur zwei Bände, da sie in klerikalen Kreisen auf heftigsten Widerstand gestoßen waren, obwohl der notorische Religionskritiker Hume in beiden Bänden eisern geschwiegen hatte. Für beide Nummern verfaßte der Professor für Moralphilosophie in Glasgow Beiträge, Smiths erste philosophische Veröffentlichungen. Beide Arbeiten – und sie sollen von allen Artikeln in der Edinburgh Review die meiste Resonanz gefunden haben –, handeln wesentlich von der menschlichen Sprache. In der ersten Nummer rezensierte er Samuel Johnsons soeben erschienenes Dictionary of the English Language. Trotz grundsätzlicher Anerkennung übte Smith ziemlich scharfe Kritik an der mangelnden Systematik des Aufbaus: »Zwar sind die verschiedenen Bedeutungen eines Wortes gesammelt, aber sie sind selten in allgemeine Klassen eingeteilt oder unter der Bedeutung, die das Wort vornehmlich ausdrückt, angeordnet.« Damit ist folgendes gemeint: Anhand konkreter Stellen aus den Werken der Klassiker hatte Johnson die verschiedenen Redewendungen, in denen ein bestimmtes Wort auftaucht, einfach aufgelistet. Smith forderte jedoch ihre Systematisierung. Wie eine solche hätte aussehen können, erläutert er an den Ausdrücken ‘but’ und ‘humour’: »BUT, eine englische Partikel, die Gegensatz anzeigt und die, gemäß den verschiedenen Abwandlungen der allgemeinen Bedeutung von Gegensatz, manchmal den Platz eines Umstandswortes, manchmal den einer Präposition, manchmal den eines Bindewortes und manchmal sogar den einer Interjektion einnimmt ... In ihrer ursprünglichen und angemessensten Bedeutung scheint sie jedoch ein adversatives Bindewort zu sein, in dem Sinn, in dem sie mit however synonym ist, mit sed im Lateinischen und mit mais im Französischen ausgedrückt wird.« Smith plädierte also, so ließe sich dieser Punkt kurz zusammenfassen, für eine strukturell-funktionelle Sprachbetrachtung. Wahrscheinlich hatte er nicht zufällig but herausgegriffen, da Smith mit großer Wahrscheinlichkeit die diesbezüglichen Ausführungen John Lockes gekannt und geschätzt hatte. Dort heißt es zu Beginn: »But ist eine der gebräuchlichsten Partikeln unserer Sprache. Wenn man nun sagt, es sei eine disjunktive Konjunktion und entspreche dem lateinischen sed oder dem französischen mais, so glaubt man, sie genügend erklärt zu haben. Es scheint mir jedoch, daß diese Partikel eine ganze Reihe von Beziehungen andeutet, die der Geist zwischen den verschiedenen Sätzen oder Satzgliedern herstellt, die er durch dieses einsilbige Wörtchen verknüpft.« In der zweiten Nummer der Edinburgh Review veröffentlichte Smith einen Letter, worin er an der in der ersten Nummer geübten Praktik, fast ausschließlich in Schottland publizierte Werke zu rezensieren, Kritik übte. Um seinen kosmopolitischen Standpunkt zu rechtfertigen und das Interesse an ausländischer Literatur zu wecken, gibt Smith einen interessanten Überblick über den dortigen Stand der Bildung. In katholischen Ländern, so meint er, sei das allgemeine Bildungsniveau katastrophal; die Gelehrsamkeit sei in Italien »beinahe gänzlich« und in Spanien »völlig« erloschen. (Österreich, eine weitere katholische Großmacht, fand Smith nicht einmal der Erwähnung wert.) Und selbst die Buchdruckerkunst »scheint dort fast vollständig vernachlässigt zu werden, ich nehme an, wegen der geringen Nachfrage, die es dort an Büchern gibt«. Anders sei die Situation in Deutschland (wobei Smith wohl nur an den protestantischen Teil dachte). Denn deren Bewohner leisteten auf den Gebieten der Medizin, Chemie, Astronomie und Mathematik Hervorragendes, aber dies seien »Wissenschaften, die nur eine klare Urteilskraft, verbunden mit Arbeit und Fleiß«, jedoch »kein größeres Maß an Geschmack oder Genie« erforderten. Den Mangel an ‘Geschmack und Genie’ in deutschen Landen führt Smith auf keinen angeborenen Defekt, sondern auf etwas ganz anderes zurück: Die Deutschen hätten »eben nie ihre Muttersprache gepflegt und da sie sich daran gewöhnt haben, in einer fremden Sprache zu denken und zu schreiben, ist es kaum möglich, daß sie imstande sein könnten, sich glücklich oder treffend auszudrücken.« [m.H.] Soviel über die Situation in katholischem Ländern und in Deutschland. Nun jedoch zu den damals kulturell führenden Nationen: Die beiden großen Rivalen »in der Gelehrsamkeit, im Handel, in der Regierungsform und im Krieg« seien Engländer und Franzosen: »Einbildungskraft, Genie und Erfindungsgabe scheinen die Talente der Engländer zu sein; Geschmack, Urteilskraft, ein Gefühl für Angemessenheit und Ordnung die der Franzosen. Bei den alten englischen Dichtern, bei Shakespeare, Spencer und Milton, findet sich oft inmitten einiger Unregelmäßigkeiten und Extravaganzen eine Stärke der Einbildungskraft, die so ungeheuer, so unermeßlich und außergewöhnlich ist, daß die Leser in ein solches Erstaunen ... versetzt werden, das sie alle Kritik an den Unebenheiten in den Schriften als niedrig und unbedeutend verschmähen läßt. Bei den herausragenden französischen Schriftstellern gibt es derartige Ausbrüche des Genies seltener, aber dafür ein richtiges Arrangement, eine genaue Angemessenheit und Schicklichkeit, verknüpft mit einer gleichmäßigen und wohldurchdachten Feinheit der Empfindung und Ausdrucksweise ...« 1759 publizierte Smith seine Theory of Moral Sentiments und 1776 sein Hauptwerk, die monumentale Arbeit über den Wealth of Nations. Seine schriftstellerische Produktivität aber war damit noch keineswegs erschöpft. »Ich habe gleichfalls zwei weitere große Werke auf dem Amboß«, schrieb er am 1. November 1785. »Das eine ist eine Art philosophische Geschichte aller Zweige der Literatur, der Philosophie, Dichtkunst und Beredsamkeit; das andere ist eine Art Theorie und Geschichte der Gesetzgebung und der Regierung.« Das erste Buch hätte wohl auf der Vorlesung über Rhetoric and Bettes Lettres aufgebaut, das zweite auf den dritten Teil seines Kurses über Moralphilosophie, der aus vier Abschnitten bestand: (1) Natürliche Religion; (2) Ethik im engeren Sinn; (3) Jurisprudenz; (4) Politische Ökonomie. Der zweite Teil war als Theory of Moral Sentiments und der vierte Teil als Wealth of Nations bereits publiziert. Aus gesundheitlichen, aber auch aus beruflichen Gründen (Smith war von 1778 bis zu seinem Tod Zollrevisor in Edinburgh), konnte er die Arbeit an den beiden Riesenwerken nicht mehr abschließen. Knapp vor seinem Tod im Jahre 1790 ließ Smith beinahe alle Aufzeichnungen – es sollen 16 Manuskriptbände gewesen sein – verbrennen. Weil jedoch einige Vorlesungsmitschriften erhalten geblieben sind, können wir heute wenigstens erahnen, welch beeindruckende Werke Smith noch geplant hatte. Wären die 16 Manuskriptbände als Smiths Nachlaß veröffentlicht worden, so hielte ihn niemand mehr für nichts anderes als für den Begründer der Freihandelsdoktrin. Wahrscheinlich gäbe es dann sogar keinen anderen Denker der Neuzeit, der den Ehrentitel ‘moderner Aristoteles’ so sehr verdiente wie der Gelehrte aus dem kleinen Kirkcaldy am schottischen Firth of Forth.
Im folgenden wird ein kleiner Abschnitt aus meinem Aufsatz über Smiths Sprachphilosophie neu abgedruckt, der seinen Versuch einer Einteilung der Sprachen zum Gegenstand hat. Den Smithschen Termini compounded und uncompounded entsprechen im übrigen die in der modernen Sprachtypologie üblich gewordenen Ausdrücke ‚analytisch’ und ‚synthetisch’. (Der natürliche Lauf der Dinge, Essays zu Adam Smith und David Hume. Marburg 1995, S. 126-9; leicht überarbeitet, ohne Anmerkungen): (b) Sprachtypologie Im zweiten Teil der dritten Vorlesung seines Rhetorikkurses und insbesondere in den Considerations concerning the First Formation of Languages versucht Smith, einige der wichtigsten europäischen Sprachen zu vergleichen und zu systematisieren. Nach Eugenio Coseriu handelt es sich dabei »um die ersten Anfänge der Sprachtypologie«. Smith unterscheidet zwei Arten von Sprachen: Zum einen sind es solche, die er primitive, simple, original, UNCOMPOUNDED nennt, und zum anderen sind es Sprachen, denen er den Namen COMPOUNDED gibt. Diese Einteilung beruht auf der Überlegung Smiths, daß Menschen anfangs versucht hatten, jedes Ereignis mittels Flexion durch ein einziges Wort, das das Ganze des Ereignisses erfaßte, auszudrücken. Wegen der Vielzahl an Fakten wurden jedoch Konjugation und Deklination ungemein komplex, und die Anzahl der Wörter »unendlich« groß. Aus Gründen der Zweckdienlichkeit begannen deshalb Menschen, jedes Ereignis »in seine metaphysischen Elemente« zu teilen und Wörter einzuführen, die sich auf diese Elemente, aus denen die Ereignisse zusammengesetzt sind, beziehen, also: Subjekte, Objekte, Attribute, Präpositionen etc. Aber wurde auch die Beschreibung eines Ereignisses durch diese Teilung in seine Elemente ‘künstlicher’, so wurde doch das ganze Sprachsystem, seine Struktur, dadurch zusammenhängender (compounded). Das Sprachsystem war nun leichter als die Vielzahl an Wörtern und ihre Flexionen zu erfassen und im Gedächtnis zu behalten. Die entscheidende Ursache für den Übergang von ‘natürlichen’ zu ‘künstlicheren’ Sprachen sieht Smith jedoch primär in keiner sprachinternen Notwendigkeit, sondern in einer gesellschaftlichen Entwicklung (es ist dies eines von mehreren Beispielen von Smiths ‘ökonomischer Betrachtung der Sprache’): Aufgrund der Völkerwanderung kam es zu einer Vermischung von Völkern und damit auch zu einer Mischung der Sprachen. Wenn aufgrund von Eroberung oder Wanderung zwei Völker in einem Gebiet miteinander lebten, so mußten zumindest einige Mitglieder des einen Volkes die Sprache des anderen erlernen, was in möglichst ökonomischer Weise geschah. Verwirrt von deren Komplexität werden sie »ihre Unkenntnis der Deklinationen ... naturgemäß durch den Gebrauch von Präpositionen ersetzen; ein Lombarde, der versuchte, Lateinisch zu sprechen und ausdrücken wollte, daß eine bestimmte Person ein Bürger Roms ... war, und wenn er nicht zufälligerweise den Genetiv ... des Wortes Roma kannte, wird sich durch Voranstellen der Präposition de ... zum Nominativ ausgedrückt und de Roma gesagt haben: Di Roma ... ist daher die Art und Weise, in der die gegenwärtigen Italiener, die Abkömmlinge der alten Lombarden und Römer, diese und alle ähnlichen Beziehungen ausdrücken.« Analoges gilt für Konjugationen: »Ein Lombarde, der vergaß, daß amor ‘Ich werde geliebt’ heißt, wird ego sum amatus gesagt haben. Io sono amato heißt es daher im Italienischen ...« Als Folge der Sprachmischung nahm somit die Komplexität der composition zu, d.h. Präpositionen und Hilfsverben übernahmen nach und nach die Funktionen von Konjugation und Deklination. Die verschiedenen Teile der Sprache waren von nun an »enger miteinander verknüpft«. Die composition der verschiedenen Sprachen wurde also komplexer, weil die Sozialbeziehungen es wurden; und diese wurden komplexer aufgrund der Mischung von Völkern. Da nun aber – so überlegt Smith weiter – die Vermengung von Völkern und Sprachen graduell ist, müßte auch der Strukturunterschied zwischen uncompounded und compounded languages graduell sein. Und tatsächlich: Alten Sprachen ist eine reiche, komplexe Flexion eigen, aber nicht in demselben Maße. So ist das Altgriechische sehr ursprünglich, die Deklinationen und Konjugationen »sind viel komplexer als die irgendeiner anderen europäischen Sprache, die ich kenne«. Die Flexion im Lateinischen, »das aus dem Griechischen und dem Etruskischen hervorgegangen ist«, ist bereits weniger komplex als im Griechischen. Im Französischen wiederum, eine Mischung aus dem Lateinischen und dem Fränkischen, und im Italienischen, eine Mischung aus dem Lateinischen und dem Lombardischen, ist die Flexion von noch geringerer Komplexität als im Lateinischen: »Hinsichtlich der Deklination haben beide Sprachen gänzlich ihre Kasus, hinsichtlich der Konjugation ihre ganze Leideform und einen Teil der Tätigkeitsform verloren.« Und die Flexion des Englischen, gleichsam eine Mischung dritten Grades, »das aus dem Französischen und dem Sächsischen hervorgegangen ist«, ist schließlich noch einfacher: ‘love, loved, loving’ sind die letzten Überbleibsel der Konjugation. Den Zweck, den die Konjugation erfüllt, übernehmen im Englischen Hilfsverben wie »do, did; will, would; shall, should; can, could; may, might«. Weil im Englischen die Flexion noch einfacher als in den romanischen Sprachen ist, ist seine composition noch komplexer als im Französischen oder Italienischen. Auf diese Weise haben Sprachen eine Veränderung durchgemacht, die der Konstruktion von Maschinen ähnelt: Denn »im allgemeinen sind Maschinen, wenn sie erfunden werden, in ihren Bestandteilen äußerst komplex, und es gibt häufig einen besonderen Bestandteil für jede Funktion ...« In späteren Konstruktionen übernehmen jedoch die einzelnen Bestandteile verschiedene Aufgaben, »wodurch die Maschine allmählich immer einfacher« wird. Das Gleiche gilt für Sprachen: Zunächst gab es für jede Absicht ein einzelnes Wort, aber bald wurde entdeckt, »daß vier oder fünf Präpositionen und ein halbes Dutzend Hilfsverben den Zweck der Deklination und Konjugation ... erfüllen können.« Somit kann als Grundregel festgehalten werden, »daß je einfacher die composition einer Sprache ist, desto komplexer müssen ihre Deklinationen und Konjugationen sein; und umgekehrt, je einfacher ihre Deklinationen und Konjugationen sind, desto komplexer muß ihre composition sein.« Die Komplexität der composition hängt von der Anzahl an Präpositionen und Hilfsverben ab, wobei der Komplexität der Flexion eine größere Konkretheit, der Komplexität der composition hingegen eine größere Abstraktheit entspricht. Das Original-Kapitel ist entnommen aus:
© Gerhard Streminger |